Staatliche Kreditorgie:Das große Schuldenspiel

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Der privaten Kreditorgie folgt die staatliche. Aber wie weit kann eine Regierung eigentlich ins Minus rutschen? Und wann verschmähen Anleger Staatsanleihen?

Catherine Hoffmann

Die Erfolge des Finanzkapitalismus basieren auf einem einzigen Wort: Kredit. Und seine Übertreibungen sind die Folge exzessiver Schuldenmacherei. Es fängt ganz harmlos an - mit einem Trick, den jeder private Zocker kennt: Zu dem einen Euro, den er investiert, leiht er sich vier weitere.

Börsenhändler vor seinen Informationssystemen: Bisher reißen die Investoren der US-Regierung die Anleihen aus der Hand. (Foto: Foto: dpa)

Legt er die fünf Euro zu zehn Prozent an, hat sich sein eigenes Geld, der eine Euro nämlich, um sagenhafte 50 Prozent vermehrt, denn mit dem einem Euro Eigenkapital hat er ja 50 Cent verdient. So machen es nicht nur Spielernaturen. So handeln private Häuslebauer, Firmenjäger, Hedgefonds - und ganze Banken.

Das Spiel läuft, solange die Zinsen sinken, Kredite billig sind und Geldgeber einen immer höheren Verschuldungsgrad akzeptieren. Seit Anfang der 80er Jahre der damalige Chef der US-Notenbank Fed, Paul Volcker, die Hochinflation besiegt hat, gehen die Zinsen zurück - in Amerika von 15 Prozent auf zuletzt nur noch zwei Prozent.

Schmerzvoller Prozess

Seither werden immer mehr Schulden gemacht. Es ging ein Vierteljahrhundert gut. Niedrige Zinsen und eine nie dagewesene Geldfülle machten es Unternehmen und Konsumenten einfach, Kredite aufzunehmen. Es war ein gewaltiges Doping für Börsen und Konjunktur, das irgendwann an seine Grenzen stoßen musste.

Nun heißt es Abschied nehmen von der wundersamen Geldvermehrung. Seit die Finanzkrise tobt, sind Banken und Hedgefonds, Firmenjäger und Verbraucher gezwungen, ihre Schulden zurückzufahren, deleveraging heißt der schmerzvolle Prozess im Englischen.

Es ist wie bei einem Schneeballsystem: Werden die alten Kredite nicht immer wieder durch neue, noch höhere ersetzt, bricht das System zusammen, die hohen Renditen kehren sich ins Gegenteil um: massive Verluste. Eine tiefe Rezession, vielleicht sogar Depression ist nicht mehr ausgeschlossen.

Alle haben sich bedient, als das Geld so billig war: Die durchschnittliche Verschuldung der amerikanischen Haushalte ist von 75 Prozent des verfügbaren Einkommens im Jahr 1990 auf beinahe 130 Prozent am Beginn der Finanzkrise gestiegen.

Nicht mehr allzu viel wert

Während der amerikanische Verbraucher auf Pump lebte, haben die Banken ihre Gewinne durch eine schamlose Schuldenmacherei aufgeblasen. So stieg im Finanzsektor das Verhältnis der Schulden zum Bruttoinlandsprodukt von rund 20 Prozent Anfang der 80er Jahre auf zuletzt 110 Prozent.

Doch dann platzte die Immobilienblase. Haushalte und Banken werden von ihren Schulden erdrückt, weil weder die Häuser noch die Papiere in den Bankbilanzen allzu viel wert sind.

Nur die Schulden sind noch da sind - und sie sind gewaltig. Viele Institute sind nur deshalb am Leben, weil die Notenbank sie großzügig mit frischem Kapital versorgt und als Sicherheit zweifelhafte, wenn nicht wertlose Wertpapiere akzeptiert.

Fed-Chef Ben Bernanke hat die Leitzinsen Richtung null Prozent gedrückt und kauft zudem Subprime-Müll am Markt. Das Ergebnis: Die Bilanz der Fed hat sich ungesund aufgebläht. Mehr als 2,2 Billionen Dollar fragwürdiger Papiere enthält sie inzwischen. Und was steht dem entgegen? Nun: Die Bank darf Geld drucken.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, welchen Weg Staaten klassischerweise aus der Schuldenfalle nehmen können.

Zeitgleich wurde US-Finanzminister Henry Paulson, früher Chef der Investmentbank Goldman Sachs, zum unfreiwilligen Nachfolger von John Maynard Keynes: Er machte immer neue Schulden, um Banken zu retten, Häuslebauern aus der Klemme zu helfen und die eingebrochene private Nachfrage durch staatliche Investitionen zu ersetzen.

Noch bevor Barack Obama neuer Präsident der USA wird und sein 800-Milliarden-Dollar-Konjunkturversprechen realisieren kann, schnellte das Staatsdefizit der USA im vergangenen Jahr auf schätzungsweise 12,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts - im Euroraum sind nicht mehr als drei Prozent zulässig.

De facto übernimmt also der amerikanische Staat, der schon vor der Krise der größte Schuldner aller Zeiten war, den privaten Schuldenberg. Die Kredite, Investments und Garantien von Fed und US-Finanzministerium summieren sich seit dem Sommer 2007 auf 8500 Milliarden Dollar - das entspricht 58 Prozent der US-Wirtschaftsleistung. Um all ihre Wohltaten zu finanzieren, müssen die USA im nächsten Jahr Anleihen im Wert von 2200 Milliarden Dollar herausgeben.

Der Staat hat jede Menge Möglichkeiten

Aber wie viel Schulden kann ein Land machen, bevor es keinen Kredit mehr bekommt? "Ich sehe im Moment keine großen Probleme, zumal der Staat etwas bietet, was andere nicht bieten: Sicherheit", sagt Bernhard Gräf, Ökonom der Deutschen Bank.

Bislang reißen die Investoren der US-Regierung die Anleihen aus der Hand. Die Renditen sind deshalb auf historische Tiefstände gefallen, neue Kredite entsprechend günstig.

Wie sehr sich ein Land verschulden kann, zeigt das Beispiel Japan. Seine Staatsverschuldung verdreifachte sich seit 1991 auf zuletzt 173 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den USA liegt die Quote erst bei 73 Prozent. "Bald werden es über 90 Prozent sein", glaubt Gräf, "aber das ist noch kein kritisches Niveau."

Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Landesbank Bremen, zweifelt allerdings, ob die Minirenditen am Anleihemarkt die wahre Lage widerspiegeln: "Das Preisniveau am Rentenmarkt drückt nicht das Resultat nüchterner Überlegungen zur Budgetlage der USA aus." Die Fed habe ja bereits angekündigt, am Rentenmarkt eingreifen und die Renditen nötigenfalls deckeln zu wollen.

Hoffen auf die Inflation

"Es läuft darauf hinaus, dass sich der Staat verschuldet und die Fed seine Anleihen kauft", sagt der Ökonom. Aber solange die Kapitalanleger gelassen auf solches Ansinnen reagierten statt mit Misstrauen, werde es die Rentenmärkte nicht nennenswert destabilisieren.

Was aber geschieht, wenn Zweifel aufkommen, ob all die Schulden auch zurückgezahlt werden? Die Geschichte lehrt, dass Staaten jede Menge Möglichkeiten haben, sich ihrer Schulden zu entledigen - die beliebtesten: Einstellung aller Zahlungen, Pleite, Inflation oder Währungsreform.

"Der klassische Weg aus der Schuldenfalle ist es, die Inflation zu beleben und damit den Abwertungsprozess des Dollars zu forcieren", sagt Hellmeyer. Die Schulden werden zwar zurückgezahlt - nur ist das Geld dann weniger wert als heute.

© SZ vom 02.01.2009/pak - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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