Akademischer Ausverkauf:Lehre zum Spottpreis

Lesezeit: 3 min

Privatdozenten und Lehrbeauftragte müssen sich für karge Honorare an den Hochschulen verdingen.

Katja Riedel und Claudia Schuh

Neun Euro: Das sind drei Feierabendbier, zwei Laib Brot, ein Taschenbuch. Oder 45 Minuten Lehre, abgehalten von jungen, arbeitswilligen Akademikern an einer der drei Exzellenz-Hochschulen Deutschlands, an der Münchner Universität. Dort ist Magnus Treiber Lehrbeauftragter und gibt für 270 Euro im Semester ein Grundlagenseminar in Ethnologie. Nicht eingerechnet ins Honorar sind all die vielen Stunden, in denen er sich vorbereitet, Studierende berät, Hausarbeiten korrigiert. So bleibt, ehrlich kalkuliert, ein karger Lohn: "Das sind faktisch zwei, drei Euro pro Stunde." Die Bezahlung reiche nicht mal für ein U-Bahn-Ticket. Es sei ein hartes Pflaster, über das man gehen müsse, um die Chance auf eine wissenschaftliche Laufbahn zu wahren.

Mitunter gibt es keinen Cent: Mancher Lehrbauftragte lebt unter Hartz-IV-Niveau. (Foto: Foto: photodisc)

Aus Protest gegen ein System der Ausbeutung haben die Lehrbeauftragten der Ethnologie im vergangenen Semester ihre Lehraufträge nicht angenommen. Laut Bayerischer Lehrauftrags- und -vergütungsvorschrift stünden ihnen zwischen 21 und 60,60 Euro pro Unterrichtsstunde zu - die freilich mit Verweis auf den klammen Haushalt nie gezahlt wurden. Gebracht hat der Protest bisher lediglich Gespräche: mit Institutsvertretern, Dekanat und Universitätsleitung.

"Es ist völlig klar, dass die schlechte Bezahlung der Lehrbeauftragten ein unbefriedigender Zustand ist", sagt Bernhard Huber, Rektor der Münchner Uni. Die Fakultäten stünden vor der Wahl: Entweder Lehraufträge gleichbleibend schlecht zu bezahlen oder weniger Verträge zu vergeben. Das aber ist wohl bei steigenden Studentenzahlen und einer höheren Pflicht-Stundenzahl in Bachelor-Studiengängen nur eine theoretische Alternative. Huber äußert Verständnis für den Unmut der Dozenten, gibt aber zu bedenken, dass ein Lehrauftrag weder den Lebensunterhalt noch das grundständige Lehrangebot sichern soll. "Veranstaltungen von Lehrbeauftragten sollten ein add on sein", sagt Huber, also ein Zusatzangebot zur regulären Lehre.

Doch genau hier hakt es. Während bundesweit Vollzeitstellen für Wissenschaftler reduziert wurden, sind heute 28 Prozent mehr Lehrbeauftragte an Hochschulen tätig als noch 1994. Zudem betrachten immer mehr Lehrbeauftragte ihre Tätigkeit als Hauptberuf.

Eine Studie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Berlin zeigt dies für die Hochschulen in der Hauptstadt. 60 Prozent der befragten Lehrbeauftragten gaben an, über ein monatliches Nettoeinkommen von lediglich bis zu tausend Euro zu verfügen, 23 Prozent sogar von weniger als 600. Matthias Jäne, der für die GEW in Berlin die Umfrage durchführte, nennt die Gruppe der Lehrbeauftragten "völlig schutzlos", weil sie nicht rechtlich vorgehen könne und nicht homogen sei. Jeder finde sein Modell, "irgendwie über die Runden zu kommen".

Von Semester zu Semester, von Lehrauftrag zu Drittmittelprojekt hangeln sich die meist promovierten oder den Doktortitel noch anstrebenden Lehrbeauftragten, die sich zumeist weiter in der Wissenschaft profilieren wollen und auf eine spätere Festanstellung hoffen. Oft ist nicht das geringe Gehalt ausschlaggebend, sondern Ehre und das Plus für den Lebenslauf.

Ähnlich ergeht es vielen Habilitierten, die als Privatdozenten manchmal ohne Vergütung zwischen mehreren Unis im In- und Ausland herumreisen, um die Chance auf einen Lehrstuhl zu wahren und die Venia Legendi (die Berechtigung, Vorlesungen zu halten) nicht zu verlieren. Privatdozenten sind zur Lehre verpflichtet, sonst verlieren sie ihren Status. Mitunter bekommen sie für den Unterricht aber keinen Cent. Und so manche Privatdozenten erlangen nie eine Professur. Der Deutsche Hochschulverband beobachtet die unsichere Lage der Dozenten mit Sorge. "Inakzeptabel" nennt Verbandssprecher Matthias Jaroch die gängige Praxis, Lehrverpflichtungen von Privatdozenten nicht zu vergüten.

Eitelkeit und Scham

Volker von Prittwitz, außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaft in Berlin, bezeichnet sich selbst als Wanderarbeiter, dessen Bezahlung weit unter Hartz-IV-Kriterien angesiedelt sei. Er macht sich stark für eine Allianz zwischen allen von "Ausbeutung" Betroffenen an den Hochschulen. Als Privatdozent und als Lehrbeauftragter pendele man zwischen Eitelkeit, Karrierewunsch und Scham wegen der fehlenden Bezahlung. Prittwitz nennt die gegenwärtige Lage eine "Katastrophe" für die betroffenen Dozenten.

Die Chancen, dass sich ein Heer von Lehrbeauftragten und Privatdozenten sammelt, das für ihre Interessen kämpft, sind aber gering - viele hoffen eben, irgendwie allein weiterzukommen.

Ein Jahr - das hat der Münchner Ethnologe Treiber sich als zeitliche Grenze gesetzt, dann will er der Finanznot entkommen und sich eine Arbeit suchen, von der er besser leben kann. Am liebsten bliebe er in der akademischen Welt. Derzeit finanziert er sich zwei Tage Uni durch drei Tage Schule. An einem Gymnasium unterrichtet Treiber Deutsch und Ethik. Trotz guter Ausbildung hat er an Schulen auch keine richtige Perspektive, denn ihm fehlt das Referendariat.

Etwas besser könnte es Lehrbeauftragten gehen, wenn die zuständigen Uni-Kommissionen ein höheres Entgelt als Maßnahme zur Verbesserung der Lehre anerkennen. Dann wäre es möglich, höhere Honorare für die "Generation Lehrauftrag" aus den vielerorts eingeführten Studiengebühren zu bezahlen. Profitieren könnten Dozenten auch vom Hochschulpakt, den Bund und Länder vereinbart haben, um den Studentenandrang zu bewältigen. Rund eine Milliarde Euro sollen dafür bis 2010 fließen. Mit dem Geld wollen die Hochschulen neue Stellen für Wissenschaftler schaffen.

© SZ vom 27.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: