Assement-Center:Panik vor dem Postkorb

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Viele Bewerber fürchten sich vor den Strapazen des Assessment Center.

Anja Dilk

(SZ vom 2.2.2002) Oh nein. Schon wieder ein Rollenspiel. Fünfzehn Minuten im Leben eines Verkaufschefs, hautnah simuliert. Auge in Auge mit einem erzürnten Kunden. Wie kommt man da durch? Wie bietet man den kühl analysierenden Blicken der vier Beobachter ein überzeugendes Bild? Wie schafft man es, während des Bewerbungsmarathons auch noch erfolgreich ein Assessment Center (AC) zu bestehen?

Derlei Szenarien bereiteten dem Volkswirt Roland Morsky nach dem Diplom am meisten Kopfzerbrechen. Dass ihm die gefürchtete Auswahlmühle nicht erspart bleiben würde, war dem 30-Jährigen klar. Denn wer einen Job als Führungskraft sucht, das wusste Morsky, kommt in vielen Unternehmen an einem Assessment Center nicht vorbei.

Mehr als 150 Großunternehmen in Deutschland schicken ihren Führungsnachwuchs in Assessment Center. So wollen sie das geeignete Personal finden oder altgediente Mitarbeiter auf ihre Stärken und Schwächen durchleuchten. Von der Telekom bis zur Lufthansa, von der Hypovereinsbank bis zur Colonia-Versicherung. Im Assessment Center sollen Profis den Bewerbern richtig auf den Zahn fühlen, testen, wie sie sich unter extremen Druck verhalten, wie sie im Team arbeiten, wie kreativ sie sind, ob sie die richtigen Fähigkeiten für das jeweilige Job-Profil mitbringen, wie das Unternehmen sie optimal einsetzen und ihre Entwicklung fördern kann.

Wo ist der Top-Nachwuchs?

Das englische Wort "Assessment" bedeutet "Einschätzung, Beurteilung". In den dreißiger Jahren von deutschen Wehrmacht-Psychologen zur Auswahl von Offiziersanwärtern erdacht, entwickelten die Amerikaner das Verfahren weiter und setzten es für die Personalauswahl von Unternehmenschefs ein. Ende der siebziger Jahre schwappte der Trend nach Deutschland zurück. Mehr und mehr Firmen nutzten Assessments, um ihrem Nachwuchs auf den Zahn zu fühlen.

Beispiel Siemens. "In den frühen Achtzigern haben wir Assessment Center aufgebaut", sagt Bernd Pitzer, Personalleiter bei Siemens in München. "Damals haperte es an Personal aus dem Vertrieb und der Datenverarbeitung mit klaren Qualifikationen. Mit Hilfe dieser diagnostischen Methode wurden wir sicherer bei Neueinstellungen. Heute gibt es neue spezifische Studiengänge. Absolventen mit den richtigen Qualifikationsprofilen zu finden, ist daher nicht mehr so schwer wie damals."

Deshalb gehen inzwischen bei Siemens nicht mehr Einsteiger, sondern vor allem interne Kandidaten für Führungsposten durchs AC. "Wir wollen damit rausfinden: Wo ist der Top-Nachwuchs im Unternehmen, wo muss nachgeholfen werden."

Schwitzen beim Small Talk

Bis zu zwölf Kandidaten werden ein bis drei Tage von geschulten Beobachtern - in der Regel Psychologen oder Personaler aus dem Unternehmen - bei einer Reihe von Gruppen- und Einzelübungen akribisch durchleuchtet. Ein Standard-Assessment-Center gibt es nicht. Die meisten Unternehmen entwickeln eigene Modelle. Fast überall üblich: Selbstpräsentation, Gruppendiskussionen, Rollenspiele, Postkorb-Übungen.

In einigen Unternehmen folgt der bohrende Beobachter-Blick den Teilnehmern bis zum Abendessen oder in die Kaffeepause. Wie gibt sich der Teilnehmer in lockerer Atmosphäre? Was gibt er von sich preis? Kann er sich benehmen, macht ihm lässiger Small Talk Mühe? "Das unterschätzen die Kandidaten oft", sagt Stefan Steigerwald vom Assessment-Training der Barmer Ersatzkasse in Essen. "Aber gerade hier wird das Sozialverhalten gecheckt."

Auch deshalb fürchten sich Menschen wie Roland Morsky vor dem Assessment Center: Da wird man bis zum letzten Bissen seziert, in Stress-Interviews gezwirbelt, in Gruppendiskussionen aus dem Tritt gebracht.

Blutrünstiges Image

"In der Öffentlichkeit haben Assessment Center oft ein übertrieben blutrünstiges Image", sagt Siemens-Personaler Pitzer. "Unprofessionelle Assessment Center haben die Methode in Verruf gebracht. Doch wenn es gut gemacht ist und nicht aus irgendeinem Ratgeber-Buch zusammengebastelt, ist das AC ein hervorragendes Verfahren. Unsere Mitarbeiter werden hier zum ersten Mal mit einem sehr gründlichen Feedback konfrontiert. Auch wenn es nicht gut ausfällt: Den Leute wird dadurch oft zum ersten Mal klar, was sie noch dazu lernen können und müssen, um weiterzukommen. Deshalb schätzen viele das Assessment Center durchaus."

Jürgen Rohrmeier von Kienbaum International Consultants in Gummersbach sieht das ähnlich: "Natürlich kann ein Ergebnis brutal für den Teilnehmer sein. Aber hier erfährt man wenigstes das Ergebnis und es gibt vor allem ein fundiertes Feedback."

Dennoch sind kritische Stimmen in den vergangenen Jahren lauter geworden: Die Testsituationen im Assessment Center seien nicht vergleichbar, die Aufgaben nicht realistisch, das Verfahren nicht flexibel genug und zu einseitig, um die Eignung für die immer komplexeren Jobs in der Arbeitswelt zu testen.

Und natürlich sind Assessment Center teuer. Um die 2500 Euro pro Tag und Bewerber muss eine Firma mindestens investieren, schätzt Kienbaum-Mann Rohrmeier. Viel Geld in Zeiten der Flaute, in der Unternehmen flexibel auf den Markt reagieren müssen.

Bangen um Beförderung

Längst haben Personalentwickler daher neue Assessment-Formen entwickelt. Es gibt Gruppen- oder Einzel-Assessments und eine Reihe weiterer Modelle.

Bei den "dynamischen Assessments" drehen sich die Übungen um ein zentrales, fiktives Thema und bauen aufeinander auf, die Kandidaten müssen Maßnahmepläne und Geschäftsstrategien entwickeln. Bei "On-the-Job-Assessments" geht es um die Mitarbeiter-Beurteilung im Unternehmen; hier werden die Teilnehmer beim Lösen realer Aufgaben beobachtet, zum Beispiel bei Projektarbeit.

Mit den Inhalten verändern sich allmählich die Zielgruppen. Ähnlich wie Siemens schicken BMW oder die Deutsche Bank vor allem den internen Führungsnachwuchs ins firmeneigene Assessment, zu diesem Zweck zuweilen "Development Center" genannt. Bewerber von den Hochschulen checken die Personaler lieber in langen Interviews.

Trotz aller Skepsis: Absolventen und Nachwuchs-Führungskräfte müssen weiterhin mit Assessment-Marathons rechnen. Nach einer Studie des "Arbeitskreises Assessment Center" und der Technischen Universität Berlin setzen 53 Prozent der Unternehmen heute häufiger Assessments ein als vor fünf Jahren. Die schrecklichen fünfzehn Minuten aus dem Leben eines Verkaufschefs werden Hochschulabgängern wie Roland Morsky auch künftig nicht erspart bleiben.

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