Wie Legasthenie entsteht:Falsch verbunden

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Zwischen fünf und zehn Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an einer Lese- und Rechtschreibschwäche. Wenig ist über die Ursachen bekannt: Können die Betroffenen Laute schlecht unterscheiden oder liegt das Problem eher in dürftig verknüpften Nervenbahnen?

Von Werner Bartens

Wer nicht selbst davon betroffen ist, kann sich kaum vorstellen, was in diesen Köpfen vorgeht: Das Lesen funktioniert nur mühsam, und ein geschriebener Text sieht aus, als ob die Buchstaben mit der Gießkanne zufällig verteilt worden sind. Zwischen fünf und zehn Millionen Menschen leiden allein in Deutschland an Dyslexie - der Fachbegriff für Lese- und Rechtschreibschwäche, die umgangssprachlich als Legasthenie bezeichnet wird.

Auch Wissenschaftler wissen nicht genau, was in den Köpfen von Legasthenikern vorgeht. Ein Teil der Forscher vermutet, dass Betroffene die feinen Unterschiede zwischen den Sprachlauten nicht wahrnehmen können und die Erkennung ähnlich klingender Wörter und Silben daher erschwert ist. Im Großhirn seien die entsprechenden Laute schlicht nicht ausreichend repräsentiert. Die andere Hypothese besagt hingegen, dass die Lauterkennung im Großhirn bei Legasthenikern sehr wohl funktioniert, der Zugang zu diesen Informationen aber eingeschränkt ist.

Psychiater und Neurowissenschaftler aus dem belgischen Leuven zeigen im Fachblatt Science vom heutigen Freitag, dass bei Legasthenikern die Verbindung zwischen Nervenbahnen der Hör- und Sprachzentren beeinträchtigt ist (Bd. 342, S. 1251, 2013). An der entsprechenden Verknüpfung zwischen beiden Hirnhälften hapert es.

Die Forscher um Bart Boets verglichen 23 Erwachsene mit Dyslexie mit 22 Erwachsenen, die normal lesen und schreiben können. Im Hirnscanner zeigte sich, dass die Lauterkennung in beiden Gruppen ähnlich funktionierte. "Auch die Legastheniker hatten damit kein Problem", sagt Boets. "Die Sprachwahrnehmung war intakt."

Wurde allerdings untersucht, wie die Verbindung und Aktivierung von Nervenzentren funktionierte, die für Gehör und Sprache entscheidend sind, fanden sich große Unterschiede. "Die Lauterkennung ist da, aber die Weiterverarbeitung ist gestört", sagt Boets. Die Verknüpfung mit 13 anderen Hirnregionen, darunter auch den Sprachzentren, war mangelhaft.

Für Kognitionsforscher wie Franck Ramus aus Paris ist die aktuelle Studie "die ergiebigste zum Thema aus den letzten fünf Jahren". Andere Neurowissenschaftler äußern sich hingegen skeptisch und bezweifeln, dass ein paar flackernde Aktivitätsmuster im Hirnscanner die unterschiedliche Sprachverarbeitung angemessen wiedergeben. Nur zu untersuchen, wer ba-ba-ba-da-da-da-Folgen richtig erkenne, sei zu einfach. Man müsse vielmehr die Reaktion auf Laute testen, mit denen Legastheniker im Alltag kämpfen, fordert die Linguistin Iris Berent.

© SZ vom 06.12.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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