Labyrinth im Garten:Der Weg zur Gelassenheit

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Immer mehr Menschen in den USA und Kanada legen sich im eigenen Garten ein Labyrinth an - und manche heiraten sogar dort.

Bernadette Calonego

Wenn Leute den Kanadier David Moul anrufen und sagen: "Dürfen wir vorbeikommen?", dann nicht wegen der Boccia-Bahn auf seinem ländlichen Grundstück. Es ist das von Moul geschaffene Labyrinth im Wald, das Nachbarn und Freunde anzieht. Allein oder in Gruppen schreiten sie die mit Kieselsteinen begrenzten Windungen auf dem weichen Naturboden ab, um Ruhe und Klarheit in einer orientierungslosen Welt zu finden. "Das Leben der meisten ist hektisch und stressig", sagt David Moul, "im Labyrinth finden sie Gelassenheit."

Ein magischer Ort, der sogar zum Heiraten geeignet ist: Stephanie Moul in ihrem Labyrinth in der Provinz British Columbia in Kanada. (Foto: Foto: David Moul)

Meditation und Selbstfindung

David Mouls Anlage in Roberts Creek, einem Küstendorf in der Provinz British Columbia, ist beispielhaft für die Labyrinth-Renaissance in Nordamerika, die inzwischen auch Europa erreicht hat. Lea Goode-Harris, eine promovierte Psychologin und Labyrinth-Expertin aus Kalifornien, schätzt, dass in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren etwa 3000 Labyrinthe in den USA und Kanada entstanden sind. Sie dienen als Orte für Meditation und Selbstfindung, als Mittel zur Therapie und Heilung, als spiritueller Pfad oder einfach als Ruhepol.

8500 Kieselsteine

Man findet sie nicht nur in Kirchen, Erholungszentren, Spitälern, Schulen, Gefängnissen und auf Firmenarealen. Immer mehr Normalbürger legen Labyrinthe in eigenen Gärten an. Den 59-jährigen David Moul, ein Umwelttoxikologe im Ruhestand, inspirierte ein Poster des berühmten Labyrinths in der französischen Kathedrale von Chartres aus dem Jahr 1200. "Ich fand das Design cool", sagt er.

Er lud den Plan vom Internet herunter und baute das Wegesystem vor zehn Jahren mit 8500 hellen Kieselsteinen, die ihn 800 Euro kosteten. Auf die Bahnen dazwischen streute er gemahlene Zedernrinde. Die Arbeit am Labyrinth, das einen Durchmesser von 13 Metern aufweist, dauerte vier Monate. Manchmal nutzen David und seine Frau Stephanie das Labyrinth täglich, manchmal nur an besonderen Festtagen. "In schönen Nächten schreiten wir es nachts im Licht von Kerzen ab", sagt er. Bei Besuchern ist sein Kunstwerk besonders zur Tag- und Nachtgleiche oder zur Sonnenwende gefragt.

Labyrinthe existieren schon seit mindestens 5000 Jahren, ihr Ursprung liegt wahrscheinlich im minoischen Kreta. Vom Mittelmeerraum aus verbreiteten sie sich bis nach Indien und Sumatra oder zu den Hopi-Indianern in den heutigen USA. Das Labyrinth ist übrigens kein Irrgarten, in dem man sich verläuft, denn der Weg führt sicher in die Mitte und wieder heraus.

Zwei-Tage-Training für 600 Dollar

Auch die amerikanische Psychotherapeutin und Pfarrerin Lauren Artress fand ihre Leidenschaft für Labyrinthe in Chartres. Sie veröffentlichte 1995 das Buch "Walking A Sacred Path", das sich von den eher trockenen akademischen Werken deutlich unterschied und wegweisend für die Popularität des Labyrinths in Nordamerika wurde. Artress' Organisation Veriditas in San Francisco bietet Workshops über Labyrinthe und Zwei-Tage-Trainings für 600 US-Dollar an. Über Veriditas kann man sich auch als urkundlich beglaubigter "Labyrinth-Förderer" ausbilden lassen.

Auch die 58-jährige Meg Hansen, Direktorin der Kuranlage Honeymoon Bay Retreat auf Vancouver Island, hat sich bei Veriditas ausbilden lassen. "Ich wollte glaubwürdig sein", sagt sie. Hansen, eine ausgebildete Gartenkultur-Therapeutin, hat schon sechs Labyrinthe aus Holz, Stein oder Gras gebaut. In einem davon pflanzte sie 631 Setzlinge.

Labyrinth als Therapieform

Hansen selbst setzt Labyrinthe als therapeutisches Mittel für hilfesuchende Menschen ein. "Labyrinthe können uns innere Ruhe geben, aber auch starke Gefühle hervorrufen", sagt sie. "Sie bewegen unsere Psyche." In der Provinz Ontario hat die Psychiatrische Klinik St. Joseph's in Hamilton zwei Anlagen gebaut. Forscher einer angeschlossenen Universität untersuchen nun das Potential des Labyrinths als Therapieform.

Was viele Leute anspricht, ist die Einfachheit der Methode. Man setzt einen Fuß vor den andern und wartet, was passiert. "Es gibt nicht eine richtige oder eine falsche Art, sich darin fortzubewegen", sagt David Moul. Seine Frau Stephanie ergänzt, dass ein Labyrinth nicht nur eine New-Age-Sache sei. Es überwinde religiöse und spirituelle Grenzen. Emotional war für die reiselustige Köchin der 8. September 2007: Da heiratete sie David Moul - während einer Zeremonie im Labyrinth.

© SZ vom 16.07.2008/jw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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