Immobilienkrise:Haus weg - alle sieben Minuten passiert's

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Von wegen "My home is my castle": Immer mehr Briten sitzen in der Schuldenfalle, weil sie sich beim Immobilienkauf verspekuliert haben.

A. Oldag

Von Kettlestone können England-Fans träumen: Eine schmale Straße schlängelt sich an knorrigen Eichen vorbei. Efeubewachsene Backsteinhäuser ducken sich hinter hohen Hecken. Es gibt sogar noch eine rote, eiserne Telefonzelle - ein Relikt des "Old Britain". Hier sind die profanen Plastikkabinen von British Telecom verpönt. In diesem Örtchen, eine halbe Autostunde von der ostenglischen Kleinstadt Norwich entfernt, fehlt eigentlich nur noch Agatha Christies schrullige Miss Marple, die zum Fünf-Uhr-Tee vorbeischaut.

Ausverkauf mit Schilderwald: Bis zu 100.000 Briten können ihre Immobilienkredite nicht mehr bedienen. (Foto: Foto: Reuters)

Doch für Samantha von Däniken ist es mit der Bilderbuchidylle nicht weit her. In Kettlestone wurde ihr Traum vom eigenen Haus auf dem Land zerstört. "Ich habe die Nase voll", sagt die große Frau mit den langen schwarzen Haaren. Sie steht vor einer Gartenpforte, auf der ein Pappschild mit der Aufschrift "Warnung. Privateigentum" prangt. Es ist nicht mehr ihr Eigentum, sondern dasjenige der Bank. Die Warnung gilt auch der ehemaligen Eigentümerin: Sie darf ihr Grundstück nicht mehr betreten. "Die Finanzhaie haben mir mein Zuhause genommen", sagt Däniken mit zittriger Stimme. Sie zeigt auf das große, ehemalige Pfarrgebäude im Hintergrund. Ein stattliches Haus aus dem 16. Jahrhundert, in dem Däniken wohnte.

Räumungsbescheid per Polizei

Doch dann gab es Probleme mit den Banken. Dänikens Versuche scheiterten, mit ihnen eine Stundung für ihre Hypothekenzahlungen zu vereinbaren. An einem nasskalten Wintertag standen vier Polizisten vor der Tür. Die Beamten hielten ihr die "Notice of eviction", den Räumungsbescheid unter die Nase. "Es war der schrecklichste Moment meines Lebens. Nun stehe ich vor dem Nichts. Ich wohne derzeit bei Freunden", erzählt die Nichte des Ufo-Forschers und Bestseller-Autors Erich Däniken.

Samantha Däniken ist in Großbritannien aufgewachsen. Sie sei Designerin, Künstlerin und auch ein bisschen esoterisch veranlagt, sagt sie über sich selbst. "Ich liebe das Land. Doch dies ist eine Vertreibung. Die Banken gehen mit ihren Kunden immer brutaler um", klagt sie und blickt mit ihren traurigen Augen in den blauen Himmel über Kettlestone. Als ob sie sich von dort Rettung durch die Außerirdischen aus den Büchern ihres Onkels erhoffte.

Dänikens Schicksal ist kein Einzelfall: Alle sieben Minuten verliert jemand zwischen Inverness und Ipswich sein Haus oder seine Wohnung. Zwangsvollstreckungen haben Hochkonjunktur. Immer mehr Briten sitzen in der Schuldenfalle, weil sie sich beim Immobilienkauf verspekuliert haben. Sie sind Opfer der Finanzkrise, weil die Banken ihre Kreditkonditionen drastisch verschärft haben.

Nach Angaben der Vereinigung der Baufinanzierer Council of Mortgage Lenders (CML) haben 2008 mindestens 40.000 Briten ihr Haus oder ihre Wohnung wegen Zahlungsunfähigkeit verloren. In diesem Jahr könnte sich diese Zahl sogar auf bis zu 100.000 erhöhen. Die Banken sprechen nicht gern über ihre "Problemkunden". Doch Schätzungen zufolge stecken etwa eine halbe Million Briten in akuten Schwierigkeiten, die Hypothekenraten pünktlich zu zahlen.

"My home is my castle" (Mein Haus ist meine Burg), heißt es in Großbritannien.

Doch dieser schöne Spruch gilt nicht für diejenigen, die in den vergangenen Jahren leichtfertig den allzu optimistischen Prognosen von Immobilienmaklern vertraut haben und nun vor dem Ruin stehen. "Wir wurden alle zu Mini-Immobilien-Tycoons", schrieb die Boulevardzeitung Evening Standard als eine Art Nachruf auf den Boom der vergangenen Jahre. Was 2007 seinen Anfang in den USA nahm, hat die Insel der Hobby-Spekulanten erreicht: Die Preisblase am Immobilienmarkt ist geplatzt. Seit 2007/08 haben britische Häuser etwa 20 Prozent ihres Wertes verloren. Und ein Ende des Preisverfalls ist nicht abzusehen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Was den Häuserboom angeheizt hat.

Experten sprechen vom schlimmsten Immobiliencrash seit den 70er Jahren. Damals standen Hunderttausende von Häusern leer. Kommunen und Stadtteile verödeten. Sie wurden zu sozialen Notstandsgebieten. In den 90er Jahren setzte dann allerdings ein beispielloser Boom ähnlich wie in den USA ein. Angeheizt wurde dieser durch niedrige Zinsen und billiges Geld der Notenbanken. Die Briten entdeckten die Spekulation mit Immobilien: Sie kauften Wohnungen und Häuser teilweise mit null Eigenkapital und bauten auf einen stetigen Wertzuwachs. Das funktionierte, solange die Banken mitspielten und Darlehen zum Schnäppchenpreis anboten. Bei der Bonität drückten die Kreditvermittler häufig ein Auge zu. Hauptsache, die Umsatzzahlen stimmten.

Samantha von Däniken, die Nichte des Bestseller-Autors Erich Däniken, verlor wegen der Immobilienkrise ihr Haus in England. (Foto: Foto: A. Oldag)

"Jetzt müssen wir uns die Kunden genauer anschauen. Nur wer genügend Eigenkapital mitbringt, erhält einen Kredit", sagt der Manager einer großen Hypothekenbank. Das Problem: Obwohl die englische Notenbank die Leitzinsen mittlerweile auf den Rekordtiefstand in ihrer 315-jährigen Geschichte von 0,5 Prozent gesenkt hat, liegen die Hypothekenzinsen immer noch bei mindestens drei bis vier Prozent. Kunden mit schlechterer Bonität zahlen deutlich mehr. Banker sprechen von einer Risikoprämie. "Wenn die Geldmärkte im Koma bleiben, werden nicht alle Menschen, die ein Darlehen wollen, eins bekommen können", erklärt CML-Generaldirektor Michael Coogan.

Ganz dicht am finanziellen Abgrund

Und so schauen einst stolze Hausbesitzer in den finanziellen Abgrund. Es sind Geschichten von allzu leichtfertigem Umgang mit Erspartem und der Illusion, im Immobilien-Monopoly einen garantierten Platz in der Schlossallee zu ergattern. Es sind aber auch unverschuldete Ereignisse von Pech und Pannen, die ganze Familien in den Ruin treiben. Die rapide gestiegene Arbeitslosigkeit auf der Insel spielt eine entscheidende Rolle: Ein Jobverlust ist in der Finanzplanung der Häuslebauer meistens nicht vorgesehen.

Indes gehen die Justizbehörden im Mutterland des Kapitalismus nicht gerade zimperlich mit säumigen Zahlern um: Wer klamm ist, fliegt schnell aus seinem Eigentum heraus. Diese Erfahrung musste jetzt auch die berufstätige Mutter Catherine Allen aus London machen. Erst vor drei Jahren hatte sie sich ein 75 Quadratmeter großes Reihenhaus im Westen der Stadt gekauft. 390000 Pfund (etwa 440000 Euro) kostete das bescheidene Häuschen. Dennoch war es ein Schnäppchen für Londoner Verhältnisse. Dass unmittelbar über ihrem Heim täglich Jets Richtung Flughafen Heathrow einkurven, störte Allen nicht. Lärm und Abgase sind Bewohner an der Themse gewohnt.

Auch die Hypothekenzahlung von knapp 1000 Pfund im Monat schien für Allen zunächst kein Problem zu sein. Doch dann begann ihre "Leidenszeit", wie die 42-Jährige erzählt. Eine Krankheit fesselte sie ans Bett. Dann strich der Arbeitgeber wegen der schlechten Auftragslage Zulagen und Überstunden. Allen geriet mit ihren Kreditzahlungen in Rückstand. Kurz vor Weihnachten flatterte der Räumungsbescheid ins Haus. Sie habe ihr Eigentum bis spätestens 14. Januar, 15 Uhr, zu räumen, hieß es darin. Ein Gütetermin vor Gericht scheiterte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum der Gerichtsvollzieher gleich einen Handwerker mitgebracht hatte.

So stand dann der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Der Beamte hatte gleich einen Handwerker mitgebracht, der das Türschloss auswechselte. Zum Glück hatte Allen kurz vorher schon ihre Möbel aus dem Haus transportiert. Nun ist sie erst einmal in die Mietwohnung ihrer Mutter mit eingezogen. Doch ihre finanzielle Zukunft ist alles andere als rosig. Das Haus, das sie mit viel Eifer renoviert hat, steht vor der Zwangsversteigerung. Auf dem Markt wird es derzeit allenfalls 300000 Pfund bringen. Die Preise sind seit dem Rekordhoch 2007 auch in London drastisch gesunken. "Ich werde auf einem Berg von Schulden sitzenbleiben", sagt Allen.

Indes wächst der Druck auf die Labour-Regierung. Politiker warnen davor, dass der Immobiliencrash an den Grundesfesten der Gesellschaft rüttelt, zumal Wohnseigentum aufgrund mickriger Renten für die Altersabsicherung in Großbritannien eine wichtigere Rolle spielt als beispielsweise in Deutschland. Premierminister Gordon Brown will finanziell klammen Hauseigentümern im Fall sozialer Härten entgegenkommen. Ihnen sollen Zinszahlungen für Hypotheken bis zu zwei Jahre erlassen werden. Doch die Regelung steckt im Parlament fest. Zudem gibt es Widerstände der Banken. Frühestens im April soll die Reform verabschiedet werden. Vom Staat erwartet sich allerdings Samantha Däniken ohnehin nichts zu ihren Gunsten. So hadert sie mit ihrem Schicksal und will nicht einsehen, dass sie vielleicht auch eine gewisse Mitschuld an ihrer finanziellen Schieflage hat.

Lebenstraum einfach weggefegt

Immerhin hat sie ihre gesamten Ersparnisse aus einem gut laufenden Innendesign-Geschäft in London - zu ihren prominenten Kunden gehörte unter anderen Ex-Beatle George Harrison - in das Landgut gesteckt. In Kettlestone sollte ein Künstlertreff und luxuriöses Bed-and-Breakfast-Hotel entstehen. Das war ihr Lebenstraum.

Die Finanzierung des 1,6 Millionen Pfund teuren Projekts schien zunächst gesichert. Däniken erhielt von zwei Banken ein Darlehen in Höhe von knapp 400.000 Pfund. Außerdem setzte sie eine Lebensversicherung ein. Es war zur Hoch-Zeit des Immobilienbooms, als sich die Kreditinstitute um Kunden wie Däniken noch rissen. Doch dann verfolgte die Mutter dreier Kinder das Pech. Ein Wintersturm ließ 2007 einen schweren Baum auf das Dach krachen. Die Versicherung wollte nicht gleich zahlen. Däniken geriet deshalb mit ihren Hypothekenzahlungen in Rückstand. Es gab Mahnschreiben und Verhandlungen.

Dänikens Kreditgeber zeigten sich jedoch hart. Im letzten Jahr stand der Gerichtsvollzieher zum ersten Mal mit einem Räumungsbescheid vor der Tür. Trotzdem wollte sie nicht aufgeben. Sie wohnte illegal als "squatter" (Hausbesetzer) - bis die Polizei sie im Januar herauswarf. "Es ist eine Schande, wie man mit ehrlichen Leuten umgeht", sagt Däniken. Besonders verbittert ist sie darüber, dass ihr Haus von Immobilienmaklern bereits zum Verkauf angeboten wird. Zum Schnäppchenpreis von 769.000 Pfund.

© SZ vom 10.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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