Suppenküchen in der Finanzkrise:Ohne Yuppies wächst der Hunger

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Kaum eine andere Branche spendete so großzügig wie die Wall-Street-Yuppies. Nun bangen karitative Einrichtungen in New York um ihre Budgets, denn der Spendenfluss wird spärlicher.

Moritz Koch

Kistenweise Toastbrot, Salat und Orangen. Der Koch strahlt über sein ganzes kugelrundes Gesicht. Fast bizarr wirkt seine Freude, so trostlos ist die Umgebung. Das Seniorenzentrum Jackie Robinson befindet sich im ersten Geschoss eines heruntergekommenen Klinkerbaus in Harlem. Wer hier zum Essen herkommt, hat kaum mehr als das, was er am Leib trägt - und bis auf wenige Ausnahmen: dunkle Haut.

Potential für Tränen: Zwiebellieferung für die Suppenküche. (Foto: Foto: Moritz Koch)

Die Rentner stützen sich auf Sperrholztische und starren auf einen alten Fernseher. Godfrey Peters schaufelt Nudeln auf ein Backblech. "Ich wäre aufgeschmissen ohne diese Typen", sagt er. Peters ist der Koch und mit "Typen" meint er die Lieferanten, die ihm die Nahrungsmittel bringen. Sie arbeiten für City Harvest, ein Hilfswerk, das mit seinen weißen Lastern in der ganzen Stadt unterwegs ist. Sie sammeln ein, was übrig bleibt in Supermärkten und Restaurants und bringen es den Alten, den Obdachlosen und den Armen.

Ohne fremde Hilfe würden viele New Yorker nicht richtig satt. Vor drei Jahren kamen täglich 60 Senioren in seine Kantine, erinnert sich Peters. Heute kommen fast doppelt so viele. Und Peters glaubt: Jetzt, da die Wall Street kollabiert ist, wird die soziale Not noch größer. Nicht, dass bald die gefeuerten Banker Schlange stünden für sein Ein-Dollar-Mittagessen oder das 75-Cent-Frühstück. Aber mit jeder gescheiterten Bank schwinden Steuereinnahmen, die Stadt muss ihre Sozialausgaben stutzen. Und vor allem: mit jedem Milliardenverlust in der Finanzwelt gibt es weniger Spenden für Organisationen wie City Harvest.

Eiswürfel mit Diamanten

Es wird dieser Tage viel gelästert über die Verschwendungssucht der Spesenritter der Wall Street. Viele Amerikaner gönnen den Yuppies ihren Absturz. Und lebten sie nicht tatsächlich in Saus und Braus und verprassten ihre horrenden Bonuszahlungen mit 10.000-Dollar-Cocktails, deren Eiswürfel Diamanten enthielten? Sicher: Bescheidenheit gehörte nicht zum Wertekanon der Wall Street. Aber es stimmt auch, dass kaum eine andere Branche in den vergangenen Jahren so großzügig war wie die Finanzindustrie.

Museen, Konzertsäle und Sozialprojekte konnten darauf zählen, dass Banken und Banker ihnen hochdotierte Schecks ausstellten. Nun, da der Geldrausch zu Ende ist, bangen karitative Einrichtungen um ihre Budgets. Eric Kessler, Gründer von Arabella Philanthropic Investment Advisors, einer Beratungsfirma für spendable Reiche, warnt: "Die schlechten Omen kündigen einen perfekten Sturm an." Seine Klienten sähen den Wert ihrer Aktiendepots schrumpfen, sorgten sich um ihre Firmen und hielten ihr Geld zusammen.

Lehman-Pleite trifft Arme

Die neue Sparsamkeit bekommt Jilly Stephens bereits zu spüren. Die Leiterin von City Harvest sorgt sich um die Zukunft: "Wir steuern ungewissen Zeiten entgegen. Die Zahl der Bedürftigen steigt und gleichzeitig versiegen wichtige Einnahmequellen." City Harvest hat sich vorgenommen, in diesem Jahr 15 Millionen Dollar einzusammeln, deutlich mehr als im Jahr zuvor, um die steigenden Benzin- und Lebensmittelpreise auszugleichen. Aber 2007 zählte Lehman Brothers zu den fünf wichtigsten Spendern, inzwischen ist die Investmentbank pleite und zahlt selbst ihre Schulden nicht zurück.

Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte die Krise kaum kommen können. Fast 40 Prozent ihres Jahresbudgets nimmt die Organisation zwischen November und Januar ein. Anderen Einrichtungen geht es nicht besser. Vom Heim für obdachlose Jugendliche in der Bronx bis zum Roten Kreuz im vornehmen Midtown: Das Problem ist immer das gleiche: Der Wall Street ist das Geld ausgegangen, und jetzt weiß niemand, wie sich die Finanzlücken stopfen lassen. Schon bereiten die New Yorker Hilfswerke einen Gipfel vor, bei dem sie nach Auswegen aus der Spendenkrise suchen wollen.

In der Harlemer Seniorenküche bleibt Peters voller Zuversicht. "Wir werden da schon durchkommen", sagt er. "Es geht immer irgendwie." Doch während er die Nudeln in den Ofen schiebt, fügt er hinzu: "Es wird noch viel schlimmer, bevor es wieder besser wird."

© SZ vom 06.10.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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