Mieten:Die Ruhe vor der Explosion

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Der ersehnte wirtschaftliche Aufschwung hängt wie ein Damoklesschwert über den Mietern: Geht es wieder aufwärts mit der Wirtschaft, wird sich die Misere auf dem Wohnungsmarkt massiv verschärfen.

Von Bernd Kastner

Es sieht schlecht aus auf dem Münchner Mietmarkt, und es wird noch schlimmer kommen: Der ersehnte wirtschaftliche Aufschwung hängt wie ein Damoklesschwert über den Mietern. Wenn die Konjunktur anzieht, werden Tausende nach München wandern, der freien Stellen wegen - und Wohnungen suchen, die es nicht gibt.

Wer soll das bezahlen

"Die Situation wird sich massiv verschärfen mit dem nächsten Aufschwung", sagte Thomas Lange, Chef des Mietervereins München, beim Mietertag. Die Mieten werden explodieren, und keiner der Diskutanten konnte den 350 Besuchern im überfüllten Saal des Alten Rathauses die Frage des Abends beantworten: "Wer soll das bezahlen?"

Die Ruhe, die derzeit auf dem Mietmarkt herrscht und zu leicht sinkenden Mieten bei neu abgeschlossenen Verträgen geführt hat, diese Ruhe ist die vor dem Sturm. Einen "mangelhaften Wohnungsbau" konstatierte Rudolf Stürzer, Vorsitzender des Haus- und Grundbesitzervereins. "Viele Investoren suchen den schnellen Euro", der aber im Wohnungsbau nicht zu machen sei. Statt der benötigten 7000 neuen Wohnungen pro Jahr wurden in den vergangenen beiden Jahren nur jeweils rund 3300 gebaut. Leidtragende sind die sozial Schwachen, die jetzt schon beengt leben und 41 Prozent ihres Einkommens für die Miete ausgeben. Der Schnitt der Gesamtbevölkerung liegt bei "nur" 31 Prozent. Auch die IHK ist besorgt: Firmen, die bald mehr Mitarbeiter brauchen, hätten es schwer, Bewerber nach München zu holen.

München ohne Perspektive

Es herrschte Ratlosigkeit auf dem Podium. "Ich kann keine positive Perspektive aufzeigen", meinte Sozialreferent Friedrich Graffe. Jahr für Jahr fielen 450 preiswerte Wohnungen weg - Wohnungen für die Ärmeren.Fast 500 Kinder leben in Notunterkünften. "Erbärmlich" sei das, klagte Helga Stockreiter, Vorsitzende des Mieterbeirats, und prophezeite eine noch düstere Zukunft: Bis 2010 fallen mehr als 20000 Sozialwohnungen aus der Preisbindung. Ein anderes Problem: Umwandlungsspekulationen mit Mietsteigerungen bis 200 Prozent durch Mieterhöhungen und Modernisierungen.

Die Forderungen richteten sich vor allem an die Abwesenden - "die Stadt tut, was sie kann", versicherte Bürgermeisterin Gertraud Burkert. Graffe will beim Freistaat ein Umwandlungsverbot für München erreichen, und alle Diskutanten riefen nach dem Gesetzgeber: Regionalisiert die Wohnungsbauförderung! Der Osten mit seinen leeren Häusern dürfe nicht mit der Notstandsregion München über einen Kamm geschoren werden.

Es müsse, da ist sich die Mieter-Lobby einig, eine Kappungsgrenze auch bei Modernisierungen geben. Bisher dürfen diese Kosten mit elf Prozent jährlich umgelegt werden, auch wenn die Arbeiten längst bezahlt sind.

Der Unmut richtete sich auch gegen Justiz und Polizei, weil sie zu wenig gegen die "skandalösen Entmietungen" (Burkert) unternähmen. "Das Rechtsbewusstsein wird untergraben", wetterte Lange, "wenn man solche Dinge weiter laufen lässt." Er spielte an auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen Entmietung, die nicht vorankämen. Und auf die Polizei, die untätig zuschaue, wenn ein Vermieter Selbstjustiz übt und eine Wohnung ohne Gerichtstitel leer räumt.

© SZ vom 27.11.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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