Immobilienkrise in den USA:Vor die Tür gesetzt

Lesezeit: 3 min

Nach Zwangsräumungen von Mietshäusern landen in Amerika immer mehr Menschen auf der Straße.

In der Immobilienkrise haben die Notunterkünfte quer durch die USA Hochkonjunktur. In den ärmeren Vierteln der Innenstädte mehren sich geräumte, mit Brettern vernagelte Mietshäuser. Immer mehr Mieter, deren Hauswirte mit den Hypotheken nicht mehr nachkamen, werden nach Zwangsvollstreckungen auf die Straße gesetzt. Darunter sind viele Familien, meist alleinerziehende Mütter mit mehreren Kindern.

Vor hundertsechzig Jahren, zur Zeit des kalifornischen Goldrauschs, bestand Sacramento vorwiegend aus Zelten. Jetzt gibt es sie dort wieder - als Notunterkünfte für gekündigte und nun obdachlose Mieter. (Foto: Foto: AFP)

"Die Leute rennen uns mit diesem Problem die Türen ein", sagt Mercedes Marquez vom Wohnungsamt Los Angeles. "Und die Welle kommt erst noch." Es hat derartige Ausmaße angenommen, dass Los Angeles kürzlich alle Zwangsräumungen gestoppt und beschlossen hat, leerstehende Gebäude anzukaufen und darin bezahlbaren Wohnraum anzubieten.

Sheriff stoppt Räumungen

Erschöpft und enttäuscht von einem weiteren ergebnislosen Tag auf Wohnungssuche, kommt Janice Johnson abends in die Notunterkunft, Schlafanzüge für ihre drei Jüngsten in der Hand. Die Midnight Mission ist ihre letzte Zuflucht. Die Mietwohnung im Süden von Los Angeles, in der sie jahrelang lebte, musste sie räumen, als eine Bank das Haus übernahm. "Ich will nicht auf der Straße leben", sagt die alleinerziehende Mutter, die Sozialhilfe bezieht. "Ich versuche alles, damit die Kinder weiter zur Schule gehen. So obdachlos, wie wir jetzt leben, kriege ich immer Anrufe, dass mein Achtjähriger im Unterricht einschläft."

Überall in den USA ringen die Städte mit demselben Problem. In Chicago hat sich die Zahl der Räumungen nach Zwangsvollstreckungen in den vergangenen beiden Jahren verdreifacht, auf mehr als 4500 im vorigen Jahr. Der Sheriff von Cook County, Thomas Dart, verlangt jetzt von den Banken eine viermonatige Kündigungsfrist. Voriges Jahr stoppte er Zwangsräumungen, als er sah, wie Mieter umstandslos vor die Tür gesetzt wurden.

Die Stadt Boston weist Mieter mit Postkarten auf ihre Rechte hin. Zudem müssen Hausbesitzer ein Schild mit Auskunft über den Vermieter und einer lokalen Kontaktadresse anbringen, erklärt Pat Canavan, ein Mitarbeiter von Bürgermeister Thomas Mening. Haben die Mieter keine Heizung, dürfen städtische Inspektoren Heizöl bestellen und dem Besitzer in Rechnung stellen. Zudem wird geprüft, zwangsvollstreckte Häuser zu kaufen. "Die Schuldner wollen diese Gebäude leer haben, aber wir wollen keinen Leerstand", sagt Canavan. Das ziehe alle möglichen Folgen nach sich.

Entmietung mit Einschüchterung

Die meisten Zwangsräumungen rühren daher, dass die Banken nicht Vermieter spielen und einen Hausverwalter engagieren wollen, selbst wenn sie dadurch auf Mieteinnahmen verzichten müssen. "Das ist einfach nicht ihr Geschäft", erklärt Dustin Hobbs, Sprecher der Vereinigung kalifornischer Hypothekenbanken. "Sie wollen das Wohneigentum frei und unbelastet weiterverkaufen."

Etliche Betroffene klagen darüber, dass der Entmietung mit Einschüchterung nachgeholfen wird, damit es schneller und billiger geht. Denn in Wohnungen mit Mietpreisbindung haben die Mieter Anspruch auf 60 Tage Kündigungsfrist und Umzugskosten, die sich auf Tausende Dollar belaufen können, wie Marquez erklärt. Die Stadtverwaltung werde von Beschwerden gekündigter Mieter überschwemmt. Die ärmeren Viertel in Los Angeles sind besonders betroffen. Noch 2007 waren Gebäude mit insgesamt 1690 Wohnungen von Zwangsvollstreckung betroffen, 2008 waren es schon 4789 Wohnungen.

Leidtragende sind die Mieter, die das Dach über dem Kopf verlieren, obwohl sie ihre Miete immer bezahlt haben. Und nicht alle leben von staatlichen Zuwendungen. Viele haben durchaus Arbeit, aber nicht genug Ersparnisse für eine neue Wohnung, oder sie finden schlicht keine neue Unterkunft, die sie bezahlen können. Nicht alle können bei Familie und Freunden unterkommen, und so ändert sich auch die Klientel der Notunterkünfte. Nicht mehr nur viele alleinstehende Männer und Frauen, auch immer mehr Familien mit Kindern suchen ein Obdach für die Nacht.

"Wir haben jetzt arbeitende Familien in den Unterkünften. Die Leute gehen von der Unterkunft aus zur Arbeit und bringen ihre Kinder von dort in die Schule", berichtet Ellen Bassuk, Leiterin des Nationalen Zentrums für obdachlose Familien. "Durch die Immobilienkrise haben wir eine ganz neue Bevölkerungsgruppe, die von Obdachlosigkeit betroffen ist", stellt auch Orlando Ward von der Midnight Mission fest. Auf den Feldbetten dort nächtigen derzeit 14 Familien, zehn mehr als noch vor einem halben Jahr.

Die Familien, zumeist Frauen und Kinder, sind getrennt vom Männerschlafsaal untergebracht; es gibt auch eine Spielecke. Die Unterkunft öffnet um 18.30 Uhr, um zehn Uhr wird das Licht gelöscht. Bis sieben Uhr morgens müssen nach einem kleinen Frühstück alle wieder weg sein. Am Abend werden wieder viele gestrandete Mieter zurückkommen, weil sie keine neue Wohnung gefunden haben.

© SZ vom 02. 05. 2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: