Interview mit Roland Berger:"Im Moment wird Kunst gnadenlos überbezahlt"

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Schon als Jugendlicher begann sich Roland Berger für Kunst zu interessieren. Im Interview erklärt der Unternehmensberater, warum er die Auseinandersetzung mit Kreativität für wesentlich hält. Als Investment betrachtet er Kunst allerdings nicht.

SZ: Herr Berger, welche Kunstwerke haben Sie in jüngster Zeit gekauft?

Der Besuch einer Kadinsky-Ausstellung war für Roland Berger das Schlüsselerlebnis. Seither interessiert sich der Unternehmensberater für Kunst. (Foto: Foto: dpa)

Berger: Ich habe vor einigen Wochen in der Schweiz zwei Fotografien des Amerikaners Joseph Kosuth erworben; sie zeigen eine Bibliothek von Sigmund Freud. Außerdem habe ich jüngst ein abstraktes Bild des Schweizer Künstlers Not Vital gekauft, den ich in Sent im Engadin kennen gelernt habe, sowie eine Treppe von Wolfgang Laib, die im Foyer meines Büros in den Münchner Highlight Towers steht. In Amerika habe ich vor kurzem ein abstraktes Gemälde von Christopher Wool erstanden, das im Büro meiner Frau hängt, und in Berlin ein Bild von Albert Oehlen, das sich noch in der Galerie befindet.

SZ: Wie viel haben Sie für den Oehlen bezahlt?

Berger: Darüber rede ich nicht. Denn ich kaufe Kunst nicht als Investment, sondern weil sie mir viel gibt. Kunst bereichert mein Leben und meine Arbeit. Sie besitzt für mich vor allem ideellen und ästhetischen Wert. Wer arbeitet nicht lieber in einer inspirierenden Umgebung? Kunst schafft diese Atmosphäre, im Gegensatz zu einer Wand voller Firmenprospekte, Flipcharts und Kalender. Kunst fördert Kreativität. Sie bringt auf neue Gedanken, das ist für uns Unternehmensberater wesentlich.

SZ: Und der Wert spielt keine Rolle?

Berger: Natürlich freue ich mich als Sammler, wenn der Markt mir bestätigt, dass ich keinen Fehlkauf getätigt habe. Aber auch der Kunstmarkt folgt Moden. Hoffnung auf finanziellen Gewinn sollte daher beim Sammeln nie den Ausschlag geben.

SZ: Wie kamen Sie zur Kunst?

Berger: Zeitgenössische Kunst habe ich durch meinen Zeichenlehrer am humanistischen Gymnasium in Nürnberg entdeckt. Damals war ich 15 Jahre alt. Er hat unsere Klasse durch eine Kandinsky-Ausstellung geführt. Bis dahin kannte ich nur den Hasen von Dürer und andere alte, gegenständliche Malerei. Kandinsky hat mich so schockiert und gefordert, dass ich die Ausstellung dann noch vier Mal auf eigene Rechnung besucht habe. Das war mein Schlüsselerlebnis. Seitdem interessiere ich mich für zeitgenössische Kunst, lese Bücher und Kataloge darüber, besuche Ausstellungen, Galerien und gelegentlich Auktionen.

SZ: Wann haben Sie Ihr erstes Werk gekauft?

Berger: Als Student; Grafiken und Zeichnungen. Da ich neben meinem Studium schon erfolgreich eine Wäscherei betrieben habe, hatte ich das nötige Geld dafür.

SZ: Haben Sie die erste Grafik noch?

Berger: Natürlich.

SZ: Sie hängt in Ihrem Wohnzimmer?

Berger: Nein, sie steht im Bilderkeller. Meine Frau Karin hat sie irgendwann abgehängt. Meine Frau und ich haben uns übrigens auch durch die Kunst kennen gelernt. Wir boten nämlich ums gleiche Bild, ein frühes Gemälde von Ruprecht Geiger. Den Zuschlag erhielt natürlich meine Frau!

SZ: Wie groß ist Ihre Sammlung?

Berger: Unser Unternehmen besitzt rund 1000 Bilder und Skulpturen, Zeichnungen und Grafiken. Privat nenne ich etwa 250 Werke mein eigen. Die Firmensammlung ist aus meiner persönlichen Leidenschaft für bildende Kunst entstanden. In den Anfängen der Firma lag es nahe, die Büros mit Kunst aus dem privaten Bestand zu bestücken. Dann habe ich gemerkt, wie positiv unsere Mitarbeiter auf die Begegnung mit Kunst reagierten. So entstand die Idee, systematisch eine Firmensammlung aufzubauen, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Für unsere 26 Auslandsbüros sammeln wir Kunst aus dem jeweiligen Land. Die Büros in Peking und Shanghai etwa haben wir schon früh mit zeitgenössischer chinesischer Kunst ausgestattet. Dass einmal so ein Hype daraus erwachsen würde, habe ich weder ahnen können, noch hätte es mich interessiert. Auch jeder unserer sechs deutschen Standorte hat seinen eigenen Charakter. In Hamburg konzentrieren wir uns zum Beispiel auf Fotokunst.

SZ: Kennen Sie den Wert Ihrer Sammlung?

Berger: Ich kenne den Versicherungswert, aber ob ich ihn am Markt erlösen würde, ist eine ganz andere Frage.

SZ: Sind Teile der Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich?

Berger: Für die Mitarbeiter und Kunden unserer Büros ja. Privat leihen wir manchmal Bilder an Museen oder Galerien aus. Ab und zu laden wir auch zu Führungen ein oder veranstalten Ausstellungen mit heimischen und deutschen Künstlern, wie die, die wir soeben in unserm Büro in Zagreb eröffnet haben.

SZ: Wo kaufen Sie Kunst?

Berger: Überwiegend in Galerien, manchmal beim Künstler, selten auf Auktionen. Ich reise viel und zwischendurch nehme ich mir immer wieder Zeit für solche Kurzbesuche.

SZ: Nach welchen Kriterien sammeln Sie?

Berger: Erstens spielt der Grad an Kreativität und Innovation eines Künstlers für mich eine große Rolle. Schafft etwa ein Maler etwas Neues oder wiederholt er, was andere schon vor ihm gedacht und verewigt haben? Zweitens, die handwerkliche Qualität. Drittens, die künstlerische Aussage, ich muss mich mit der Kunst identifizieren und mit ihr leben können. Und viertens: Ist das Werk sein Geld wert? Denn jedes Budget ist endlich.

SZ: Haben Sie denn ein festes jährliches Investitionsbudget für Kunst?

Berger: Nein. Aber ich versuche, mich zu disziplinieren.

SZ: Wie schätzen Sie die Lage am Kunstmarkt ein?

Berger: Im Moment wird Kunst gnadenlos überbezahlt. Was nicht heißen soll, dass zeitgenössische Kunst bald wieder preiswerter werden wird, denn die Preise liegen immer noch um rund ein Fünftel unter dem Niveau am Ende der 90er Jahre, zu Zeiten der New Economy.

SZ: Wo sehen Sie die Gründe für den Preisauftrieb?

Berger: Das Angebot an guter Kunst ist begrenzt, während die Zahl der Käufer steigt. Dazu gehören heute, anders als noch vor 20 Jahren, viele kunstsinnige und wohlhabende Menschen aus China, Russland und Indien. Kunst sammelten damals vor allem Europäer und Amerikaner und auch da nur bestimmte Bevölkerungsschichten. Der Wohlstand wächst weltweit, Gott sei Dank. Und je nach wirtschaftlicher Entwicklung gibt es immer Berufsgruppen, die besonders leicht zu Geld kommen. Im Moment sind das vor allem Investmentbanker und Hedgefonds-Manager. Sie hängen sich gerne schicke Kunst ins Haus. Und wenn sie ihre Millionen-Boni bekommen, spielt der Preis dabei keine Rolle.

SZ: Was ist denn gerade schick?

Berger: Die Mode wechselt. Vor 20 Jahren war die Transavanguardia mit Künstlern wie Enzo Cucchi und Francesco Clemente hoch geschätzt und relativ teuer - heute ist sie vergleichsweise preiswert. Das Gleiche gilt für die Neuen Wilden der frühen 70er und 80er Jahre, Künstler wie Helmut Middendorf, Rainer Fetting, Elvira Bach, Bernd Zimmer oder Salome. Nur wenige der Neuen Wilden haben ihren Wert halten können. Aber auch der kann jeden Tag wieder steigen. Ähnliches gilt für die Fotokunst, deren Wertentwicklung langsam auf ihren Höhepunkt zu steuert. Auch die Neue Leipziger Schule unterliegt einem zeitweiligen Hype. Drei, vier exzellente Maler dieser Schule werden vielleicht Bestand haben.

SZ: Wen zählen Sie dazu?

Berger: Sicher Neo Rauch, der handwerklich hervorragend, innovativ und kreativ ist und dessen Bilder eine hohe Aussagekraft besitzen. Aber auch solche Künstler können sich den Moden nicht entziehen. Es kann sein, dass Sie heute für einen Neo Rauch eine halbe Million Euro zahlen und das selbe Werk in zwanzig Jahren nur noch 50 000 Euro kostet. Trotzdem bleibt es exzellente Kunst.

SZ: Glauben Sie, dass heute mehr Akteure am Kunstmarkt unterwegs sind, die von potentiellen Wertsteigerungen getrieben sind als vor fünfzig Jahren?

Berger: Ja. Es gibt mehr kommerziell denkende Menschen und Institutionen, die Kunst en Gros kaufen, um an ihr zu verdienen, oder die durch Beratung, Handel und Finanzierung beim Kunstkauf zu Geld kommen.

SZ: Schadet das dem Markt?

Berger: Der Markt ist der Markt. Wenn man sich in der Marktwirtschaft bewegen will, muss man ihre Gesetze respektieren. Für Käufer aber ist Vorsicht angesagt. Es ist wie am Aktienmarkt: wer zu höchsten Kursen investiert, läuft eher Gefahr, sein Geld zu verlieren. Aber noch viel bedenklicher sind die Folgen für junge Künstler, die mit viel Marketing im Preis hochgetrieben und zu schneller Produktion angehalten werden. Das kann diesen Künstlern schaden. Denn Talent braucht Zeit, um zu reifen.

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