Finanzwirtschaft:"Dafür gibt es nur das Wort Gier"

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Der Autor Hauke Fürstenwerth über Gier in der Finanzwirtschaft, warum sich Geld in Deutschland langweilt, jeder jeden übers Ohr haut - und Moral nicht wie ein TÜV-Stempel eingefordert werden kann.

Melanie Ahlemeier

Hauke Fürstenwerth ist promovierter Chemiker und war etliche Jahre als Manager in der Chemiebranche tätig. Seit dem Jahr 2001 arbeitet er als Unternehmensberater und hat sich auf Technologieunternehmen und deren Investoren spezialisiert. Vor kurzem hat er das Buch "Geld arbeitet nicht - wer bestimmt über Geld, Wirtschaft und Politik?" veröffentlicht.

Hauke Fürstenwerth: "In der Anonymität fallen alle moralischen Hemmschwellen." (Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Herr Dr. Fürstenwerth, ein kleiner Aktienhänder der Société Générale verzockt unbemerkt knapp fünf Milliarden Euro - ist Gier die Generalentschuldigung für alle menschlichen Verfehlungen in der Wirtschaft?

Hauke Fürstenwerth: Die Gier steckt in uns drin, das ist nicht negativ. Sie ist ein Antriebsmotor der gesamten Wirtschaft.

sueddeutsche.de: Je größer der einzelne Deal, desto größer die Gier?

Fürstenwerth: Wenn ich ein Finanzprodukt kaufe oder verkaufe, weiß ich nicht, wer mein Wettpartner ist. In der Anonymität fallen alle moralischen Hemmschwellen. Jeder versucht, den anderen übers Ohr zu hauen, und damit kommt es schnell zu Exzessen. Die aktuellen Spekulationen bei der Société Générale sind dafür ein Beispiel. Ja, dafür gibt es nur ein Wort: Gier.

sueddeutsche.de: In der Finanzwirtschaft gilt seit jeher das Prinzip, das eigene Kapital möglichst schnell zu mehren - das lernen BWLer und VWLer im ersten Semester.

Fürstenwerth: Richtig, aber Wirtschaftswissenschaftler blenden das Horten und Umverteilen von gehortetem Kapital leider aus. Für sie kümmert sich die Finanzwirtschaft ausschließlich um die Bereitstellung von Kapital, damit Unternehmen arbeiten können. Das Horten und Verwalten von Geld ist relativ neu. Erst seit rund 20 Jahren ist Geld im Übermaß vorhanden, es wird nicht mehr nur in die Realwirtschaft investiert.

sueddeutsche.de: Zyniker behaupten, dass sich Geld in Deutschland langweile. Stimmen Sie zu?

Fürstenwerth: Es langweilt sich, weil es mit den in der Realwirtschaft erzielbaren Renditen nicht mehr zufrieden ist. Noch in den siebziger Jahren waren Kapitalrenditen unter zehn Prozent in der Industrie gang und gäbe, die wurden auch akzeptiert. Heute müssen es mehr als 25 Prozent sein.

sueddeutsche.de: Welche Konsequenzen ergeben sich für Kapitalanleger?

Fürstenwerth: Investoren können mit manchen Finanzprodukten Renditen von 25, 30 und mehr Prozent erzielen. Dann wird geschaut: Wo wird die höhere Rendite versprochen? Das ist der negative Effekt, der zum Langweilen führt. Es wird immer mehr Kapital aus der Realwirtschaft zum Horten in die Finanzwirtschaft transferiert.

sueddeutsche.de: Solche horrenden Renditen sind in den Unternehmen von den Aktionären gewünscht. Beispiel BMW: Dort wurde die Renditeerwartung massiv nach oben geschraubt, gleichzeitig fallen Tausende Leiharbeitsplätze weg. Warum kennt die Renditeschraube nur den Weg nach oben und nicht - zwecks Entschleunigung - auch nach unten?

Fürstenwerth: Weil die Ideologie des Neoliberalismus es vorgibt. Gemäß dieser Ideologie folgt der Markt seinen eigenen Gesetzen, die der Mensch nicht beeinflussen kann. Es wird immer weniger in die Realwirtschaft investiert wird, weil der Markt es so verlangt. Das Perverse dabei ist, dass in der Finanzwirtschaft am wenigsten Markt vorhanden ist.

Lesen Sie weiter, warum Moral und Geld nicht zusammengehen.

sueddeutsche.de: Was meinen Sie damit?

Fürstenwerth: Ein Beispiel dafür ist der Subprime-Bereich in den USA, der Handel mit schwierigen Immobilienkrediten und davon abgeleiteten Finanzprodukten. Deren Preise sind nicht durch Angebot und Nachfrage ermittelt worden. Es gibt ein Oligopol von vier Ratingagenturen, die zentral den Preis von Finanzprodukten festsetzen - alle anderen glauben daran wie an einen Gott. Banken wie die IKB oder viele Landesbanken haben sich in einem Geschäft getummelt, wo sie Produkte mit dem Ziel des Weiterverkaufs erworben haben, deren Wert sie selber gar nicht beurteilen könnnen. Es sind keine eigenen Kreditwürdigkeitsprüfungen vorgenommen worden. Mit der Bewertung dieser abgeleiteten komplexen Finanzprodukte waren die Banken erkennbar überfordert. Sie haben sich auf Zentralorgane verlassen. Damit war die Krise programmiert.

sueddeutsche.de: Mit der Folge, dass wie in Frankreich Riesensummen über Nacht vernichtet werden.

Fürenwerth: Die knapp fünf Milliarden Euro, die Jérôme Kerviel verspielt hat, hat ein anderer gewonnen. Kerviel hat auf einen steigenden Dax gewettet, während der Index gefallen ist. Andere haben auf Fallen gesetzt und gewonnen. Hier ist überhaupt kein Geld vernichtet worden.

sueddeutsche.de: Aus Sicht der Bank aber schon.

Fürstenwerth: Okay, aus Sicht eines Teilnehmers. Aus Sicht der Finanzwirtschaft ist Geld umverteilt worden - von der Société Générale auf andere, die eben Glück gehabt haben. Das Charakteristische in diesem Fall ist die Dimension: Hier hat ein Einzelner mit 50 Milliarden bis 70 Milliarden Euro in Form von Derivaten spekuliert - einer Summe, die dem Marktwert der Telekom entspricht.

sueddeutsche.de: Mit welchen Summen agieren Banken?

Fürstenwerth: Banken tätigen heute Geschäfte mit bis zu einigen hundert Milliarden Euro - pro Bank. Das ist in der Realwirtschaft gar nicht mehr ableitbar.

sueddeutsche.de: Welche Kontrollen müssten daraus abgeleitet werden?

Fürstenwerth: In der Realwirtschaft muss nahezu jedes Produkt, und sei es auch nur ein Auto oder ein Fahrrad, staatlichen Mindestkritierien genügen, sonst darf es nicht verkauft werden. In der Finanzwelt aber ist jeder frei, eine noch so komplexe Wette anzubieten - ohne, dass jemand "Stop" ruft oder dieses Produkt auch nur als Wette klassifiziert. Eine mögliche Kontrolle wäre eine Registrierung von neuen Finanzprodukten. Außerdem sollte die Verantwortung viel stärker bei den Marktteilnehmern abgeladen werden. Eine IKB und eine Sachsen LB sollten sich nicht einfach auf die Ratingagenturen berufen können. Das Dritte ist der Unfug, irgendwelche Spezialgesellschaften in Irland einfach aus der Bilanz nehmen zu können.

sueddeutsche.de: Dass Moral und Geld nicht zusammengehen, wusste schon Bertholt Brecht. Muss ein Verbraucher-TÜV her?

Fürstenwerth: Moral kann man nicht wie einen TÜV-Stempel einfordern. Sicher brauchen wir nicht nur einen Verbraucherschutz, sondern auch einen Bankenschutz, denn die Institute sind in Dinge hineingeschlittert, von denen sie selbst keine Ahnung hatten. Mit einem Bankenschutz käme auch die stabilisierende Wirkung für die Realwirtschaft - und um die geht es.

sueddeutsche.de: Wie sollte dieser Schutz aussehen? Brauchen wir ein neues Kontrollgremium, einen Gegenpart zur BaFin (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht)?

Fürstenwerth: Nein, was wir brauchen ist Transparenz. Wir müssen den Leuten klarmachen: Achtung, hier wird gewettet, einer verliert! Käufer von Finanzprodukten müssen wissen, auf was sie sich einlassen. Wir leben in einer Marktwirtschaft - die Leute können handeln und wetten, womit sie wollen. Aber man sollte Mindestkritierien definieren, damit Schaden für die Realwirtschaft abgewendet wird.

sueddeutsche.de: Sind die deutschen Banker überfordert?

Fürstenwerth: Es sind alle überfordert, die mit Produkten handeln, die sie selber nicht verstehen. Das gibt es zwar auch in der Realwirtschaft, aber da springt dann keine amerikanische Notenbank und keine Europäische Zentralbank ein, und schon gar kein Staat mit irgendwelchen Garantien. Das Schlimme ist: Fast alle Banken sitzen bis zum Hals in Kreditschwierigkeiten - und dann kommen die armen Mittelständler nicht mehr an jene Kredite, die sie für ihre Geschäfte brauchen. Die großen Kapitalgesellschaften haben kein Problem, die ersaufen in Geld.

Lesen Sie weiter was passiert, wenn Finanzprofis ihrer Gier freien Lauf lassen.

sueddeutsche.de: In China gewährt eine Bank infolge der Finanzkrise Einzelhändlern keine Kredite mehr. Ist das auch bei uns möglich?

Fürstenwerth: Im Rahmen der Bankenkrise kann noch jede Menge kommen, weil jetzt alles wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt. Es sind zu viele Kredite faul geworden.

sueddeutsche.de: Was ist mit Private-Equity-Gesellschaften? Weil sie als sicheres Investment gelten, verfügen sie über immer mehr Kapital.

Fürstenwerth: Kredite für Private-Equity-Übernahmen werden als nächstes wackeln.

sueddeutsche.de: Bleibt der einfache Anleger - wieder einmal - auf der Strecke?

Fürstenwerth: Nein, der Anleger, der ein vernünftiges Verhältnis zwischen laufendem Einkommen und Rücklagen hat, und sich auf Anlageformen beschränkt, die er selbst beurteilen kann, der wird nicht auf der Strecke bleiben. Das Problem sind die Finanzprofis. Sie lassen ihrer Gier freien Lauf und gehen deshalb unverantwortbare Risiken ein, denken Sie nur an die Private-Equity-Gesellschaften LTCM oder Amaranth. Ein Fondsmanager denkt zunächst einmal an sich selbst. Schätzungen besagen, dass der Finanzmarkt von rund 200.000 Profis beherrscht wird - dem stehen einige Millionen Amateure gegenüber.

sueddeutsche.de: Lassen sich die Amateure von der Gier der Finanzprofis anstecken? Ein Anhaltspunkt könnte sein, dass Aktien immer kürzer gehalten werden.

Fürstenwerth: Aktienfonds haben heute eine Portfolio-Turnover-Rate von 1,5 bis 1,7, das heißt, eine Aktie wird nur sechs bis sieben Monate gehalten. Am Nasdaq liegt der Durchschnitt bei vier bis fünf Monaten. Diese Zeitspannen haben keinen Bezug mehr zu den Realitäten in den Unternehmen. Das ist die Entkoppelung. Finanztransaktionen haben mit den realwirtschaftlichen Vorgängen kaum noch etwas zu tun. Hier wird nur noch gewettet.

sueddeutsche.de: Also muss man das Finanzsystem mit der Realwirtschaft besser verbinden.

Fürstenwerth: Ja, Kapital muss wieder in die Realwirtschaft gelenkt werden. Wenn Investoren neu ausgegebene Aktien kaufen, stellen sie so Geld zur Verfügung, mit dem das Unternehmen arbeiten kann - das muss gefördert werden. Die vielen Steuerprivilegien für die Finanzwirtschaft und den dort getätigten Glücksspielen müssen abgebaut werden. Und obwohl die Aktienkurse seit Jahren steigen, investieren die Unternehmen immer weniger in ihr operatives Geschäft, tätigen aber immer mehr spekulative Finanzgeschäfte.

sueddeutsche.de: Gilt das auch für Nokia als prominentes Beispiel?

Fürstenwerth: Nokia ist ein wunderbares Beispiel für die von den Finanzmanagern erzwungene ausschließliche Orientierung an Finanzkennzahlen. Das Unternehmen macht mit Handys eine Umsatzrendite von 25 Prozent. Die Eigenkapitalrendite liegt aktuell bei 32 Prozent, Bargeld und jederzeit veräußerbare Finanzprodukte betragen zusammen 11,7 Milliarden Euro. Der Konzern zahlt weltweit im Schnitt 30 Prozent Steuern, möchte aber nur 26 Prozent abführen.

sueddeutsche.de: Der Druck durch hohe Renditevorgaben kommt von den Aktionären. Wie kann der Teufelskreis geknackt werden?

Fürstenwerth: Nehmen Sie als Beispiel Hedgefonds, die Konzerne auseinandernehmen, obwohl sie nur drei bis vier Prozent der Anteile besitzen.

sueddeutsche.de: Aber Hedgefonds sind doch nicht wirklich die Lösung, oder?

Fürstenwerth: Nein, sie verdeutlichen das Problem. Die großen Portfolio-Manager diktieren den Unternehmensvorständen klare Vorgaben, die sich ausschließlich aus Finanzkennzahlen ableiten. Damit wird der unternehmerische Freiraum zum Nachteil langfristiger Entwicklungen entscheidend eingeengt. Wer Aktien nur für vier Monate hält, sollte keinen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen ausüben dürfen. Um das Problem in den Griff zu bekommen, müssen auch Stimmrechtsbeschränkungen neu diskutiert werden. Die Dominanz der Finanzwirtschaft über die Realwirtschaft muss gebrochen werden.

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