Sprachstörung Stottern:Steine im Redefluss

Der Film "The King's Speech" über George VI. nutzt das Stottern eines Königs als Stoff für ein Drama. Obwohl Forscher immer mehr körperliche Ursachen für das Phänomen finden, ist es bis heute ein Rätsel.

Thomas Hallet

Als David Seidler in jungen Jahren vor dem Radio saß und den Reden des englischen Königs George VI. lauschte, da fühlte er sich verbunden mit Seiner Majestät. Denn Seidler, der das Drehbuch zu "The King's Speech" geschrieben hat, war selbst ein Stotterer. Er bemerkte, wie der König nach und nach seinen Redefluss verbessern konnte.

Sprachstörung Stottern: Der Film über König George VI. (das Bild zeigt ihn im Jahre 1940) hat die Aufmerksamkeit auf das Stottern gelenkt. Bis heute sind die Rätsel des Stotterns immer noch nicht gelöst. Die Daten von Hirnforschern helfen aber, das Phänomen besser zu verstehen.

Der Film über König George VI. (das Bild zeigt ihn im Jahre 1940) hat die Aufmerksamkeit auf das Stottern gelenkt. Bis heute sind die Rätsel des Stotterns immer noch nicht gelöst. Die Daten von Hirnforschern helfen aber, das Phänomen besser zu verstehen.

(Foto: AP)

Das machte ihm Hoffnung. Im Film trifft George VI. auf den exzentrischen Therapeuten Lionel Logue, der ihm mit Fragen nach seiner Kindheit zu Leibe rückt und ihn mit drastischen Methoden dazu bringt, das Stottern zu überwinden.

"The King's Speech" beruht auf wahren Begebenheiten, wie es in der Filmankündigung heißt. Hätten Wissenschaftler am Drehbuch mitgeschrieben, wäre allerdings kein massentauglicher Film dabei herausgekommen.

Denn sie hätten bei der Frage nach der Ursache des Stotterns keine kurze Antwort geben können, wie gerade auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science (AAAS) in Washington abermals deutlich wurde.

Dagegen legt der Film nahe, dass eine bedrückende Kindheit das Leiden des Königs ausgelöst hat. Guter Stoff für dramatische Beziehungen - aber als Erklärung fürs Stottern genauso überholt wie die Ansicht des österreichischen Chirurgen Johann Friedrich Dieffenbach. Der hatte im 19. Jahrhundert praktiziert und behauptet, dem Stotterer sei seine Zunge im Weg; man sollte sie operativ verkürzen.

Im Jahr 2011 sind die Rätsel des Stotterns immer noch nicht gelöst: Warum fangen Kinder plötzlich an zu stottern, meist im Alter von zwei bis vier Jahren? Warum wächst es sich oft wieder aus? Warum reden Stotterer oft auch ganz normal? Weshalb hilft nur bei einigen eine Sprachtherapie? Immerhin haben in den letzten Jahren vor allem Messmethoden der Hirnforschung geholfen, das Phänomen besser zu verstehen. Einige Arbeiten wurden jetzt auf AAAS vorgestellt.

Beim flüssigen Sprechen spielen Gehirn und Muskeln auf komplexe und äußerst schnelle Weise zusammen. Wir nehmen es als selbstverständlich hin, dass es nur Sekundenbruchteile dauert, bis ein Gedanke zu einer grammatikalisch korrekten Wortfolge vorbereitet ist und sauber ausgesprochenen werden kann.

Dass einem Stotterer dies nicht immer gelingt, dass sich Laute wiederholen und dass sein Redefluss stockt, lenkt ihn und seine Zuhörer vom Inhalt ab. Stotterer haben darunter zu leiden, dass ihnen die ganz normale Kommunikation nicht gelingt. "Ich will nicht der irre King George, der Stotterer, sein", klagt die Hauptfigur des Films. Man leidet mit ihr.

Festhängen an Buchstaben

Die Messungen der Hirnfunktionen haben gezeigt: Stotterer haben Mühe, die Befehle des Sprachzentrums automatisch in die Bewegungen des Sprechapparates zu übersetzen. Während die dafür zuständige Hirnregion bei normal Sprechenden unauffällig arbeitet, ist ihre Aktivität bei Stotterern deutlich erhöht - ein Zeichen dafür, dass der normale Redefluss nicht sauber ausgeführt werden kann.

Das Festhängen an Buchstaben sei dabei nicht so schwerwiegend, sagte Anne Smith von der Purdue University in Indiana. Viel beklemmender seien die kurzzeitigen Sprachblockaden beim Stottern, "der komplette Zusammenbruch der motorischen Steuerung".

Offenbar sind die motorischen Defizite aber nicht auf die Sprachsteuerung begrenzt. Smith berichtete von Tests an stotternden Kindern, die im Takt klatschen sollten: Sechs von zehn waren dabei deutlich schlechter als nicht stotternde Testpersonen. Luc de Nil von der University of Toronto hat ähnliche Beobachtungen an Erwachsenen gemacht: Stotterer können feinmotorische Bewegungen schlechter steuern als andere Leute. Nur wenn sie langsamer vorgehen, gelingt ihnen Präzision.

Es scheinen demnach hirnmechanische Defekte zu sein, die den Stotterern das Sprechen so schwer machen: Was normalerweise automatisch und effizient abläuft, ist bei ihnen störanfällig und übererregt. Aber woran liegt das? Nicht an der Psyche. Darin sind die Experten mittlerweile einig.

Es sind wohl eher Besonderheiten bestimmter Nervenzellen und ihrer Verknüpfungen. Dennis Drayna vom Nationalen Institut für Gehörlosigkeit und Sprachstörungen in Maryland sucht die Spur bei Familien, in denen Stottern besonders häufig vorkommt. Dort hat er Mutationen mehrerer Gene identifiziert, deren Produkte an wichtigen Abbauprozessen der Zelle in den sogenannten Lysosomen beteiligt sind. Sie arbeiten nicht so wie im Normalzustand. Offenbar sind nur bestimmte Zellen anfällig für diese Veränderungen - und zwar solche, die schon auf die leicht veränderten Stoffwechselprozesse sensibel reagieren.

Dazu scheinen jene Nervenzellen zu gehören, die für die Sprachmotorik sorgen. Draynas Beobachtungen können allerdings nur ein Anfang sein, denn die beschriebenen Mutationen wurden nur in zehn Prozent der betroffenen Familien nachgewiesen.

Von solchen Komplikationen hatte George VI. keine Ahnung, und der Drehbuchschreiber David Seidler musste sein Werk damit auch nicht befrachten. Für den Film und für das Drama des Königs ist allerdings gut, dass die Biologie im Fall des Stotterns kein Schicksal ist: Das Gehirn ist plastisch und lernfähig.

Durch zähes Training können Stotterer das Eigenleben ihrer Nervenzellen zügeln. Sie werden zwar in einer Therapie nicht geheilt. Aber wie King George können sie lernen, den gestörten Sprachfluss besser zu steuern und gelassener damit umzugehen.

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