Wirtschaftsmagazine erkennen Trends zu spät:Lukrativer Verriss

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Leiden börsennotierte Unternehmen, wenn sie von Wirtschaftsmagazinen kritisiert werden? Das Gegenteil ist der Fall, wie eine US-Studie nun herausgefunden hat.

Johannes Kuhn

Im Mai 2001 prangte eine vernichtende Schlagzeile auf dem Titel der US-Wirtschaftszeitschrift Business Week: "Hinter den Kulissen von Yahoo: Die unerzählte Geschichte, wie Arroganz, Intrigen und Missmanagement eines der heißesten Unternehmen der Welt aus der Bahn geworfen haben".

Eigentlich ein Gau für den Internet-Riesen - die Zeitschrift hätte genauso gut "Werfen Sie ihre Yahoo-Aktien ins Kaminfeuer" titeln können. Tatsächlich rutschte der Kurs der Aktie gegen den Trend ab. Doch nicht lange - bald darauf zogen die Yahoo-Titel wieder kräftig an.

Einer Studie der US-Finanzwissenschaftler Tom Arnold, John Earl und David North zufolge ist dies kein Einzelfall. Sie untersuchten Titelgeschichten der Wirtschaftsmagazine Business Week, Fortune und Forbes von 1983 bis 2002. 549 Artikel ordneten sie danach, ob ein Unternehmen positiv, negativ oder neutral dargestellt wurde.

Gleichzeitig beobachteten sie, wie die Aktienkurse der betroffenen Firmen sich in den 500 Tagen vor und nach dem Erscheinen entwickelten. Die Ergebnisse sind nun im Financial Analysts Journal nachzulesen.

Nach dem Lob nur noch Durchschnitt

Demnach hatten die Unternehmen, die positiv bewertet wurden, vor dem Erscheinen des Artikels stets außergewöhnlich gut abgeschnitten. Ihre Kurse lagen im Schnitt 42,7 Prozent über dem CRSP-Index (Center for Research in Security Prices) der Universität Chicago, der von Wissenschaftlern oft dem Standard and Poor's 500 vorgezogen wird.

In einigen Fällen nahmen die Forscher auch Unternehmen aus derselben Branche mit einer ähnlichen Marktkapitalisierung als Vergleichsmaßstab.

Nachdem die Titelgeschichten erschienen waren, ergab sich jedoch ein anderes Bild: Die gelobten Unternehmen lagen anschließend nur noch 4,2 Prozent über dem Schnitt. Bei Verrissen kam es gar zur Trendwende: Entwickelten sich die Kurse solcher Firmen vor Erscheinen der Artikel mit 34,6 Prozent weit unterdurchschnittlich, ging es danach bergauf: Sie legten im Schnitt um 12,4 Prozent zu. Im Falle von Yahoo waren es sogar 58,2 Prozent.

Das Fazit der Studie ist eindeutig: "Positive Titelgeschichten zeigen meistens das Ende einer überdurchschnittlichen Performance an, negative das Ende einer unterdurchschnittlichen." Das Phänomen, Trends zu spät zu erkennen, wird auch "Recency Bias" genannt, was man in etwa mit "Kurzzeit-Vorurteil" übersetzen kann.

Dies bedeutet, dass sich Marktteilnehmer sich in ihren Bewertungen auf die jüngsten Zahlen stürzen, ohne die längerfristige Entwicklung im Auge zu behalten. Im Glauben, die aktuelle Kursentwicklung würde sich weiterhin so fortsetzen, verkennen sie den wahren Trend.

Der Internet-Evangelist und der Dotcom-Crash

Das extremste Beispiel für eine unglückliche Titelgeschichte zeigte sich in der Dotcom-Zeit. So lobte Business Week im Oktober 1999 den damaligen Chef des Internet-Dienstleisters CMGI, David Wetherell, als "Internet-Evangelisten".

Zuvor hatte die Aktie im Vergleich zum CRSP-Index um über 3280 Prozent zugelegt. Die Titelgeschichte befeuerte den Trend kurzfristig - im Jahr 2000 stieg der Kurs auf 163 Dollar pro Aktie - um dann mit dem Platzen der Dotcom-Blase auf unter einen Dollar pro Anteil zu fallen.

Für Tom Arnold, Finanzwissenschaftler an der Universität Richmond und Mitautor der Studie, liegt es in der Natur der Medien, wahren Trends hinterher zu hecheln: "Sie müssen Nachrichten verifizieren und brauchen Zeit, eine Geschichte zu recherchieren. Deshalb sind diese Artikel für viele Anleger schon an ihrem Erscheinungstag veraltet", sagt Arnold, "und natürlich gibt es immer Anleger, die ihre Aktien nach Gerüchten kaufen, egal ob bestätigt oder nicht. Deshalb ist der Markt den klassischen Medien immer einen Schritt voraus."

Trend und Vorurteil

Gleichzeitig zeigt die Studie allerdings auch einen anderen Trend: So waren fast zwei Drittel der untersuchten Titelgeschichten positiv.

Dies ist nicht nur damit zu erklären, dass negative Berichterstattung oft zu großen rechtlichen Schwierigkeiten führen kann und solche Geschichten deshalb aufwendiger zu produzieren sind; es spiegelt auch die Tendenz von Analysten wieder, lieber Kaufs- als Verkaufsempfehlungen auszusprechen.

So könnten sich die Redakteure von Wirtschaftszeitschriften unter demselben Druck wie Analysten befinden: Empfehlen sie den angeblich heißesten Trend auf dem Aktienparkett, haben sie die aktuelle Stimmung auf ihrer Seite - und wirken kurzfristig glaubwürdiger.

Schlagen sie hingegen den Kauf von Verlierer-Aktien vor, ernten sie Kopfschütteln. Umso mehr, wenn die Erholung erst nach einige Zeit nach Veröffentlichung einsetzt.

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