Ärzte:Operation Traumberuf beendet

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Bereits jeder sechste Mediziner verweigert den Dienst am Krankenbett - und widmet sich lohnenderen Jobs.

Von Anja Dilk

(SZ vom 9.8.2003) Was waren das für Zeiten: Arzt, ein Traumberuf. Vorbei. In den Gängen vieler Krankenhäuser stehen Betten in der Warteschleife, vor den Behandlungsräumen drängeln sich Patienten. Doktoren ackern sich durch Endlosschichten, schieben Bereitschaftsdienste für ein Taschengeld und jonglieren mit einer Medizin unter Kostendruck. Wer mag da noch Arzt sein?

"Junge Mediziner fragen sich zunehmend, warum sie sich der Maschinerie Krankenhaus aussetzen sollen", sagt Hans-Jörg Freese von der Bundesärztekammer (BÄK) in Köln. "Die Arbeitszeiten sind zu lang, die Gehälter mager, die Arbeitsbedingungen sind durchweg schlecht." Und mit Familie lässt sich der Beruf schon gar nicht vereinbaren.

Die Folge: Ärzte suchen Alternativen zum Job am Krankenbett. Bereits jetzt arbeitet jeder sechste Mediziner in einem anderen Berufsfeld. Tendenz steigend. Nach Jahren der Ärzteschwemme bleibt plötzlich der Nachwuchs aus. Selbst wer das Studium erfolgreich hinter sich gebracht hat, den zieht es kaum noch in die Klinik - obwohl der Arzt im Praktikum (AiP) der einzige Weg zur Approbation ist.

Die Zahl der AiPler ist von 1994 bis 2002 nach einer Studie der BÄK und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung um fast ein Viertel zurückgegangen. "Sehr viele Ärzte haben genug", sagt Karl Kälble von der Deutschen Koordinatorenstelle für Gesundheitswissenschaft in Freiburg. Auf dem Fachkongress Via Medici im Juni diesen Jahres wurde Kälble in Pausengesprächen gefragt: "Wo liegen Berufsperspektiven für Mediziner?"

Was anderes machen

Alternativen zum Dienst am Stethoskop gibt es erstaunlich viele. Bei Krankenkassen und in Gesundheitsämtern, im Krankenhausmanagement, bei Versicherungen, im Journalismus oder in der Biotechnologie. In Pharmaindustrie und Medizintechnik werden Ärzte für Forschung, Management und Service gebraucht.

Wo Gesundheitssystem, Krankenhäuser und Versicherungen unter Druck geraten und kräftig umstrukturiert wird, gibt es einen enormen Bedarf an Experten, die sich mit Medizin einerseits und in Betriebswirtschaft, Controlling und Qualitäts-Checks andererseits auskennen. "Es wird in Zukunft immer mehr darauf ankommen, Medizin nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu prüfen", sagt Olaf Amblank, Berater bei Kienbaum Management Consultants in München und selbst Mediziner.

Zu den Märkten der Zukunft gehört auch die Medizinische Informatik. Denn immer mehr Abläufe in der Medizin werden digitalisiert, in Form von Krankenblättern mit Bilddaten etwa. Gute Chancen hat da, wer sich in Medizin, Informatik und Betriebswirtschaft auskennt.

Noch mal studieren

Kein Wunder, dass Bildungsangebote für Mediziner boomen. Die längste Tradition hat Public Health. Anfang der neunziger Jahre ins Leben gerufen, gibt es die zweijährigen Aufbaustudiengänge mittlerweile an neun Universitäten. Voraussetzung: ein abgeschlossenes Studium, je nach Hochschule am besten in Medizin oder medizinnahen Fächern. Es geht um Gesundheitsförderung und Prävention, um Rehabilitation und Ökonomie. "Gerade die Kombination Public Health und Medizin ist auf dem Arbeitsmarkt gefragt", so der Freiburger Koordinator für Gesundheitswissenschaft Kälble.

Nach einer aktuellen Absolventenumfrage fanden 85 Prozent nach der Zusatzausbildung einen Job im öffentlichen Gesundheitsdienst, in Ministerien oder in der Rehabilitationsmedizin, in Wohlfahrtsverbänden oder Gesundheitsorganisationen. Für die 300 Studienplätze in Public Health stehen die Bewerber Schlange. Ab Winter 2003 gibt es an der Universität Bielefeld sogar einen europäischen Public-Health-Studiengang.

Mittlerweile hat Public Health Konkurrenz bekommen. "Seit 2000 gab es einen ungeheuren Hype", sagt Experte Kälble. "Heute sind etwa 300 Studiengänge auf dem Markt, doppelt so viele wie vor fünf Jahren". Ein Strauß spezialisierter postgraduierter Studienangebote in Sachen Gesundheitswissenschaft und Gesundheitsökonomie. Oft führen sie zum Bachelor oder Master, wie der Master of Health Care an der Fachhochschule Lübeck. Daneben gibt es Weiterbildungsstudiengänge. Im Trend: MBA-Studien, bei denen Gesundheitsökonomie und Business Management im Vordergrund stehen, wie an der Business School of Health Management in Hannover. Kostenpunkt der Angebote: 4000 bis 30.000 Euro.

Stresserprobte Kandidaten

Kienbaum-Berater Amblank hält fest: "Das Studium bestimmt nicht über die nächsten vierzig Jahre. Für Juristen und Betriebswirtschaftler ist das längst selbstverständlich, für Ärzte immer noch kaum denkbar. Auch, weil der soziale Druck enorm ist." Was muss das für ein komischer Typ sein, heißt es allzu oft, der freiwillig etwas anderes macht, obwohl er den höchst angesehenen Beruf erlernt hat?

"Dabei bringen Ärzte Fähigkeiten mit, die entscheidend sind für Führungskräfte in allen Branchen", so Amblank. Es fehle ihnen zwar meist wirtschaftliches Verständnis, Teamerfahrung und Projektmanagement. Aber sie lernen grundsätzliche Dinge, die in vielen Berufen gefragt sind: Sie haben eine naturwissenschaftliche Ausbildung, können mit kritischen Situationen und Stress umgehen, sie sind gewohnt, mit ganz unterschiedlichen Menschen zurechtzukommen und komplexe Zusammenhänge einzuordnen. Amblank: "Es gibt viel mehr Mediziner in der Wirtschaft als bekannt ist. Wer weiß schon, dass Michael Dell von Dell-Computer Arzt war?"

Frust reicht nicht

Freilich reicht es nach Einschätzung von Kienbaum-Berater Amblank nicht, eine Weiterbildung zu besuchen oder ein Aufbaustudium draufzusatteln. "Gerade wenn ich mir außerhalb der Medizin einen Job suchen möchte, kommt es auf die second wings an": Auslandsstudium, Jobben in anderen Bereichen oder ehrenamtliches Engagement. "Mit solchen Erfahrungen zeige ich, dass ich breit interessiert bin und mehr kann als Arzt sein." Und wer bereits im Krankenhaus arbeitet, sollte sich Zusatzaufgaben suchen, die außerhalb der klassischen Medizin liegen. Sei es die Betreuung der Großgeräte oder Verwaltungskram. Unbedingt zu empfehlen: die Promotion. Amblank: "Das steigert den Marktwert gewaltig".

Wer den weißen Kittel auszieht, sollte wissen, wo er hin will. "Diffuser Frust reicht nicht", sagt Kienbaum-Berater Amblank. "Zum einem muss ich Lust auf das neue Berufsfeld haben. Zum anderen muss ich das systematisch angehen - wie bei einem Therapieplan."

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