Zocken mit Derivaten:Schlag gegen die Finanzhasardeure

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Zocker müssen sich nicht darum scheren, was sie mit ihren zynischen Wetten anrichten. Das soll sich jetzt ändern.

Ulrich Schäfer

Wenn ein Pharmakonzern ein Medikament auf den Markt bringen will, muss er vorher Tausende Tests machen. Seine Arznei muss Studien in mehreren Phasen überstehen. Denn Pillen und Säfte entfalten manchmal tödliche Nebenwirkungen. Erst wenn klar ist, dass der Nutzen eines Medikaments groß und die damit verbundene Gefahr klein ist, darf es in den Handel kommen. Wenn eine Bank ein Derivat entwickelt, ein riskantes Finanzkonstrukt, sind keine Tests erforderlich.

Es wacht keine Zulassungsbehörde darüber, ob die Bank das Derivat auf Nebenwirkungen hin untersucht hat. Was ein Banker morgens erfindet, darf er nachmittags in den Handel bringen - egal, ob es sich um ein Knock-out-Zertifikat für Kleinanleger handelt oder um einen Credit Default Swap, mit dem Profis auf den Bankrott von Lehman Brothers oder von Griechenland wetten.

Die Derivate-Zocker müssen sich - bislang jedenfalls - nicht darum scheren, ob sie mit ihren Finanzwetten ein Unternehmen, eine Bank oder ein ganzes Land in den Ruin treiben. Genau dies wollen die Regierungen von Deutschland, Frankreich und Luxemburg nun ändern.

Sie haben die EU-Kommission aufgefordert, einige besonders gefährliche Finanzwetten zu verbieten. Damit wäre noch keine Zulassungsbehörde für Finanzprodukte geschaffen, wie sie Ökonomen, darunter die Nobelpreisträger David McCurren und Joseph Stiglitz, fordern. Immerhin aber würden erstmals hochriskante Derivate vom Markt genommen.

Dies wäre ein Schlag gegen jene Hasardeure, die in zynischer Weise auf den Niedergang von Unternehmen und Staaten setzen. Solch ein Verbot hätte längst verhängt werden müssen, aber die Politiker unterließen es aus Furcht vor jenen Banken, die damit ihr Geld verdienen.

Seit dem Ausbruch der Krise warnen die Lobbyisten der Geldindustrie unermüdlich, dass eine allzu harte Regulierung der Finanzmärkte der gesamten Wirtschaft schaden würde. Sie unterschlagen dabei, welche gewaltigen Schäden drohen, wenn diese Regulierung unterbleibt und schon bald die nächste Krise hereinbricht.

Eineinhalb Jahre nach dem Bankrott von Lehman Brothers und der Pleite des weltgrößten Versicherungskonzerns AIG scheint die Politik nun endlich begriffen zu haben, was zu tun ist. Griechenlands Kampf mit den Spekulanten hat vielen die Augen geöffnet. Merkel, Sarkozy und andere merken, dass es nicht reicht, den Banken ein höheres Eigenkapital aufzuerlegen. Sie sehen auch, dass es nicht genügt, die Boni der Banker ein wenig zu reduzieren.

Solange im glitzernden Casino die gleichen riskanten Wetten erlaubt sind, wird sich nichts ändern. Selbst Llyod Blankfein, der Chef der Investmentbank von Goldman Sachs, hat vor einigen Monaten eingeräumt, dass viele von den Banken erfundene Finanzprodukte volkswirtschaftlich ohne Nutzen seien. Manche schaden sogar. Warum also sollten solche Produkte noch zugelassen werden? Warum werden sie nicht einfach verboten?

Dies erscheint in einer Marktwirtschaft auf den ersten Blick ein radikaler Schritt zu sein. Andererseits sind gesetzliche Vorschriften die Basis für einen geordneten Geschäftsverkehr. Sie sorgen für Sicherheit und Vertrauen. Wer ein Haus baut, muss sich nach dem Baurecht richten; wer ein Chemiewerk betreibt, muss Vorsorge gegen mögliche Unglücke treffen; wer eine Gaststätte betreibt, muss Sicherheitsregeln einhalten.

Deshalb spricht alles dafür, auch den Zockern vorzuschreiben, was sie tun dürfen und was nicht. Eine Zulassungsbehörde für Finanzprodukte könnte zum Beispiel sofort den Handel mit Credit Default Swaps untersagen, also mit jenen Kreditausfall-Versicherungen, die der Investor Warren Buffett einmal als "finanzielle Massenvernichtungswaffen" bezeichnet hat.

Auch sogenannte Leerverkäufe, bei denen Spekulanten Aktien oder Währungen verkaufen, die sie gar nicht besitzen, gehören verboten. Leerverkäufe haben schon den Crash von 1929 mit ausgelöst. Danach waren sie jahrzehntelang verboten, irgendwann wurden sie wieder zugelassen. Und so haben die Leerverkäufer in der Asienkrise 1997 Länder wie Thailand und Malaysia in den Ruin getrieben; jetzt wetten die Leerverkäufer auf das Ende des Euro.

Marktpuristen argumentieren, solche Geschäfte dienten dazu, die Schwächen bei Unternehmen, Banken oder in der Politik aufzudecken. Dies mag in der Theorie ja stimmen, in der Praxis aber verkommen viele Finanzwetten zum Selbstzweck. Hedgefonds und Banken versuchen damit eine Wirklichkeit zu schaffen, die es ohne sie nicht gäbe. Sie wollen mit ihren Milliarden erzwingen, was ihnen nützt, aber vielen schadet.

Den Banken und Hedgefonds wird der Vorstoß von Merkel und Sarkozy kaum gefallen, doch die Politik sollte auf das Geschrei der Finanzlobby nicht viel geben. Die Vertreter der Geldbranche argumentieren damit, dass es ihnen um das Allgemeinwohl gehe.

Tatsächlich geht es ihnen um ihren größtmöglichen Gewinn. Nicht alle riskanten Finanzprodukte gehören deswegen verboten, wohl aber jene mit besonders gefährlichen Nebenwirkungen. Insofern hat das Drama rund um Griechenland auch sein Gutes: Endlich zieht die Politik die richtigen Lehren aus der größten Wirtschaftskrise seit 1929.

© SZ vom 10.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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