Ökosiedlungen:Fangemeinde wächst

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Vorbei sind die Zeiten, in denen nur Althippies in Ökosiedlungen leben wollten. Heute ist ökologisch Wohnen etabliert und beliebt.

Ch. Eder und S. Kittl

Das Thema ökologisch Wohnen hat sich etabliert und mit ihm die Klientel. Seit der Experimentierphase der 70er Jahre ist viel passiert. Die Bevölkerung ist heute über die Umweltbelastungen im Wohnungsbau gut informiert und es herrscht ein höheres Bewußtsein und auch Bedürfnis, schadstofffrei zu wohnen.

Die Bauherren der "Laher Wiesen" in Hannover-Bothfeld haben viel selbst gemacht und so die Kosten gesenkt: Gesamtbaukosten 950 Euro/ qm, Bezug: 1984/ 87. (Foto: Foto: Holger Wolpensinger)

Zur Zeit stehen in Deutschland etwa 140 Ökosiedlungen und -dörfer.

Eigene Homepage

Holger Wolpensinger, Architekt am Institut für Energie- und Umweltforschung in Heidelberg (ifeu) hat sich seit seiner Studienzeit intensiv mit dem Thema Ökosiedlungen befasst und jetzt darüber eine informative Website eingerichtet.

Auf www.oekosiedlungen.de finden sich neben allgemeinen Informationen alle aktuellen Siedlungen mit einer Kurzbeschreibung und Foto.

Für jeden Geschmack

Von der verwilderten Lehmbausiedlung mit Grasdach bis hin zur kühlen Glas-Stahl-Solarstrom-Siedlung ist alles vertreten. Und mit der architektonischen Ästhetik hat sich auch die Bewohnerschaft verändert. Ob spirituell angehauchte Vegetarier, ökologische Bildungsbürger oder Familien mit Kinder - Wohngesundheit gehört für sie zur Lebensqualität.

Ganze Stadtteile wachsen

Auch der Markt hat sich den neuen Befindlichkeiten angepasst. "Früher sind gerade einmal Einzelprojekte durch Bürgerengagement entstanden, heute stellen Bauträger ganze Stadtteile in die Landschaft", erklärt Wolpensinger. Dazu beigetragen hätte auch eine "Ökologie von oben", Programme der Bundesregierung zum nachhaltigen und kostengünstigen Bauen, das 100.000 Dächer-Programm oder die diversen Öko-Förderungen.

Hartnäckige Vorurteile

Auch die Tatsache, dass öffentliche Bauten in den letzten Jahren überwiegend nach ökologischen Kriterien erstellt worden sind, hat zur Verbreitung des Themas beigetragen.

Doch trotz der gestiegenenen Nachfrage - von einem Boom zu sprechen wäre übertrieben. Nur etwa fünf Prozent aller Neubauten, schätzt Wolpensinger, werden nach ökologischen Richtlinien gebaut.

Teuer als normal

Das Vorurteil, ökologisch bauen sei teurer als konventionell, hat sich inzwischen abgeschwächt. "Natürlich kommt es immer auf die Materialauswahl an", so Wolpensinger,"aber es ist möglich sehr preiswert und ökologisch zu bauen".

Esoterische Hausherren

Die Vorurteile gegenüber der alternativen Lebensweise hingegen hält sich nach wie vor hartnäckig. Schlagworte wie "innere Verständigung", oder Gemeinschaftsaktionen wie "Meditationen", "Kreistänze" oder "Gesänge und Rituale in der Schwitzhütte" lösen vor allem bei spirituell unberührten Menschen eher Skepsis aus. Daneben gibt es aber auch rein pragmatisch ausgerichtete Siedlungen. Beispielsweise die Siedlung "Lilienthal" bei Bremen.

"Wir sind hier nicht so esoterisch", sagt Mitbegründerin Anneliese Sahr, "uns ist vor allem umweltfreundliches Bauen wichtig." Der Weg zur Realisierung der Siedlung war lang und hart.

Eine variantenreiche Siedlung

Auf dem rund drei Hektar großen Grundstück sollten neun sehr unterschiedlich gestaltete Häusergruppen entworfen werden, darunter Pultdachhäuser mit Gründach, Häuser aus Kalksandstein und Satteldachhäuser mit Gewerbemöglichkeit. Ein Unding für die lokale Baubehörde.

Von einigen Vorhaben - wie einem Pflanzenklärwerk - musste man sich widerwillig trennen. Trotz aller Hindernisse wurde 1997 mit dem Bauen begonnen.

Aus 80 Häusern soll die Siedlung einmal bestehen, die Hälfte davon steht bereits. Die Häuser, größtenteils aus Holz, haben eine Dämmung aus baubiologischem Material wie Isoflock, Schafwolle oder Flachs.

Regenwasser wird aufgefangen und unter anderem für die Toilettenspülung weiterverwendet. Einige der Häuser sind mit Solaranlagen ausgestattet. Alle Häuser haben Niedrigenergiestandard, Autos sind in der Wohn- und Spielstraße, die durch die Siedlung führt, tabu.

Sozialer Grundgedanke

Neben ökologischem Engagement wird auch der soziale Gedanke groß geschrieben - Zäune und hohe Hecken würden dabei nur stören.

Spontane Treffs und Unternehmungen ergeben sich schnell, dabei ist die Heterogenität der "Lilienthaler" erstaunlich: im Alter von Null bis 70 gibt es viele Familien, viele Kinder, aber auch zahlreiche Alleinstehende. Berufe von der Hebamme über den Goldschmied bis zum Physiker sind zu finden. "Gemeinsam ist allen nur die ökologische Grundhaltung.

Spannung zwischen Weite und Nähe

Ansonsten hat jeder einen anderen speziellen Grund, hier zu wohnen", sagt Anneliese Sahr. "Für die einen ist es wichtig, sich nicht alleine zu fühlen, andere wollen ihre Kinder hier sorglos aufwachsen sehen."

Die Kombination aus Unterschiedlichkeit und Nähe bringt natürlich auch Konflikte mit sich. Können sie von den Streithähnen nicht selbst gelöst werden, bespricht man sie in einer gemeinsamen Versammlung und versucht, Lösungen zu finden. "Solch ein Zusammenwohnen ist ein Lernprozess für alle", meint Anneliese Sahr. Wichtig ist den Bewohnern der Ökosiedlung der Kontakt zur "Außenwelt", neugierige Besucher sind willkommen.

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