Interview mit Joseph Stiglitz:"Die Entwicklungsländer wurden betrogen"

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Der amerikanische Nobelpreisträger Joseph Stiglitz über die Mängel der Globalisierung,den Dokumentarfilm "Der große Ausverkauf" und die Unerlässlichkeit von Demonstrationen.

Moritz Koch

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, 64, lehrt an der Columbia University in New York. Seine Kritik am Neoliberalismus hat den früheren Weltbankökonomen zur Ikone der Globalisierungsgegner gemacht. Im Dokumentarfilm Der große Ausverkauf, der am 17. Mai in die Kinos kommt, beklagt Stiglitz den Verkauf von Staatsbesitz.

SZ: Der Film geißelt Privatisierung pauschal als sozialen Kahlschlag. Sie tauchen als Kronzeuge auf. Dagegen schreiben Sie in einem Ihrer Bücher, dass private Betriebe oft besser funktionieren als staatliche. Wie passt das zusammen?

Joseph Stiglitz: Das Kino ist in der Tat nicht der richtige Ort für eine ausgewogene Debatte. Dafür kann das Kino einzelne Probleme herausstellen und mit Leben erfüllen. Meine Position ist: Privatisierung ist kein Allheilmittel. Sie muss behutsam geplant und umgesetzt werden. Immer, wenn wir es mit einem sogenannten natürlichen Monopol zu tun haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass eine Privatisierung nichts bringt. Die Strom- und Wasserversorgung sowie die Bahn sind Beispiele dafür. Es kann eben nur ein Netz für Leitungen und Schienen geben. Dem Betreiber winken phantastische Renditen, Märkte versagen hier, weil es zu keinem Wettbewerb kommt.

SZ: Nehmen wir ein Beispiel aus dem Film: die Stadt Cochabamba in Bolivien. Dort kam es im Jahr 2000 zu schweren Ausschreitungen, nachdem auf Drängen der Weltbank die Wasserversorgung privatisiert worden war und die Preise in die Höhe schnellten. Was der Film verschweigt: Vor der Privatisierung waren viele Slums gar nicht an das Leitungsnetz angeschlossen, während die Oberschicht ihre Schwimmbäder zu Spottpreisen füllen konnte.

Stiglitz: Das ist richtig. Genau hier zeigen sich die Beschränkungen des Films. Er differenziert nicht, sondern versucht, eine Meinung zu verbreiten. In Bolivien war das Ziel der Privatisierung, die Versorgung für die Armen zu verbessern. Aber: Dieses Ziel wurde verfehlt. Die gewählte Form der Privatisierung war nicht das richtige Instrument. Meine Kritik an der Weltbank und dem Weltwährungsfonds war, dass sie Privatisierungen dogmatisch verlangten, ohne die Umstände zu prüfen. Inzwischen zeichnet sich ein Umdenken ab.

SZ: Vereinfacht der Film zu stark?

Stiglitz: Lassen Sie mich so antworten: Ich könnte mir einen Film vorstellen, der zunächst zeigt, was man sich von der Privatisierung versprochen hat und dann darstellt, was tatsächlich passiert ist. Das wäre ein interessanter Film.

SZ: In Lateinamerika schlägt das Pendel zurück. Rohstoffindustrien werden verstaatlicht.

Stiglitz: Der Grund für die Verstaatlichungen ist: Die Entwicklungländer wurden betrogen - entweder durch Korruption oder durch Inkompetenz. Sie wurden zu schlechten Bedingungen gedrängt, rasch zu privatisieren. Man sollte die Kritik an den linken Regierungen Lateinamerikas nicht dramatisieren. Die Aufregung über die Veränderungen ist größer als die Veränderungen selbst.

Die Gesetze vieler Länder besagen, dass der Staat nicht die Rohstoffe, sondern nur die Schürfrechte verkaufen darf. Nun werden Vertragsänderungen vorgenommen, die klarmachen, dass die Ressourcen der Allgemeinheit gehören und ausländische Firmen, die die Rechte an ihrer Ausbeutung halten wollen, einen fairen Preis zahlen müssen.

SZ: Ihr Kollege an der Columbia University, Jagdish Bhagwati, sagt: "Es ist naiv zu glauben, Staatsbetriebe könnten effizient werden. Nach derselben Logik könnte man Streifen auf einen Elefanten kleben, um ihn zum Zebra zu machen."

Stiglitz: Das ist eine rhetorische Fanfare. Bhagwati ist mit seinem Denken in der ökonomischen Theorie des 19. Jahrhunderts steckengeblieben. Die Realität sieht anders aus. Die amerikanische Sozialversicherung ist effizienter als jede private Versicherung. Ein anderes Beispiel wäre Petronas, die staatliche Ölfirma Malaysias, der es gelingt, mehr Geld aus dem Ölgeschäft in die öffentlichen Taschen zu spülen als jede Privatfirma.

Selbst wenn man annimmt, dass Privatfirmen in der Regel effizienter arbeiten, muss man beachten, dass Unternehmer für ihre Effizienz kompensiert werden wollen. Wenn eine Firma durch Effizienz fünf Dollar spart, aber sechs Dollar Kompensation dafür verlangt, ist das für die Allgemeinheit ein schlechtes Geschäft.

SZ: "Der große Ausverkauf" kommt im Vorfeld des G-8-Gipfels in Heiligendamm in die Kinos. Afrika steht bei dem Treffen ganz oben auf der Agenda. Doch Kritiker sagen schon jetzt, dass der Westen seine Hilfszusagen nicht einhalten wird. Was können die Afrikaner selbst gegen die Armut tun?

Stiglitz: Leider nicht viel. Die früheren Kolonialherren haben in Afrika einen Mangel an Bildung, Infrastruktur und politischen Institutionen hinterlassen. Natürlich muss man von den Afrikanern fordern, verlässliche Regierungen zu bilden und Korruption zu bekämpfen. Aber wir dürfen die Rolle nicht vergessen, die Firmen aus Industriestaaten bei der Förderung der Korruption spielen.

Es ist kinderleicht für ausländische Öl- und Bergbaukonzerne, in einem Entwicklungsland die Rechte an der Ressourcennutzung unter dem Marktpreis zu kaufen, wenn sie Teile ihres Profits mit den Ministern teilen. Wir brauchen viel mehr Transparenz. Bis vor kurzem konnten Schmiergelder in reichen Ländern sogar von der Steuer abgesetzt werden. Jetzt müssten die G 8 beschließen, dass Unternehmen ihre Verträge mit afrikanischen Staaten vollständig offenlegen müssen. Doch alles, was die Industrieländer tun, ist, den Afrikanern Vorträge zu halten.

SZ: Ihre Kritik inspiriert viele Globalisierungsgegner. Der Protest gewinnt nun an Schärfe. Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen sogar mit Gewalt.

Stiglitz: Demonstrationen sind unerlässlich, wenn wir eine faire Globalisierung wollen. Aber sie müssen friedlich sein. Ich hoffe, dass es zu keinen Ausschreitungen kommt.

© SZ vom 12.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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