Spitzen-Uni:Ganz oben im Elfenbeinturm

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Im "All Souls College" in Oxford forscht die Elite der Eliten - für Exzellenzinitiativen wie in Deutschland haben die Fellows nur ein dezentes Schmunzeln übrig.

Jeanne Rubner

Ganze zehn Minuten war Deutschland ihm wert, mehr nicht. Zehn Minuten lang hat Angelos Chaniotis über die Möglichkeit nachgedacht, nach Heidelberg als Universitätsrektor zurückzukehren.

Leuchtfeuer des Wissens: Eingang zum All Souls College in Oxford (Foto: Foto: istockphoto.com)

Der 47-jährige Altertumsforscher streicht sich eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und lässt den Blick von seinem Schreibtisch über das alte Gemäuer des All Souls College in Oxford schweifen.

Rektor, das ist schließlich nicht irgendein Job, vor allem, wenn man einer der besten Hochschulen Deutschlands vorsteht. Ja, er liebt Heidelberg, gleich nach seinem Studium in Athen ist der Grieche dorthin gegangen, fast 20 Jahre hat der Spezialist für antike Inschriften in der Stadt am Neckar verbracht.

Deutschland wegen der Vorschriften verlassen

Er hat sich in der Hochschulpolitik engagiert, ist Vize-Rektor geworden. Er ist geblieben, bis er es nicht mehr ausgehalten hat, vor lauter Vorschriften, die Deutschland für seine Forscher bereithält. Und hat sich den Ort auf der ganzen Welt ausgesucht, wo er die größte Freiheit genießt: The College of all Souls of the Faithful Departed.

Wo sie früher für die Seelen der Gläubigen beteten, hat Angelos Chaniotis die Freiheit für Seele und Geist gefunden. Nur wenige Schritte trennen das Forscherparadies von Oxfords quirliger High Street.

Wer gleich neben der gotischen Kirche St. Mary im Schatten der eleganten Radcliffe Camera durch das schmale Holzportal von All Souls tritt, vorbei am wachsamen Pförtner hinter der Glasscheibe, den umfängt klösterliche Stille.

Niemand stört die Ruhe des Innenhofs mit dem akkurat getrimmten grünen Rasen, gelegentlich schlendert ein sehr in Gedanken versunkener Mensch vorbei, kommt von der Bibliothek, überquert den Hof und steigt die steile Stiege zu seinem Denkerstübchen hoch.

Ein Ort wie geschaffen für die Meditation, die Luft scheint wie angefüllt von den Gedanken der paar Dutzend auserwählten Menschen, der Fellows, die hier ihrer größten Leidenschaft frönen: der Forschung in verschiedenen Fachrichtungen, seien es Wirtschafts- oder Rechtswissenschaften, Physik, Philologie oder Rechtsgeschichte.

Es gibt im All Souls keine Studenten

All Souls - das ist die Elite der Elite. Schon Oxford gilt den Ranglisten zufolge als Europas beste Hochschule, weltweit rangiert die älteste Universität des angelsächsischen Raums unter den ersten vier. Im kleinen Städtchen an der Themse pflegt man die Spitzenposition durch eine rigorose Auswahl der Besten unter den besten Studenten und Professoren, eine Auslese, die wohl jeden deutschen, an den Gleichheitsgedanken gewöhnten Bildungspolitiker erschaudern ließe.

In All Souls gibt es keine Studenten, das ist eine Besonderheit, auch deshalb können die Wissenschaftler sich auf das Denken konzentrieren. Wenn Oxford Europas höchster Leuchtturm des Wissens ist, dann ist All Souls so etwas wie das Leuchtfeuer.

Sicher, Balliol College ist älter, St. Johns reicher, Christ Church imposanter. Doch an Exzellenz und Exzentrik übertrifft All Souls sie alle. Ruf und Rituale, sie werden hier sorgsam genährt und gepflegt. Auch wenn sie manchmal ein wenig absurd wirken, wie die Sache mit der Ente, von der Warden John Davis, der Rektor, erst widerstrebend, dann amüsiert erzählt.

Exzentriker jagen eine Holzente über den Hof

Alle hundert Jahre, zuletzt war das 2001, marschieren sie über den Hof und singen den "Mallard-Song", weil beim Bau des Colleges um das Jahr 1438 herum durch den Erzbischof von Canterbury Henry Chichele, eine Ente aus den Mauern flog.

Heute erzählen Oxfords Fremdenführer gerne von den Exzentrikern, die eine Holzente über den Hof jagen und zeigen durch das schwere Eisengitter auf den Raum, in dem abends im Kerzenschein die Fellows zusammenkommen. So überlebt selbst in der Moderne das Gerücht von der All Souls Secret Society, der leicht verrückten Geheimgesellschaft.

Die Exzentriker sitzen derweil vergnügt beim Nachtisch. Die schwarzen Roben, die sie trugen beim Drei-Gänge-Menü mit Lammhaxe an Minze im weitläufigen Speisesaal unter dem strengen Blick des Erzbischofs Chichele in Öl, haben sie jetzt abgelegt.

Der Warden, dessen Figur die Freude am guten Essen verrät, präsidiert; der jüngste Fellow in der Runde, Peter Thonemann, sitzt am Ende der Tafel. Karaffen mit edlem Port, Madeira und 1996er-Bordeaux kreisen, man schiebt sie mit sonderbar geformten Stöcken über den Tisch, reicht den französischen Käse herum, unterhält sich gepflegt und unangestrengt.

Wenn immer eine Karaffe leer ist, springt Thonemann auf, drückt einen Knopf an der Wand. Sekunden später kommt der Butler und bringt Nachschub.

Es gibt keine Vorschriften

Ein schönes Ritual. Die Regeln werden mündlich überliefert, "man kennt sie erst, wenn man dagegen verstoßen hat", sagt Thonemann.

Er ist gerade 28 Jahre alt, als "Prize Fellow" zählt der Althistoriker zum illustren Nachwuchs von All Souls und hat wohl eine große Karriere vor sich. Harvard? Nur ein knappes Lächeln kommt ihm von den Lippen. Auch dort könnte er hingehen, aber das möchte er nicht, weil All Souls doch einen anderen "Spirit" habe.

60 000 Pfund, das sind knapp 90 000 Euro, erhält er jährlich, sieben Jahre lang, das ist fast so viel wie ein Senior Fellow mit Dauerstelle. "Wir sind sozialistisch", spottet Rektor John Davis, doch die Gleichbehandlung schaffe auch eine eingeschworene Gemeinschaft.

Als einer der Fellows, er hatte keine Familie, an Alzheimer erkrankte, durfte er über die Pensionierung hinaus im College bleiben. Und als kürzlich ein Fellow mit 61 Jahren starb, weinte sogar der Butler bei der Beerdigung. "They do things their way" - sie leben auf ihre Art, sagt auch der talentierte Koch, und das ist als Kompliment gedacht.

60.000 Pfund sind, auch wenn man Gratis-Unterkunft und Verpflegung einbezieht, kein sonderlich üppiges Salär für weltweit gehandelte Asse der Wissenschaft. In Berkeley oder Princeton, wo man Chaniotis auch haben wollte, wäre sein Gehalt höher gewesen.

"Endlich wieder in der Bibliothek sitzen"

Er hat seine Beamtenpension aufgegeben, seinen Lehrstuhl, seine Assistenten und seine Sekretärin - all die Insignien der Macht eines deutschen Professors. "Das Schönste ist, endlich wieder in der Bibliothek zu sitzen", sagt Chaniotis, in Deutschland ließe mancher Professor sich die Bücher bringen, aus Zeitnot und um ja nicht auf einen Studenten zu stoßen, der eine Frage habe.

Nicht dass Chaniotis etwas gegen Studenten hätte. Er ist ein begeisterter Lehrer, der von seinen alten Graffiti auf den antiken Säulen erzählen kann wie von einem Krimi. Nur, die zehn Wochenstunden, die deutsche Professoren aufgebrummt bekommen, dazu der ganze Verwaltungskram - das sei zu viel. In All Souls gibt es keine Vorschriften, man vertraut den Fellows, auch das ist eine ungeschriebene Regel.

"Sie dürsten hier alle danach, zu ihrem eigentlichen Job zurückzukehren", sagt Fellow Thomas Seaman. Der schlanke Mann mit den feinen Gesichtszügen ist fürs Geld zuständig. Der frühere Investmentbanker managt die Liegenschaften und Aktiendepots im Wert von 220 Millionen Pfund.

"Wir denken nicht in Quartalen, sondern in Jahrzehnten."

So wie die Forscher in aller Ruhe Höchstleistungen erbringen, ohne Druck und Kontrolle, pflegt Seaman den Reichtum von All Souls: "Wir denken nicht in Quartalen, sondern in Jahrzehnten." Die bald 600-jährige Tradition macht selbstbewusst, sie wissen hier um ihre Werte, behutsam erneuern sich Reichtum und die wissenschaftliche Elite.

War nicht die altehrwürdige Ruprecht-Karls-Universität auch einmal Hort der Tradition, war nicht Heidelberg Vorbild Europas? Deutschlands Hochschulen seien kaputtgemacht worden durch zu viele Studenten, zu wenig Geld und zu viel Bürokratie, sagt Chaniotis.

In Oxford hat man sich bislang erfolgreich gewehrt gegen das Ansinnen der Londoner Regierungen, mit mehr Studenten und weniger Geld zurechtzukommen. In All Souls sowieso, wo sie dank ihres Reichtums unabhängig von Staat und Steuern sind.

Über die Exzellenzinitiative, mit der jetzt aus Deutschlands vernachlässigten Universitäten ein paar Elite-Hochschulen erwachsen sollen, kann Angelos Chaniotis nur bitter lächeln. Wer Elite wolle, müsse viel, sehr viel investieren. Die Universitäten bräuchten weitaus mehr Geld, möglichst ein eigenes Vermögen wie All Souls, um die Studenten besser zu betreuen und die Professoren zu entlasten.

"Das akademische Leben in Deutschland ist wie eine Reise durch den Dschungel von Prüfungsordnungen, Gesetzen und Wachposten in Ministerien", sagt er und lässt seinen Blick auf der verwinkelten Architektur von All Souls ruhen. "Für mich ist diese Reise jetzt zu Ende." Zumindest vorläufig, ein wenig schmerzt der Abschied doch. Denn er liebt ja Heidelberg, aber der Preis dort zu arbeiten, der sei sehr hoch.

© SZ vom 21.2.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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