Flexibles Hausen:Auf Wanderschaft im eigenen Domizil

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Viele Menschen bauen nicht mehr für das ganze Leben, sondern für eine gewisse Phase. Deshalb wächst das Interesse an umfassenden Renovierungsmaßnahmen.

Von Bettina Winterfeld

Neue Lebensabschnitte haben ihre eigene Dynamik. Manche Menschen ändern nach einer Scheidung Frisur oder Kleidungsstil, andere suchen sich eine neue Wohnung oder ziehen in eine größere Stadt. Nur, was macht ein Hausbesitzer, wenn ein Umzug nicht in Frage kommt, ihm nach der Trennung aber trotzdem die Decke auf den Kopf fällt? Mit neuer Frisur um die Häuser ziehen?

Metamorphose in Bildern
:Vom Haus zum Kubus

Wie aus einem vergleichsweise harmlosen Entchen ein beinahe brutales Stück Architektur wurde - in dem es sich trefflich wohnt.

Wolfgang Schreiber hatte eine bessere Idee: Er baute um und gab nicht sich, sondern seinem alten Haus ein neues Outfit.

Zehn Jahre hatte der Vorarlberger Metallurge und Werkzeugbauer in einem konventionellen Fertighaus gewohnt. Einem eher farblosen Konfektionsbau mit Satteldach, Holzbalkon und Erker, dessen ästhetische wie funktionale Mängel ihn im Laufe der Zeit immer stärker störten. "Das Haus war zur falschen Seite ausgerichtet, auf der Terrasse zog es, und abends wurde es rasch kalt", erinnert sich der Eigentümer.

Nägel mit Köpfen machte Schreiber nach seiner Scheidung, als an der holzverkleideten Fassade ohnehin eine größere Sanierung fällig geworden wäre. Anstatt das langweilige, mit Erinnerungen befrachtete Fertighaus mit ein paar kosmetischen Baumaßnahmen halbherzig aufzuhübschen, entschloss er sich zu einem radikalen Face-Lifting, mit dem er nicht nur die baulichen Defizite behob, sondern zugleich auch seinem neuen Lebensabschnitt mit einer zeitgemäßen Architektur Ausdruck gab.

Die Anregung dazu fand Schreiber in einen Zeitungsartikel über eine Architektenvilla in seiner Umgebung. Durch gemeinsame Freunde kam ein Kontakt zum Vorarlberger Achitekten Klaus Wanko zustande. "Am Anfang haben wir beide nur herumgesponnen", bilanziert dieser die ersten Treffen, "doch dann pushten wir uns gegenseitig, und irgendwann war klar: Wir machen zusammen etwas Neues."

Kubus mit Alpenblick

Als Ergebnis des gemeinsamen Brainstormings steht heute auf dem idyllischen Vorortgrundstück in Feldkirch-Altenstadt auf den Grundmauern des stereotypen Fertighauses ein avantgardistisches Landhaus ohne Alpenkitsch und pseudobarocke Schnörkel. Eine feurigrote, futuristisch wirkende Metallkiste, die sich zur Straße hin mit eigenwillig proportionierten Sehschlitzen profiliert und die Nachbarn anfangs zu bissigen Kommentaren wie "Alcatraz" oder "Tresor" verleitete. Was den extravaganten Kubus des Werkzeugbauers von anderen Häusern abhebt, ist seine ungewöhnliche Metallverkleidung aus mit einer Rostschicht überzogenen Corten-Stahlplatten.

Bauherr und Architekt mussten zunächst klären, ob Abriss und Neubau nicht preiswerter zu realisieren gewesen wären als ein aufwendiger Umbau. "Wir haben jede Mauer, jede Leitung, jeden Einbau überprüft und alles gründlich durchkalkuliert", sagt der Architekt. Das Ergebnis war eindeutig: Ein Neubau hätte mit 300.000 Euro zu Buche geschlagen, der Umbau kostete 180.000 Euro.

Wer das neue Haus mit dem ursprünglichen Fertigbau vergleicht, entdeckt auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten. Mit wenigen, aber entscheidenden Eingriffen veränderte Wanko das äußere Erscheinungsbild radikal. Er trug das komplette Obergeschoss samt ausladendem Satteldach und Balkon ab und ersetzte es durch ein neues Stockwerk aus vorgefertigten Holzelementen. Den so entstandenen zweistöckigen Kubus verkleidete er mit 3,5 Zentimeter dünnen, hinterlüfteten Corten-Stahlplatten.

Finnische Telegrafenmasten

Das zuvor schwarze und innerhalb von wenigen Monaten rostrot oxidierte Baumaterial entdeckten Architekt und Bauherr als Werkstoff auf einer Müllhalde. Seine Robustheit überzeugte den mit Metallen vertrauten Werkzeugmacher Schreiber auf Anhieb: "Es ist so langlebig, dass die Finnen sogar in Küstennähe ihre Telegrafenmasten daraus bauen."

Bildstrecke
:Barrierefreie Architektur

Im Erdgeschoss riss Wanko die nichttragenden Wände heraus und machte aus vier kleinen Räumen ein großzügiges Wohnzimmer mit offener Küche und Kamin. Den Zugang zum Garten verlegte Schreiber vom zugigen Westen in den sonnigen Süden. Mit wetterfesten Gartensofas möbliert, bietet die neue Open-Air-Lounge inzwischen nicht nur einen geschützten Platz zum Draußensitzen, sondern auch freie Sicht auf die früher durch das Nachbarhaus blockierte Alpenkette.

Das Beispiel aus dem architektonisch avantgardistischen Vorarlberg macht deutlich, dass selbst ein radikaler "Tapetenwechsel" keinen Umzug erfordert.

Große Herausforderung

Die Modernisierung des alternden Wohnungsbestands ist eine der großen Herausforderungen im Wohnungsbau. Schon heute fließen nach Angaben der Bayerischen Architektenkammer (ByAK) mehr als 80 Prozent des Bauvolumens in Umbauten und Sanierungen. "Unsere tiefverwurzelte Vorstellung, nur einmal im Leben und dann gleich für die Ewigkeit zu bauen, ist nicht mehr zeitgemäß", lautet das Fazit von ByAK-Geschäftsführer Oliver Heiss.

Bauherren seien also gut beraten, von Anfang an so zu planen, dass spätere Veränderungen möglich seien. So habe es beispielsweise wenig Sinn, ein Vermögen in einen kunstvoll intarsierten Marmorboden zu stecken und sich dadurch den Spielraum für künftige Veränderungen zu verbauen. Flexibilität ist also das Motto. Ein Trend, den die Zukunftsforscher bestätigen. "Wir sind wieder auf Wanderschaft, auch in den eigenen vier Wänden", schrieb kürzlich Matthias Horx über die Zukunft des Wohnens.

Drei Viertel aller deutschen Eigenheime sind älter als 25 Jahre. In den kommenden Jahre sind also schon allein aus Altersgründen umfangreiche An- und Umbauten zu erwarten. Und tatsächlich sieht jeder fünfte Eigentümer im Westen und jeder Dritte im Osten Renovierungsbedarf für sein Heim, wie die Bausparkasse Schwäbisch Hall ermittelt hat.

Einsparen allenthalben

Nicht nur gestalterische Ansprüche und wechselnde Bau-Moden spielen dabei eine Rolle. Auch die rapide steigenden Heiz- und Stromkosten, das wachsende ökologische Bewusstsein sowie demographische Faktoren wie eine längere Lebenserwartung oder die Änderung der Familiengröße wirken sich aus. Allein zwischen 1995 und 2005 sind die Energiepreise fürs Wohnen um 42 Prozent gestiegen.

Die Deutsche Energie-Agentur (Dena) geht davon aus, dass sich durch fachgerechtes Sanieren und eine moderne Heiztechnik der Energieverbrauch um bis zu 80 Prozent senken lässt. Immer mehr Bauherren ergreifen daher die Chance, im Zuge einer Sanierung auch ihre Wärmedämmung zu verbessern.

Bei der Erstellung des sogenannten Energiepasses sollten sie nicht nur die bestehenden Heizungsanlagen, sondern auch Wände, Türen und Fenster und gegebenenfalls Dach und Keller auf mögliches Einsparpotential prüfen, rät Andreas Weber, Münchner Architekt und Möbeldesigner.

Industriecharakter und Wohnlichkeit

Weber hat für sich und seine Familie an einem Waldrand zwischen Oberpfaffenhofen und Weßling eine ehemalige Malerwerkstatt mit bis zu 3,50 Meter hohen Wänden aus den siebziger Jahren in ein loftiges, modernes Familienhaus umgebaut. Beim Umbau bestand für ihn die größte Herausforderung darin, den Industriecharakter des Bauwerks zu erhalten und gleichzeitig eine warme, wohnliche Atmosphäre zu schaffen.

Um das Werkstattflair des Landhauses mit seinen 300 Quadratmetern Wohnfläche und der wellenförmigen Blechverschalung an der Decke zu betonen, ließ der Architekt Wände herausreißen, neue Böden verlegen und doppelflügelige Stahltüren mit Gläsern einbauen.

Außerdem erarbeitete Weber ein raffiniertes Beleuchtungskonzept, das jeden Raum in verschiedene Lichtzonen aufteilt. "Mit mehreren im Zimmer verteilten Lampen lassen sich nicht nur Arbeitsflächen optimal ausleuchten, sondern auch effektvolle Spannungen zwischen hell und dunkel erzeugen. Außerdem wirken gut ausgeleuchtete Räume grundsätzlich größer und stimmungsvoller", weiß der Designer, der für einen Münchner Möbelhersteller Lampen entwirft.

Interessenten von Gebrauchtimmobilien rät Weber, vor dem Kauf eine "sehr genaue Bestandsaufnahme" zu machen, um zu klären, ob sich die Investition überhaupt lohne. Bauherren seien gut beraten, sich frühzeitig um einen Architekten zu kümmern, da allein die Vorlaufphase drei bis vier Monate betrage. Schließlich müssen Statik, Elektrik und Sanitärleitungen untersucht werden, wozu oft mehrere Spezialisten zu Rate gezogen werden, bevor der Architekt einen Plan machen und den Antrag auf Baugenehmigung einreichen kann.

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Ratschläge für Sanierung

Auch aufgrund des demographischen Wandels wächst das Interesse am Thema Umbau und Modernisierung. So bietet die Bayerische Architektenkammer neben ihrer Energieberatung auch eine Sprechstunde für barrierefreies Bauen und altersgerechte Renovierungsmaßnahmen. Früher hätten sie fast nur Rollstuhlfahrer in Anspruch genommen, heute sei das Interesse an dem Thema ganz allgemein gestiegen, hat Oliver Heiss beobachtet. Etwa tausend Bauwillige pro Jahr nutzen den Service der ByAK.

Die Palette an Veränderungen, die es bei der altersgerechten Renovierung zu beachten gilt, ist breit gefächert: Sie reicht von breiten Türen und schwellenlosen Übergängen bis hin zur Farbgestaltung von Wänden und Böden, um sehbehinderten Menschen die Orientierung zu erleichtern. Denn auch der letzte Lebensabschnitt hat seine eigene Wohndynamik.

© SZ vom 24. 4. 2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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