Mietpreise in Paris:Eine Party gegen die Wohnungsnot

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In Paris sind die Mieten in astronomische Höhen gestiegen. Nun kämpft das Protestkollektiv "Jeudi Noir" medienwirksam dagegen an.

Tobias Dorfer

Es braucht nicht viel, um Gérard Thévénin aus der Fassung zu bringen: Ein Pfiff aus einer Trillerpfeife, Konfetti, das langsam auf seine Glatze fällt, Chilloutmusik -schon gerät die geordnete Welt des Managers aus den Fugen. Eben noch sollte im "Salle Gustave Eiffel" des Pariser Messezentrums eine Diskussionsrunde stattfinden.

Nun ist hier Party. "Meine Damen und Herren, hier ist Jeudi Noir." Die Stimme von Manuel Domergue, einem Sprecher der Gruppe, hallt durch den Raum. Gérard Thévénin, Organisator der Wohnungsmesse "Salon Immobilier", will protestieren - doch seine Worte gehen in der Musik unter.

Jetzt bestimmen 20 junge Männer und Frauen mit schwarzen T-Shirts das Geschehen. Auf der Bühne sitzen vier Redner, eigentlich wollten sie über "Steuererleichterungen und Geldanlage mit Immobilien" diskutieren. Sie lächeln gequält. Irgendwann legen sie ihre Mikrofone auf den Tisch und gehen.

Fremde Wohnungen werden zur Party-Location

Seit einem Jahr machen junge Pariser die städtische Immobilienszene unsicher. Sie nennen sich "Jeudi Noir", schwarzer Donnerstag. Das soll an den Börsencrash von 1929 erinnern. Und an ein Anzeigenblatt, voll mit Wohnungsangeboten, das jeden Donnerstag erscheint. Die Aktivisten protestieren gegen Mietwucher und fordern ein Gesetz, das es Vermietern untersagt, die hohen Mieten weiter anzuheben. Wenigstens in den nächsten Jahren, bis es genügend Sozialwohnungen gibt.

Angefangen hat die Gruppe damit, unverschämte Mietangebote herauszusuchen. Dann ging ein Vertreter zum Besichtigungstermin, ließ den Rest des Kollektivs herein - und sofort wurde die fremde Wohnung für eine Stunde zur Party-Location. Die Vermieter waren überrascht, einige fanden es lustig, die meisten nicht.

Die Polizei wurde mitunter gerufen, und bisweilen solidarisierten sich die Beamten mit dem Partyvolk. Im Dezember besetzte die Gruppe ein leeres Gebäude im Pariser Bankenviertel. Gruppensprecher Manuel Domergue erzählt, man habe in dem Gebäude mittlerweile sogar Duschen eingebaut. Sie nennen das Haus "Ministerium gegen Wohnungsnot". Hier wohnt das arme Paris.

Das reiche Paris sieht man im "Salon Immobilier". Hier treffen sich alle, die mit Immobilien Geld verdienen: Makler, Banken, Bauträger. Das reiche Paris wird umworben. Laufen jedoch junge Menschen in Pullis und Jeans an den Ständen vorbei, drehen sich die akkurat gescheitelten Herren und die Hostessen schnell weg. Doch es hilft nichts, Jeudi Noir übernimmt die Szenerie.

Die Aktivisten verteilen Flugblätter, werfen Konfetti, und Manuel Domergue ruft wieder durch das Megaphon. Mit dabei sind Journalisten, Kamerateams und Radioreporterinnen. Domergue spricht die Menschen an den Ständen an. Er redet von der Immobilienblase, von den Schwachen auf deren Kosten der Häuserhandel gehe und davon, dass die Politik das alles auch noch unterstütze. Manche ignorieren ihn, einige suchen die Diskussion. "Natürlich sind die Mieten hoch", sagt ein Mann. "Aber mit solchen Aktionen ändert ihr nichts." Die Frau neben ihm deutet auf Manuels Füße. "Schaut euch die Schuhe an", sagt sie. "Der hat doch genug Geld."

Keine Chance für Studenten

Manuel Domergue hat an der renommierten Hochschule Sciences Po Journalismus studiert. Nun arbeitet er für einen grünen Senatsabgeordneten. Er wohnt nicht in dem besetzen Bankgebäude mit den eingebauten Duschen, sondern im teuren vierten Bezirk. Er kann sich immerhin eine kleine Wohnung leisten. 500 Euro für 25 Quadratmeter. Die Toilette ist eine Etage tiefer.

Es ist schwer für junge Menschen, in Paris eine bezahlbare Wohnung zu finden. 600 Euro Monatsmiete für eine Einzimmerwohnung von zehn Quadratmetern ist keine Seltenheit. Zudem fordern die Vermieter meist eine Kaution, ein festes Anstellungsverhältnis sowie ein Monatseinkommen, das mindestens dreimal so hoch sein muss wie die Miete. Es ist ein Wohnungsmarkt, auf dem Studenten keine Chance haben. Dagegen kämpft Jeudi Noir an. Aber es ist mehr als ein Kampf gegen Miethaie und Immobilienbüros. Es ist ein Kampf gegen das Frankreich von Nicolas Sarkozy.

Vor einem halben Jahr sah es noch besser aus für Jeudi Noir. Da hatte die Sozialistin Ségolène Royal Chancen auf das Präsidentenamt. Royal hat der Gruppe in ihrem Wahlkampf Unterstützung zugesagt. Nicolas Sarkozy dagegen lehnt die Forderungen des Kollektivs ab. "Er ist für die Macht des Kapitals", behauptet Manuel Domergue. "Er will den Armen nicht helfen." So sind die zählbaren Resultate von Jeudi Noir bislang gering.

Die Gruppe kann sich zuschreiben, die Öffentlichkeit wachgerüttelt zu haben. Sensibilisiert zu haben für ein Thema, das viele betrifft. Aber bislang hat sich die Politik nicht geregt. Und Sarkozy ist nicht dafür bekannt, dass er sich von einer Handvoll demonstrierender Studenten beeindrucken lässt. "In den nächsten fünf Jahren wird es schwierig für uns, unsere Ideen umzusetzen", sagt Domergue. Ihre einzige Chance ist wohl, die Öffentlichkeit auf ihre Seite zu ziehen - mit Hilfe der Medien.

In den vergangenen zwölf Monaten hat das gut geklappt. Jeudi Noir sind in Frankreich längst zu Medienstars geworden. Die Vertreter sitzen in Talkshows und diskutieren mit Ministern. Die Aktionen haben die Jeudi Noir-Leute anfangs noch selbst gefilmt und auf ihre Internetseite oder das Videoportal Youtube gestellt. Heute wird diese Arbeit von Journalisten erledigt, und deren Berichte sind in den Hauptnachrichten der großen Fernsehsender TF1 oder France 2 zu sehen.

Die Kameras sind immer dabei

Dreh- und Angelpunkt ist ein Newsletter, der kurz vor Beginn einer Aktion über den Ablauf und den Ort informiert. 7000 Abonnenten gibt es, 5000 davon sind Journalisten. Es ist eine Symbiose: Jeudi Noir sorgt für die Party, den Rest erledigen die Medien. Das funktioniert, weil jede Aktion die vorhergehende übertrifft. Geschähe das nicht, blieben die Kameras weg. Die Medien bei Laune zu halten - das ist die wichtigste Regel in diesem Spiel.

Zwei Stunden nach der Party im Salle Eiffel sitzen die Jeudi-Noir-Aktivisten vor der Messehalle. Sie sehen erschlagen aus, einige rauchen. Lagebesprechung - die Kameras sind längst weg. Die Aktion habe nicht den gewünschten Erfolg erzielt, sagt Manuel Domergue. "Zu wenig Menschen."

Die nächste Aktion muss spektakulärer sein. Der Sprecher berichtet, man wolle demnächst ein neues Haus besetzen. Dort sollten Studenten kostenlos wohnen können. Mehr will er nicht verraten. Das illegale Studentenwohnheim könnte ein Ersatz für das "Ministerium gegen Wohnungsnot" im Pariser Bankenviertel sein. Denn das Gebäude muss von den Aktivisten demnächst geräumt werden. Die Pariser Stadtverwaltung will dort Sozialwohnungen einrichten.

© SZ vom 15.11.07/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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