Altersgrenze für Ärzte:Senioren in Weiß

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Die Altersgrenze für Praxisärzte ist aufgehoben. Mit über 70 Jahren kehren Mediziner wieder in den Beruf zurück - vor allem in ländlichen Regionen werden sie gebraucht.

Ralf Wiegand

Ein paar Löcher muss er noch bohren, ein Klecks Farbe hier und da, "aber im Prinzip bin ich fertig", sagt August Palatsik. Am kommenden Montag wird der Allgemeinmediziner seine frisch renovierte Praxis im schleswig-holsteinischen Lägerdorf eröffnen. Das wäre an sich nichts Ungewöhnliches - wäre Dr. Palatsik nicht 72 Jahre alt und vor vier Jahren bereits in den Ruhestand geschickt worden.

Mit 72 Jahren zurück in der Praxis: Dr. Palatsik. (Foto: Foto: dpa)

Ende 2004 hatte er seine Landpraxis schließen müssen, weil per Gesetz Ärzten, die älter als 68 Jahre waren, die Behandlung von Kassenpatienten untersagt war.

Doch seit kurzem gilt die Altersgrenze nicht mehr, und nun können sich Ärzte im Ruhestand noch bis 31. März 2009 um eine Wiederzulassung bemühen. "Es war ein Fall von Altersdiskriminierung", sagt Palatsik, der nach dem Aus für den umstrittenen Paragraphen 95 Absatz 7 Satz 3 im Sozialgesetzbuch V umgehend die erneute Zulassung bei der Kassenärztlichen Vereinigung als Vertragsarzt beantragte.

Im Zuge der Gesundheitsreform hatte der Bundesrat im November 2008, kaum bemerkt, nach jahrelangem Rechtsstreit die Altersgrenze für Vertragsärzte gekippt. Die durften zuvor zwar weiter übers 68. Lebensjahr hinaus Privatpatienten behandeln, wie es ihnen gefiel; ihnen war auch erlaubt, 90 Tage im Jahr als Vertretung für Kassenärzte zu arbeiten - nur eine eigene Praxis für Kassenpatienten durften sie in der Regel nicht mehr betreiben. "Ich empfand das als eine Form der Enteignung", sagt Palatsik. Er schloss sich einer Ärztegruppe an, die gerichtlich gegen das Gesetz vorging.

Seitdem die Altersgrenze 1993 aus Angst vor einem massiven Ärzteüberschuss eingeführt worden war, war sie vor Gerichten umkämpft, hielt aber stand. So hatte 1998 das Bundesverfassungsgericht die Regelung für grundgesetzkonform erklärt und änderte seine Meinung auch nicht, nachdem das Allgemeine Gleichberechtigungsgesetz, auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, eingeführt worden war.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) erkannte 2007 zwar, dass Altersbeschränkungen - wie sie etwa auch für Richter, Piloten oder Schornsteinfeger gelten - gegen das EU-Diskriminierungsverbot verstießen, aber zulässig seien, wenn sie der besseren Verteilung der Beschäftigten zwischen den Generationen dienen. Auch das Bundessozialgericht bestätigte die Rechtmäßigkeit der Regelung mehrmals.

Doch die demographischen Bedingungen ändern sich auch unter Medizinern rasant. Obwohl trotz Altersgrenze die Mitgliederzahl dieser Berufsgruppe stieg (zwischen 1997 und 2006 von 123.255 auf 132.895), stieg auch das Durchschnittsalter der praktizierenden Ärzte von 1993 bis 2006 um fünf auf 51,1 Jahre.

Vor diesem Hintergrund, und um das juristische Tauziehen zu beenden, zumal nachdem das Sozialgericht Dortmund im Sommer eine erneute Überprüfung der Altersgrenze durch den EuGH empfohlen hatte, änderte die Politik das Gesetz. In manchen ländlichen Regionen mit akutem Ärztemangel galten ohnehin bereits Ausnahmen, um die Versorgung zu sichern.

Auch in den Moordörfern rund um Lägerdorf, wo Dr. Palatsik praktiziert, gab es einst vier Ärzte - zuletzt aber nur noch einen einzigen für etwa 3000 Menschen. Ein geeigneter Nachfolger für Palatsiks Praxis fand sich nicht, nun darf er weitermachen, so lange es geht. Und das kann, glaubt der 72-Jährige, tatsächlich lange sein: "Körperliche und geistige Leistungsfähigkeit sind absolut individuell. Man kann auch mit hundert Jahren gesund sterben."

© SZ vom 30.12.2008/sonn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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