Schatzsucher:"Nirgendwo sehen junge Männer so alt aus"

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Der Traum vom schnellen Reichtum lockte Goldgräber in den Wilden Westen. Dort wartete vor allem eines auf sie: harte Arbeit und Bohnen mit Spülwasser.

A. Mühlauer

Es ist Januar, der 24., und es regnet in Strömen, als der Zimmermann James Marshall am Ufer des American River steht, ins Wasser starrt und sich fragt, ob die Strömung auch stark genug sei, um die Sägemühle anzutreiben, die er an diesem gottverlassenen Ort bauen soll. Wie er da so steht, mit den Stiefeln im Matsch, erblickt er etwas Funkelndes im Flussbett: Es glitzert, gleißt, glänzt. James Marshall bückt sich, greift ins kalte Nass und holt eine Handvoll Sand und Schlamm hervor, dazwischen schimmern kleine Steinchen.

Goldsucher am Klodinke River: Es glitzert, gleißt, glänzt. (Foto: Foto: getty)

Was James Marshall an diesem regnerischen Tag im Januar 1848 in die Hände fällt, ist nicht weniger als der amerikanische Traum. Er findet Nuggets, nahezu reines Gold, 23 Karat - das, wonach sich alle sehnen, die es hierher in den weiten Westen Kaliforniens verschlagen wird, all die Pioniere, Trapper und Glücksritter, weit weg von zu Hause.

James Marshall, ehrlich wie er ist, behält den Fund nicht für sich, sondern steigt auf sein Pferd, um dem Besitzer dieses verlassenen Landstrichs über seinen Fund zu berichten. Der Besitzer heißt John Sutter, er war es auch, der den Zimmermann beauftragte, eine Sägemühle am American River zu bauen. Sutter überprüft also die schimmernden Steinchen, liest den Eintrag "Gold" in der Enzyklopädie und erkennt in diesem Moment, welch Glück ihm widerfahren ist.

Bettelarm aus Europa gekommen

Am Abend schreibt er in sein Tagebuch: "Er (James Marshall, d. Red.) erzählte mir von seinem überraschenden Fund, der uns beide zu ungeahntem Reichtum verhelfen würde. Wir vereinbarten, die Entdeckung geheimzuhalten." Gleich am nächsten Tag nimmt John Sutter auch seinen Arbeitern den Schwur ab, dass sie ja kein Wort über das Gold im Fluss verlieren dürften.

Ach, welch Irrglaube! Was mag er sich dabei nur gedacht haben, der Schweizer, der 1834 bettelarm aus Europa gekommen war. Damals, daheim in Basel, hieß er noch Johann August Suter, hatte eine Frau und vier Kinder. Die ließ er hochverschuldet zu Hause sitzen und machte sich auf nach Amerika, in die vermeintlich schöne neue Welt.

John Sutter, wie er sich von nun an nannte, verdingte sich als Handelsreisender, machte Geschäfte in Alaska und Hawaii, bis er 1839 auf einem Gefilde namens Kalifornien "New Helvetia" gründete und dort eine Art Wildwest-Supermarkt eröffnete. Es gab alles, was die Menschen brauchten: Lebensmittel, Eisenwaren, Whiskey. Es war, das kann man sagen, eine sehr gute Zeit im Leben von John Sutter, schließlich verdiente er viel Geld, das war ihm das Wichtigste.

Am 24. Januar, diesem regnerischen Tag im Jahre 1848, sieht es so aus, als ob er noch mehr Geld anhäufen könnte. Reich hätte er werden können, mit all dem Gold, das sich auf seinem Landstrich unter der Erde versteckte. Aber nichts da, binnen weniger Wochen fallen 6000 Gold-Digger über Sutters Grund und Boden her. Arbeiter reiten nach San Francisco und schreien es in der ganzen Stadt herum: "Gold! Gold! Gold!" Es ist der Beginn einer der größten Massenwanderungen, die die Menschheit bis dahin erlebt hatte. Allein nach San Francisco, bis dahin ein verschlafenes Städtchen mit 800 Einwohnern, kommen bis zum Jahresende 1849 etwa 15.000 Menschen, berauscht vom Traum des Reichwerdens.

Aus dem Tagebuch eines Reisenden: "Schon die Luft ist magnetisch aufgeladen und voller kühner, beherzter, unermüdlicher Betriebsamkeit, und jeder, der sich auch nur an den Rand dieses Strudels wagt, wird mitgerissen, ehe er Zeit hat, einen Gedanken zu fassen."

Bald gibt es Karten, auf denen jeder Nebenfluss eingezeichnet ist, jeder Flussarm versehen mit dem Hinweis "Gold". Zehntausende streiten sich Tag und Nacht um das Edelmetall. Die Mehrheit der Goldsucher ist jung und männlich, Frauen kommen so gut wie keine an die kalifornischen Flüsse. Streitereien, Diebstahl und Schlägereien gehören zur Tagesordnung. Ein Digger notiert: "Kam heute Abend näher an ein weibliches Wesen als in den vergangenen sechs Monaten. Fiel beinahe in Ohnmacht."

Spülwasser und Bohnen zum Abendessen

Zu essen und zu trinken gibt es immer dasselbe: "Bohnen und Spülwasser zum Frühstück im Haus des Franzosen; Spülwasser und Bohnen zum Mittag; und beides noch einmal aufgewärmt zum Abendessen", schreibt der amerikanische Schriftsteller Mark Twain in seinem Tagebuch, "nirgendwo sonst sehen junge Männer so alt aus wie in Kalifornien."

Trotz der harten Arbeit zieht es immer mehr Abenteurer in den Wilden Westen. Im Januar und Februar 1849 brechen 178 Schiffe von der amerikanischen Ostküste nach Kalifornien auf. Der Weg ist beschwerlich: 18.000 Seemeilen, vorbei am stürmischen Kap Hoorn. Je nach Wind und Wetter dauert die Fahrt zwischen fünf und acht Monaten. Noch im Jahr 1860, als der Goldboom vorüber scheint, geben von inzwischen gut 300.000 Kaliforniern 82.527 Männer ihren Beruf mit "Goldgräber" an. Einige werden ihn bis zu ihrem Lebensende nicht aufgeben.

Auch John Sutter gibt nicht auf. Sein Land hat er zwar verloren, aber damit will er sich nicht abfinden. Den Rest seines Lebens verbringt er mit Prozessen. Er schreibt Entschädigungsgesuche. Immer und immer wieder. Bis 1880. Da stirbt Johann August Suter in einem bescheidenen Hotel in Washington. Dort hatte er übernachtet, weil er dabei sein wollte, wenn der Kongress über seine Rechtsansprüche verhandelt.

"Ach, die jungen Kalifornier", formulierte der Autor Rudyard Kipling, "die Unfähigen und Schwachen starben auf dem Weg hierher oder gingen unter beim Aufbau des Landes. Oh, Sohn des Goldenen Westens - ich liebe ihn; denn er ist mutig, geht gerade wie ein Mann und hat ein Herz so groß wie seine Stiefel." Es ist einfach so: Amerika liegt in Kalifornien.

© SZ vom 29.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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