Joseph Stiglitz zur Finanzkrise:"Die Wall Street hat den Krieg der Worte verloren"

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Nobelpreisträger Joseph Stiglitz über den starken Staat, Tricks der Investmentbanken - und eine neue Zulassungsbehörde für Finanzmärkte.

U. Schäfer

Joseph Stiglitz, 65, liebt deutliche Worte: Unter den 14 Ökonomie-Nobelpreisträgern, die sich derzeit in Lindau am Bodensee getroffen haben, ist er der schärfste Kritiker der Globalisierung. Der Professor von der Columbia-Universität in New York fordert, die Finanzmärkte schärfer zu regulieren und die Steuern für Reiche zu erhöhen.

Immer für ein klares Wort gut: Nobelpreisträger Joseph Stiglitz. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Professor Stiglitz, die Welt erlebt die schwerste Finanzkrise seit 1929. Zugleich schwindet das Vertrauen der Menschen in die Marktwirtschaft. Steckt der Kapitalismus insgesamt in der Krise?

Stiglitz: Was wir erleben, ist die Rückkehr zur Vernunft. Es gab einen irrationalen Überschwang. Alle haben geglaubt, dass die Marktwirtschaft perfekt funktioniert und immer in der Lage ist, sich selbst anzupassen. Diese naive Sichtweise ist zusammengebrochen.

SZ: Was war daran so naiv?

Stiglitz: Wir haben bereits in der Weltwirtschaftskrise gelernt, dass der Markt allein es nicht richtet. Aber das ist 75 Jahre her. Und irgendwann ist das Bewusstsein dafür verlorengegangen.

SZ: Warum haben alle geglaubt, dass die Märkte von allein funktionieren ...

Stiglitz: ... nicht alle ...

SZ: ... aber die Mehrheit.

Stiglitz: Auch da habe ich Zweifel. In den USA sind viele Menschen schon länger desillusioniert über die Ergebnisse der Reformen unter Ronald Reagan, und das Gleiche gilt für die Erfahrungen der Briten mit Margaret Thatcher. In Europa hat sich der Glaube an den Markt länger gehalten als in den USA, wo die Mehrheit immer der Meinung war, dass es einer Regierung bedarf, die den Markt reguliert. Zugleich gab es aber große Angst vor einem ausufernden Staatsapparat. Man kann das Schizophrenie nennen.

SZ: Ist die Deregulierung und Liberalisierung der Märkte zu weit gegangen?

Stiglitz: Das kann man so generell nicht sagen. Entscheidend ist: Haben wir die richtige Regulierung? Als ich in den 90er Jahren für die Regierung von Bill Clinton gearbeitet habe, haben wir in vielen Bereichen die Regulierung gelockert, aber in einigen Bereichen auch verschärft. Die Konservativen behaupten dagegen, dass jeder Eingriff schlecht sei.

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SZ: Wo wünschen die Amerikaner sich denn mehr Staat?

Stiglitz: Die Amerikaner wollen zum Beispiel nicht, dass ihnen schlechtes Essen vorgesetzt wird. Sie wollen, dass der Staat für sichere Lebensmittel sorgt. Die Menschen trauen auch nicht den Pharmakonzernen und wollen, dass jemand die Medizin testet. Für diese Form der Regulierung sind alle. Anders sieht es bei den Finanzmärkten aus. Hier ist es der Wall Street gelungen, das eigene Geschäft in ein viel zu positives Licht zu rücken.

SZ: Inwiefern?

Stiglitz: Die Banken behaupten, sie könnten Risiken managen. Aber dazu sind sie nicht in der Lage. Sie sind nicht einmal in der Lage, ihre Risiken richtig zu beziffern. Es ist phänomenal, wie sehr die Banken danebengelegen haben.

SZ: Niemand hat die Banken gestoppt. Die Aufsicht hat sie gewähren lassen.

Stiglitz: Das stimmt. Und die amerikanischen Banken haben einen wichtigen Unterstützer: Alan Greenspan. Der hat behauptet, keine Regulierung sei die beste Regulierung. Er hat den Eindruck erweckt, als gebe es keine Blase. Diese Mentalität hat sich überall verbreitet.

SZ: Mit welchen Folgen?

Stiglitz: Die Banken haben gnadenlos ausgenutzt, dass es große Unterschiede in der Regulierung gibt. Sie sind mit ihren Geschäften dorthin gegangen, wo die Aufsicht am geringsten ist und die Steuern am niedrigsten sind. Dadurch ist neben dem eigentlichen Bankensystem ein zweites Schattenbankensystem entstanden. Die Banken haben ihre Schulden und Geschäfte einfach in Zweckgesellschaften in Steueroasen verlagert.

SZ: Sollten die Aufsichtsbehörden das Schattenreich zerstören?

Stiglitz: Ganz klar ja. Unser Bankensystem ist reguliert, weil es so wichtig ist für das Funktionieren unserer Wirtschaft. Aus diesem Grund kaufen wir die Banken heraus, wenn sie zusammenbrechen. Der Staat bietet den Banken Sicherheit, und weil er das tut, kann er, genauso wie eine Feuerversicherung, Auflagen machen und zum Beispiel fordern, dass jedes Haus eine Sprinkleranlage hat.

SZ: Die Banken wollen für die Feuerversicherung aber kein Geld ausgeben.

Stiglitz: Das ist das Problem. Die Banken fordern stattdessen, dass der Staat größere Krankenhäuser baut, um die Opfer des Großbrands zu versorgen. Sie wollen zudem, dass ihre kleinen netten Feuer in Steueroasen wie den Cayman Islands oder den Bermudas weiter brennen. Diese Steueroasen sollte man dichtmachen.

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SZ: Die USA setzen tatsächlich gerade die Schweiz unter Druck, nicht aber die Caymans, wo die meisten Hedgefonds der Wall Street registriert sind.

Stiglitz: Es bringt nichts, wenn man Liechtenstein oder Monaco dichtmacht und das ganze Geld dann in eine andere Steueroase fließt. Deshalb muss man weltweit vorgehen, ohne Ausnahme.

SZ: Eine andere Gefahr sind die vielen hochriskanten Derivate, die die Banken in den vergangenen Jahren erfunden haben. Wie sollte man damit umgehen?

Stiglitz: Wir sollten eine Behörde schaffen, die diese Produkte prüft und testet, ehe sie zugelassen werden. Das ist bei Medikamenten nicht anders: Ehe Pharmaunternehmen diese vertreiben dürfen, muss der Staat sie zulassen.

SZ: Die Investmentbanken wollen aber neue Produkte, etwa Credit Default Swaps, also eine Versicherung auf Kreditrisiken, schnell auf den Markt bringen. Die wollen nicht ewig warten, ehe sie damit Geld verdienen können.

Stiglitz: Die Welt ist 2000 Jahre ohne Credit Default Swaps ausgekommen. Bricht die Welt auseinander, wenn wir drei Monate länger warten müssen? Umgekehrt kann das Weltfinanzsystem zusammenbrechen, wenn solche Produkte sich als giftig erweisen. Der amerikanischen Wirtschaft würde es nicht schlechter ergehen, wenn man ein oder zwei Jahre auf solche Produkte warten müsste.

SZ: Sollten also insgesamt die Regeln der Finanzmärkte verschärft werden?

Stiglitz: Das ist zwingend. Wir können nicht Banken mit dem Geld des Steuerzahlers herauskaufen und dann sagen: Ihr könnt so weitermachen wie bisher. Die Banken müssen dafür einen Preis bezahlen, wenn sie gerettet werden.

SZ: Sind die Banken dazu bereit?

Stiglitz: Die Wall Street hat den Krieg der Worte verloren, aber den Krieg in der Realität noch nicht. Also sagen die Banken jetzt: Wir wollen mehr Regulierung. Und dann werden sie versuchen, dieser Regulierung auszuweichen oder sie im Gesetzgebungsverfahren zu verändern. Der Teufel steckt leider im Detail.

SZ: Müssten nicht die Investmentbanker, die alle Millionen verdient haben, auch persönlich einen Preis zahlen? Sollte man ihre Steuern erhöhen?

Stiglitz: Absolut. Die Banker haben in den letzten Jahren von sehr niedrigen Steuersätzen profitiert. Das müssen wir ändern. Robert Shiller hat dazu eine sehr gute Idee entwickelt und vorgeschlagen, dass wir unser Steuersystem jedes Jahr an die Ungleichheit in der Gesellschaft anpassen. Wir verändern die Steuersätze ja schon jetzt unregelmäßig. Warum sollen wir das nicht in das Steuersystem so einbauen, dass es automatisch passiert?

© SZ vom 23./24.08.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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