Wirtschaftskrisen im Vergleich:"Auftakt zur Depression"

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1929 fing es mit Bankenkrise und Börsencrash an, dann brach der Weltmarkt zusammen. Der Wirtschaftshistoriker Abelshauser sieht Parallelen.

Catherine Hoffmann

Der Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser, Professor an der Universität Bielefeld, warnt vor den Gefahren des Protektionismus und einer Wirtschaftskatastrophe, die nur mit der Großen Depression der 30er Jahre vergleichbar ist. Noch ließe sich das Schlimmste verhindern - wenn nur die Politiker mehr Mut hätten.

Panik an der New Yorker Börse 1929: Mit dem Schwarzen Freitag im Oktober begann die Weltwirtschaftskrise. (Foto: Foto: AP)

SZ: Kreditklemme, Börsenkrach, Verstaatlichung sind allgegenwärtig in Nachrichten und Talkshows. Sind wir Deutschen zu pessimistisch, Herr Professor Abelshauser?

Abelshauser: Ganz im Gegenteil. Wenn ich die Zeitung aufschlage, sehe ich überall gequälte Bemühungen, die Finanzkrise runterzuspielen. Wir sollten aber die Gefahr kennen, um richtig zu reagieren.

SZ: Gleichen die Schwierigkeiten von heute der Weltwirtschaftskrise von 1929 bis 1933?

Abelshauser: Sie könnten dem klassischen Muster der Großen Depression folgen: 1929 kam erst der Börsenkrach, 1931 die Bankenkrise, dann die Flucht aus der Weltwirtschaft und schließlich die Depression. Auch der Rückgang der Aktienkurse ist vergleichbar: Halbierung binnen eines Jahres, das war 1929 auch der Fall, dann blieben die Kurse viele Jahre auf dem niedrigen Niveau.

SZ: Was wurde aus den Banken?

Abelshauser: Das Misstrauen unter den Banken verhinderte eine private Rettungsaktion am Markt. Um die Großbanken vor dem Abgrund zu retten, musste die Regierung die Mehrheit der Aktien übernehmen. Erst 1937 kam es zur Reprivatisierung. Auch heute misstrauen sich die Banker, weil sie von sich auf andere schließen. Sie haben alle Leichen im Keller. Die Probleme des Kreditsektors legen sich wie Mehltau auf die Wirtschaft.

SZ: Welche böse Überraschung droht als nächstes?

Abelshauser: Nach Börsen- und Bankenkrise folgte im Herbst 1931 das Ende der Globalisierung. Großbritannien und die Vereinigten Staaten ließen dem Protektionismus freien Lauf. Ausgerechnet Großbritannien, bis dahin Hüterin des freien Welthandels, kündigte den Goldstandard auf, wertete das Pfund drastisch ab und schottete sich vom Weltmarkt ab. Die Folgen waren furchtbar: Die Weltwirtschaft kollabierte, die Produktion brach zusammen, Millionen Menschen verloren ihre Arbeit. Viele Länder steckten in der Liquiditätsfalle: Die Unternehmen investierten nicht mehr, sondern hielten Kasse in der Hoffnung auf bessere Zeiten.

SZ: Die wirtschaftliche Entwicklung war dramatisch: Von August 1929 bis März 1933 schrumpfte die US-Wirtschaftsleistung um 30 Prozent, die Arbeitslosenquote stieg auf 25 Prozent. Es herrschte vier Jahre lang Deflation, in denen das Preisniveau um 30 Prozent sank...

Abelshauser: ... in Deutschland kam es noch dicker.

SZ: Wird es wieder so schlimm?

Abelshauser: Noch können wir es verhindern. Aber die Aussichten sind düster. Der Welthandel ist so stark eingebrochen wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. In Osteuropa und Asien fällt die Nachfrage weg. In England herrscht Düsternis. Die Vereinigten Staaten stecken in den größten Schwierigkeiten seit Generationen. Die Folgen wird auch Deutschland spüren. Wir stecken schon mitten in einem dramatischen Abschwung der Konjunktur. Es könnte aber auch der Auftakt zu einer Depression sein, zu einer Katastrophe.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Republik trotz Krise optimistisch sein kann.

SZ: Gibt es denn gar keine Hoffnung?

Wirtschaftshistoriker Werner Abelshauser (Foto: Foto: P.-M. Jander)

Abelshauser: Wir können aus zwei Gründen optimistisch sein: Zum einen ist der Staat - anders als nach 1929 - voll handlungsfähig. Zum anderen sind wir weit von einer mit damals vergleichbaren Radikalisierung der Politik entfernt. Die USA haben gerade den demokratischen Machtwechsel vollzogen. Und auch wir stehen in einem ruhigen Superwahljahr. Vor allem aber kennen wir alle denkbaren Szenarien und können uns darauf vorbereiten.

SZ: Was haben die Regierenden in den 30er Jahren falsch gemacht?

Abelshauser: Politiker, Unternehmer, Gewerkschaften und Verbände haben bis 1931 geglaubt, es handle sich um eine etwas stärkere, aber durchaus normale konjunkturelle Krise. Was allen Akteuren fehlte, war das Katastrophenbewusstsein, also die Vorstellung, es könnte eine richtige Depression werden. Und als sie es verstanden hatten, haben sie zu lange mit außerordentlichen Maßnahmen gezögert.

SZ: Wann wurde es besser?

Abelshauser: Es hat bis 1933 gedauert. Franklin D. Roosevelt gewann in den USA die Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen, die Probleme an den Wurzeln zu packen. Sein New Deal lässt sich durchaus mit Barack Obamas heutigen Plänen vergleichen. Gleichzeitig suchten in Deutschland die Nationalsozialisten ihr Heil in gewaltigen öffentlichen Investitionsprojekten.

SZ: Was müsste heute getan werden?

Abelshauser: Die Bundesregierung müsste die Banken zwingen, unter den Schutzschirm zu treten und den Investoren die Refinanzierung zu ermöglichen. Die Briten sind hier schon einen Schritt weiter: Sie sind im großen Stil in Banken eingestiegen und nehmen so Einfluss auf deren Geschäftspolitik. Das sollten wir auch tun. Der Staat ist vielleicht nicht der bessere Banker, aber auf jeden Fall der bessere Aktionär. Er kann die Vorstände dazu bringen, vernünftig zu handeln. Und wenn sie es nicht tun, kann er sie entlassen. Das hat übrigens viel mit sozialer Marktwirtschaft zu tun: Der starke Staat muss die Regeln durchsetzen.

SZ: Hilft das Konjunkturpaket der Bundesregierung?

Abelshauser: Die 50 Milliarden Euro sind wohl für die Katz. Wir brauchen kein Konjunkturprogramm, sondern Maßnahmen gegen die Depression: Der Staat muss selbst als Investor auftreten. Ansonsten drohen die Milliarden in der Liquiditätsfalle oder in der Sparquote zu versickern. Jeder Euro, der in den Kreislauf gepumpt wird, muss eine vielfache Wirkung entfalten. Das ist beim "Konjunkturpaket" nicht der Fall.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Politiker trotz besseren Wissens falsch handeln.

SZ: Haben die Politiker in Berlin den Ernst der Lage nicht begriffen?

Abelshauser: Die wissen ganz genau, dass sie das Falsche tun, und tun es trotzdem, weil sie bis zu den Wahlen über die Runden kommen wollen. Das macht mir Angst.

SZ: Bundesfinanzminister Peer Steinbrück fürchtet angesichts der Milliarden-Programme wachsende Inflationsrisiken. Haben Sie dafür Verständnis?

Abelshauser: Nein. Wir haben zur Zeit eine Deflation, das Preisniveau sinkt. Noch sind wir im grünen Bereich, aber nicht mehr lange. Im Augenblick beträgt die Teuerungsrate in Deutschland 0,9 Prozent. Die Preisniveaustabilität, die die Zentralbank anstrebt, liegt bei einem Preisanstieg von 1,8 Prozent. Das wäre der Idealfall. Alles darunter ist gefährlich.

SZ: Warum?

Abelshauser: Wegen der Wirkung auf die Investoren. Bei sinkenden Preisen investiert niemand, die Liquiditätsfalle schnappt noch stärker zu. Eine gewisse Aufwärtsdynamik der Preise weckt in den Investoren die Hoffnung, hohe Renditen zu erwirtschaften. Den Konsumenten erfreuen zwar sinkende Preise. Aber nur so lange, bis er seinen Arbeitsplatz verliert. Würden die Preise steigen, wäre ich halb so besorgt.

SZ: Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Staaten übernehmen?

Abelshauser: Der Nationalstaat hat sich handlungsfähig gezeigt. Aber Wunderdinge darf man von ihm auch nicht erwarten. Kein Staat wird zur Überwindung der Wirtschaftskrise gegen die eigenen Interessen handeln. Warum sollte beispielsweise Deutschland den klammen Iren oder Spaniern aus der Finanznot helfen? Dann müssten wir in Mittel- und Osteuropa weitermachen. Das übersteigt unsere Möglichkeiten.

SZ: Wenn Deutschland nicht hilft, droht die Währungsunion auseinanderzubrechen. Wollen Sie das riskieren?

Abelshauser: Neu wäre das nicht. Im Europäischen Währungssystem der 70er und 80er Jahre ging es zu wie in einem Taubenschlag. Fest blieben nur die europäischen Kernländer rund um die Bundesbank. Ich will das nicht heraufbeschwören, aber denkbar wäre es schon. Es liegt auch nicht in unserer Hand. Die Euro-Solidarität stößt rasch an die Grenzen, wenn die Märkte mit elementarer Gewalt reagieren.

SZ: Wer zahlt die Rechnung einer großen Weltwirtschaftskrise?

Abelshauser: Wir alle. Aber die Rechnung wird viel größer, wenn wir nichts tun. Überlegen Sie mal, was die Krise in den 30er Jahren angerichtet hat - bis hin zum Zweiten Weltkrieg. Das sollten wir unseren Kindern und Enkeln ersparen.

© SZ vom 03.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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