Wohnen auf dem Wasser:Das Ende der schwimmenden Schrebergärten

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Kühl, chic, ökologisch: Hamburg fördert das Wohnen auf dem Wasser und liegt damit im internationalen Trend.

Till Briegleb

Hausbootsiedlungen erwecken meist den Eindruck, als hätten ihre Besitzer die Moderne verschlafen. Karierte Vorhänge hinter kleinen Fenstern, Blumenrabatten, Holzaufbauten mit Giebeldächern und dekorative Rettungsringe, so liegen sie an bröckelnden Kaimauern. Bewohnt werden diese Kleingarten-Idyllen auf flüssigem Grund von Gunter Gabriel, der Kelly-Family und alternativen Studienräten. Aus billigen Wohnprovisorien nach dem Krieg sind emotionale Notunterkünfte für Menschen geworden, denen das Leben in der Stadt zu kalt und zu schnell ist.

Ein Floating Home in Hamburg. (Foto: Foto: Klaus Frahm/Artur Architeturbilder)

Soweit das romantische Vorurteil. Denn seit einigen Jahren bekommt die liebevoll renovierte Schute starke Image-Konkurrenz. Leben auf dem Wasser gilt neuerdings als elegante Lebensführung mit ökologischem Gewissensbonus. Die Suche des Immobilien-Sektors nach originellen Angeboten und die zeitweise Unterbeschäftigung der Architektenbranche haben den neuen Trend ebenso beflügelt wie die Prognosen des Klimawandels mit steigenden Wasserpegeln und die Diskussionen um vernünftige innerstädtische Verdichtung.

Kein Badeatoll ohne Design

Seit Ole von Beust (CDU) in Hamburg die politischen Geschäfte leitet, führt die Hansestadt eine massive Imagekampagne für den Wirtschaftsstandort Hamburg mit Stadtentwicklungsprojekten. Die Hafen-City und die Internationale Bauaustellung (IBA) in Wilhelmsburg zeugen von einem cleveren Imagetransfer aus den Bereichen Pop und linke Politik, mit dem die konservative Stadtregierung ihre Glaubwürdigkeit aufgemöbelt hat. Glamouröse Projekte wie die Elbphilharmonie von Herzog & de Meuron oder das Science-Center von Rem Koolhaas demonstrieren selbstbewusste Internationalität. Doch erst flankiert durch ökologische Prinzipentreue und ernsthafte Bürgerbeteiligung, wie Hamburg sie bei der Umsetzung seiner Pläne behauptet, entsteht politische Seriösität, die ideologiefrei und innovativ wirkt.

Die Erschließung der innerstädtischen Wasserflächen durch Wohn- und Freizeitprojekte erfüllt diese Doppelstrategie. Spektakuläre Projekte aus anderen Städten werden in größer und schöner wiederholt, zugleich wird die Sehnsucht nach dem Einfamilienhaus im kühlen Nass aber mit Designvorschriften und ökologischen Ansprüchen reguliert. Ein hundert Meter langes Badeschiff in der Außenalster, gebaut von den Architekten des Berliner Vorbilds in Treptow, Wilk und Salinas, soll 2008 die neue Siedlungsinitiative auf Elbe, Alster und Bille bekannt machen. Ein weiteres Badeatoll in der Elbe ist geplant, eine schwimmende Jugendherberge in Veddel soll die längerfristige Umwandlung des Hafenbeckens in eine Großsiedlung vorbereiten.

Schwimmende Schrebergärten soll es nicht geben. Ein offener Architekturwettbewerb am Eilbekkanal wählte aus achtzig Modellen jene zehn zur Realisierung aus, die auch in Zeitgeist-Magazinen abgebildet werden können. Nächstes Jahr soll das Designdorf schwimmen. Die Liegeplätze an zwei Stellen des Büroviertels City-Süd wurden dagegen dem Architekturbüro Förster Trabitzsch an die Hand gegeben, die mit ihrer variablen Serie "Floating Homes" mittlerweile den nationalen und internationalen Markt bearbeiten. Baggerseen im Ruhrgebiet gehören ebenso zu ihren Zielgebieten wie Kanäle in St. Petersburg. Die Russen interessieren sich allerdings weniger für die weißen dynamischen Wohninseln als für die schwimmenden Clubs und Kongresscentren mit Kino und Spa-Bereich, die Förster und Trabitzsch entwickelt haben.

Mit solchen Großprojekten stehen die Hamburger mittlerweile in Konkurrenz zu zahlreichen High-Tech-Marinaden. Was sich Jules Vernes 1895 mit der "Propellerinsel" ausgedacht hat und mit den Utopien der britischen Gruppe Archigram oder des amerikanischen Visionärs Buckminster Fuller im 20. Jahrhundert weitergeträumt wurde, ist in den Bereich des bautechnisch Vorstellbaren gerückt.

Das für Dubai und China vom deutschen Architekten Joachim Hauser geplante Unterwasserhotel "Hydropolis" scheint zwar ebenso Projekt zu bleiben wie Norman Nixons kilometerlanges "Freedom Ship", das als Stadt mit 40 000 Einwohnern um die Welt reisen sollte. Auch die diversen Entwürfe für maritime Riesenbehausungen des Italieners Giancarlo Zema bleiben wohl Traumschiffe. Noch erscheint die psychologische Barriere des Menschen, sein Leben langfristig aufs Wasser zu verlegen, den Investoren zu riskant, um solche Unternehmungen vorzufinanzieren.

Eine Barriere im Gemüt

Schon kleine Projekte schwimmender Siedlungen zeigen, dass Freizeit und Leben auf den Wellen zwei völlig unterschiedliche Dinge sind. In Holland, wo dank der akuten Bedrohung durch steigende Wasserpegel am intensivsten mit schwimmender Landgewinnung experimentiert wird, sind die Reaktionen auf derartige Wasserdörfer nicht nur euphorisch. Für die blaue Aluminium-Siedlung Ijburg etwa, die nach Entwürfen von Art Zaaijer am Rande von Amsterdam im Ijmeer installiert wird, halten sich Neugier und Skepsis die Waage. Zwar gab es für die ersten acht abstrakten Baukörper 5 000 Interessenten, zugleich aber wurde bemängelt, dass zum Traum vom Eigenheim hier sowohl das Grün wie die Sicherheit fehlen,sein Kind gefahrlos vor die Tür zu schicken. Und solange derartige Siedlungen für Familien unattraktiv bleiben, sind sie mehr ein Wohngag als eine echte Alternative zum Eindeichen. Häuser vor den Schutzwällen, die sich Dank Schwimmkörper unter dem Gebäude mit der Flut heben und senken, wie sie bei Arnheim auf der Maas stehen, sind zwar bedürfnisnäher, aber keine finale Lösung für ein Land, das zur Hälfte unterm Meeresspiegel liegt.

"Floating City" heißt ein Projekt der Technischen Universität Delft, das die technische Realisierbarkeit einer seebeheimateten Großstadt untersucht hat. Die hier für das Ijmeer zwischen Amsterdam und Almere entworfene Ansammlung geodätischer Kuppeln und schwimmender Autobahnen würde Voltaires Bonmot mit neuem visionären Inhalt füllen: Gott hat die Welt erschaffen, nur Holland nicht, das waren die Holländer. Dieser Pioniergeist in allen Ehren, aber die Erfahrung selbst der skurrilsten Wasserprojekte zeigt, dass der Normalmensch bei seinen Inselträumen gern festen Boden unter den Füßen hat. Ob die in den Persischen Golf gezeichneten Luxus-Ghettos "The Palm" und "The Earth" oder die neue Friedhofsinsel, die David Chipperfield gerade in Venedig baut - alle Wasserprojekte der jüngsten Vergangenheit werden wellenfest geplant, obwohl es auch schwimmend ging.

Bei Kurzwohneinheiten wie Hotels ist die Attraktivität der Wasserlage dagegen ungebrochen. Gerade hat der Hamburger Architekt Hadi Teherani ein neues spektakuläres Nomadenrefugium für Superreiche auf dem Wasser entworfen. Vor Dubai möchte er einen riesigen Eiswürfel mit innerem Yachthafen als Luxushotel im Golf schwimmen lassen. Das sieht dann aus wie die Design-Variante der ersten schwimmenden Stadt: der Arche Noah.

© SZ vom 17.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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