Straßen in München:Schleißheimer Straße

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Die Schleißheimer Straße macht einiges durch: Sie startet in der Maxvorstadt, kreuzt Schwabing und Milbertshofen, endet im Hasenbergl. Nirgends ist sie perfekt, aber auch nicht so hässlich wie ihr Ruf.

Georg Etscheit

Die Schleißheimer Straße ist der Underdog unter den Münchner Straßen. Wenn man Freunden erzählt, dass man auch nur in ihrer Nähe wohnt, sind einem mitleidige Blicke sicher. "Aha, die Schleißheimer", sagen sie und schauen betroffen. So, als würde man im Elendsviertel wohnen, wo sich schon tagsüber keiner hintraut. Und nachts natürlich gleich gar nicht. Dabei ist die Schleißheimer auch nicht unsicherer als andere Orte im gut bewachten München. Nur lauter und grauer. Aber das macht aus ihr eben eine richtige Großstadtstraße. Und das ist etwas besonderes in München, wo Straßen grün sein müssen, Bäume links, Bäume rechts und Blumenkübel in der Mitte. Wo den Einheimischen die "seelenlose" Großstadt mit allem, was dazu gehört, eigentlich nie so recht geheuer war.

Adresse für den Diktator

Wenn jetzt die Rede von Adolf Hitler sein soll, ist das nur auf den ersten Blick hergeholt. Denn zum einen teilte der Diktator in seinen frühen Münchner Jahren das Ressentiment der Münchner gegen den "Stadtmoloch", zum anderen wohnte Hitler eine Zeit lang in genau jener Straße, die heute so unmünchnerisch-großstädtisch ist. Die Nummer 34, wo der verhinderte Kunststudent aus Österreich 1913 bei einer Frau Popp ein möbliertes Zimmer bezog, steht noch. Spuren seiner Anwesenheit sind von außen freilich nicht mehr auszumachen. In der Nazizeit hing an der Wand eine Gedenktafel, die auf das einstige Domizil des "Führers" hinwies. "Die liegt noch unten im Keller", sagt eine junge Frau, die aus besagtem Anwesen auf die Straße tritt.

Belebtes Pflaster

Auf der Schleißheimer herrscht an einem beliebigen Vormittag reges Treiben. An ihrem Beginn am Stiglmaierplatz ist sie multikulturell wie sonst in München vielleicht nur das Westend. Hier finden sich der Russenladen, der türkische Gemüsehändler, der Inder und das chinesische Restaurant einträchtig neben alteingesessenen Traditionsläden wie einem Antiquariat, einer Zinngießerei oder einem Tante Emma-Laden.

Menschen vieler Nationen beleben das Pflaster und demonstrieren eindrucksvoll. Das hätte den Möchtegern-Bohemien Hitler sicher mächtig gewurmt. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass ein paar Straßen weiter einst auch ein anderer späterer Diktator lebte: Lenin.

Dass die Schleißheimer einst ein etwas zwielichtiger Ort war, belegen noch das legendäre Cafe "Philoma" am Stiglmaierplatz und diverse Fachgeschäfte für Sexualbedarf. Aber, wie gesagt, von Halbwelt ist heute fast nichts mehr zu spüren. Deshalb kann man auch seiner Kinder zum Plantschen ganz beruhigt ins Nordbad schicken, das in den dreißiger Jahren gebaut wurde und architektonisch durchaus beachtenswert ist. Was man von dem Kaufhaus-Klotz auf der anderen Straßenseite nicht behaupten kann. Früher lag dort auch die beliebte Gaststätte "Rosenau", in der Karl Valentin sein "Brillantfeuerwerk" spielen ließ. Hier trafen sich gerne die Soldaten der nahen Kasernen mit ihren "Gspusis", bis das Gebäude Ende der Zwanziger abgerissen wurde.

Wechsel vom Einerlei zum Idyll

Hinter dem Nordbad weitet sich die Schleißheimer allmählich zur vierspurigen Ausfallstraße mit Straßenbahngleis in der Mitte. Entsprechend ohrenbetäubend ist der Verkehrslärm. Etwa auf Höhe der Kreuzung mit der Karl-Theodor-Straße wechselt die Atmosphäre noch einmal unvermittelt ins Ländliche, wenn am Straßenrand statt Mietskasernen und Wohnhochhäusern eine Gärtnerei mit großen Feldern auftaucht: letzter Rest der einstmals landwirtschaftlichen Nutzung dieser Gegend. Daneben dämmert ein einzeln stehendes Häuschen in einem verwunschenen Garten vor sich hin. Ja, die Schleißheimer kann sich auch idyllisch geben, bevor sie jenseits des Mittleren Rings im Einerlei der Vorstadt irgendwie abhanden kommt.

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