Krise im Verborgenen:Das Essen wird kalt

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Die Krise der Wall Street trifft den Haushalt der Stadt New York, die Nobelrestaurants, die Juweliere - und Mohammed Achmed, der seine Hot-Dogs nicht mehr los wird.

Moritz Koch

Von morgens bis abends steht Mohammed Achmed an der Wall Street. Mit freier Sicht auf das riesige Sternenbanner an der Fassade der New Yorker Börse baut er seinen Stand auf und verkauft Hot Dogs, Chips und Cola.

Das Geschäft läuft schlecht und jede Woche wird es schlechter: Starßenhändler Mohammed Achmed (Foto: Foto: Moritz Koch)

Wenn gerade keiner etwas kaufen will, schmiedet Mohammed Pläne für die Zukunft. Zeit dafür hat er ziemlich viel. "Das Geschäft läuft schlecht und jede Woche wird es schlechter", sagt er.

Es ist sechs Uhr nachmittags. Vier Hot Dogs hat Mohammed in der letzten Stunde verkauft, drei davon an Fernsehteams, die gekommen sind, um den Niedergang der Finanzwelt filmen. Was genau da in dem Gebäude mit der großen Fahne vor seinen Augen vor sich geht, weiß Mohammed nicht.

Er weiß nur, dass seine Hauptkundschaft, die Broker, sich immer seltener blicken lässt. "Die Leute sind gestresst, keiner will was essen. Nicht mal meine Cola-Dosen bin ich losgeworden", sagt Mohammed. Selbst Fast Food ist in einer Woche wie dieser offenbar zu zeitaufwendig, in der Banken kollabieren, Versicherer verstaatlicht werden, Kreditmärkte austrocknen und Aktienmärkte verrückt spielen.

Ein Viertel des Einkommens

Mohammed stammt aus Ägypten. Mit 16 Jahren wanderte er nach Amerika aus. Wegen der Freiheit, sagt er. "Hier kann jeder Geschäfte machen, so wie er will." Mohammed ist mittlerweile 21. Fünf Jahre schon verkauft er Hot Dogs. Zwei Dollar pro Stück, auf Wunsch mit Senf, Ketchup und einer braunen Zwiebelsoße. "Eigentlich ist das eine gute Stelle hier", sagt Mohammed und zeigt auf die nahe Kreuzung zwischen Wall Street und Nassau Street. Den Stand woanders aufzubauen, macht keinen Sinn. "Ich glaube, den anderen Verkäufern geht es auch nicht besser."

Wahrscheinlich hat er recht. Die Krise an der Wall Street ist in der ganzen Stadt zu spüren. Die Imbissbuden leiden ebenso wie die Schuhputzer, die Frisöre, die Wäschereien, die Juweliere, die Krawattengeschäfte und die Nobelrestaurants. Sie alle leben vom Geld der Wall Street.

Etwa ein Viertel des Gesamteinkommens New Yorks wird in Finanzfirmen erwirt-schaftet, obwohl dort nur etwa fünf Pro-zent der Stadtbewohner arbeiten. Nun verlieren Zehntausende Bankiers ihre Jobs und die restlichen müssen zusehen, wie ihr Vermögen mit den fallenden Aktienkursen dahinschmilzt.

Im Bundesstaat New York haben in den ersten acht Monaten des Jahres nach offiziellen Angaben fast 50.000 Finanzangestellte ihren Job verloren. Die Zahl dürfte nach der Pleite der Investment-bank Lehman Brothers und der Übernahme ihres Konkurrenten Merrill Lynch durch die Bank of America noch einmal deutlich steigen.

Die meisten Finanzangestellten leben und arbeiten in New York City. Etwa 180.000 Menschen sind dort bei Banken und Brokern beschäftigt. Und von jedem dieser Arbeitsplätze sind weitere Menschen abhängig, weil die Bankiers so gut verdienen und so gern Geld ausgeben. Im Schnitt kamen die Finanzangestellten im vergangenen Jahr auf ein Einkommen von 280.000 Dollar - fünfmal mehr als ein normaler New Yorker.

Wie immer optimistisch

Das macht die Branche auch für die Stadtverwaltung so bedeutend. Die Wall Street und ihre Angestellten kommen normalerweise für etwa 20 Prozent der gesamten Steuereinnahmen auf. Aber in diesem Jahr wird für die Stadt nicht viel zu holen sein. Der Haushalt ist schon Makulatur: "Wir werden weniger Geld für unsere Angestellten und für Investitio-nen haben", räumte Bürgermeister Michael Bloomberg diese Woche ein. Schon wird befürchtet, dass sich der Wiederaufbau der Straßenzüge um das World Trade Center verzögert.

Die Krise mag die Stadt erschüttern, den Optimismus ihrer Bewohner aber trübt sie kaum. Die große Mehrheit rechnet damit, dass es schon bald wieder aufwärts geht mit New York. Und auch Mohammed glaubt fest an den amerikanischen Traum.

Er will weg von seinem Job auf der Straße, so schnell es geht. "Ich spare Geld, um mir das College leisten zu können," sagt er. Dass er bisher nicht einmal einen richtigen Schulabschluss hat, hält ihn von seinem Plan nicht ab. "Ich werde Jura studieren. Und nach dem Abschluss komme ich zurück und arbeite bei einer der großen Firmen hier an der Wall Street." Da, sagt er, verdiene man "gutes Geld".

© SZ vom 20.09.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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