Finanzkrise:Wie schlimm wird es noch?

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Amerika versucht, eine Lawine von Bankenpleiten aufzuhalten. Scheitert die Notenbank, droht ein Desaster. Glückt die Rettung, wird alles gut. Drei Szenarien-

Catherine Hoffmann

Die US-Notenbank senkt die Zinsen und kämpft gegen Bankenpleiten. Die Börsen sind im Aufruhr. Und Ökonomen schockieren die Welt mit Horrorszenarien, während US-Präsident George W. Bush sich gelassen zeigt, die USA hätten die Situation "im Griff". Wie gefährlich ist die Finanzkrise wirklich? Drei Szenarien.

(Foto: Foto: AP)

Szenario 1: Noch mehr Banken kippen

Nouriel Roubini ist wohl der bekannteste Pessimist unter den Finanzmarktanalysten. Schon seit Jahren beschwört der Wirtschaftsprofessor der Universität New York den Kollaps der Weltkonjunktur herauf. Erst Anfang Februar hatte Roubini vor der schwersten Immobilienkrise in der amerikanischen Geschichte gewarnt. Unter dem Titel "Zwölf Schritte zum finanziellen Desaster" sagte er den Zusammenbruch einer großen Bank voraus. Der Schwarzseher sollte Recht bekommen: Die Investmentbank Bear Stearns, eine der fünf großen an Wall Street, stand kurz vor dem Kollaps, nur die amerikanische Notenbank konnte sie noch retten. Jetzt setzte der Ökonom noch eins drauf: "Bear ist nur das erste Brokerhaus, das es trifft."

Massive Kapitalvernichtung

Das ist das schlimmste Szenario. Es kommt zu einer Kettenreaktion, eine Reihe von Banken wird in den Konkurs getrieben. Die Folge ist eine massive Vernichtung von Kapital. Die Banken müssen das Kreditgeschäft stark einschränken, wenn Eigenkapital fehlt. Das verschärft die Krise, bald steckt die amerikanische Wirtschaft in einer Kreditklemme: Die Unternehmen bekommen kein frisches Geld mehr und müssen Investitionen zurückstellen, viele gehen sogar pleite. Der Berg der faulen Kredite wird immer größer und zwingt die Banken zu weiteren Abschreibungen. Die Aktienmärkte fallen in eine tiefe Depression. "Eine Spirale negativer Nachrichten führt dazu, dass die Märkte in die Knie gehen", erwartet Holger Schmieding, Europavolkswirt der Bank of America für diesen "Worst Case".

Zugleich beschleunigt sich der Verfall der Häuserpreise in Amerika. Halbiert sich der Wert der Immobilien, müssen viele der schon heute überschuldeten amerikanischen Familien ihren Konsum einschränken. Daraus resultiert eine scharfe Rezession, von der sich Amerika auch im nächsten Jahr nicht erholen wird. Es könnte sogar die schlimmste Rezession der Nachkriegsgeschichte werden. Parallelen zur japanischen Bankenkrise der neunziger Jahre sind nicht zu übersehen.

Ein jahrelanges Siechtum der Wirtschaft, Deflation und ein Jahrzehnt der Börsenbaisse erwarten die Ökonomen aber auch im düstersten Szenario nicht für die USA. Zu schnell ist Amerika in der Vergangenheit Krisen entkommen, so auch nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Und zu entschlossen haben Regierung und Notenbank reagiert. Die Weltkonjunktur wird dennoch entsetzlich leiden unter dem Einbruch der amerikanischen Konjunktur. Die Exporte in die Vereinigten Staaten gehen zurück. Europa stürzt im Sommer ebenfalls in eine Rezession, die aber weniger scharf ist als in den USA. Für den Dollar geht es weiter abwärts.

Szenario 2: Harte Monate, aber Besserung in Sicht

Wie entwickeln sich die Märkte? Eine NYSE-Händlerin sucht Hinweise an denKurstafeln. (Foto: Foto: Reuters)

Die Furcht vor einer zerstörerischen Bankenschmelze erweist sich als unbegründet. Eine Krise nach dem Vorbild Japans oder gar der späten Zwanziger Jahre kann vermieden werden, dank der Geldflut der Notenbanken und der Garantien für notleidende Institute wie Bear Stearns. Die gefürchtete Kreditklemme, die Unternehmen und Privatleuten die Luft abschnürt, bleibt aus. Allerdings drosseln die Amerikaner ihren Konsum ein wenig, weil die Immobilienpreise um 20 Prozent fallen - gemessen an den Höchstständen vor zwei Jahren. Die Konjunktur bricht ein, aber Amerika schrammt gerade noch mal an einer Rezession vorbei. Weitere dramatische Zinsschritte der US-Notenbank sind nötig. Die Europäische Zentralbank hält sich zurück.

Nervöse Anleger

Die Anleger bleiben in den kommenden drei bis sechs Monaten noch recht nervös: Sie sind unsicher, ob die Geschichte wirklich gut ausgeht. Zwischen Angst und Hoffnung hin- und hergerissen, jagen sie die Kurse mal nach oben, mal ziehen sie die Aktienpreise in die Tiefe. Verlustreiche Börsentage überwiegen. Für Verunsicherung sorgt, dass einzelne Banken immer wieder überraschend hohe Verluste melden. Auch die Schattenwirtschaft des Finanzsystems sorgt für Spannung: zahlungsunfähige Hedge Fonds, Beteiligungsgesellschaften, die sich mit Krediten vollgesaugt haben, marode Immobilienfinanzierer und der eine oder andere Versicherer leiden unter Verlusten - und darunter, dass sie keinen direkten Zugang zum günstigen Geld der Zentralbank haben. Nur unter Druck und halbherzig legen sie ihre Fehlinvestments offen.

Es mangelt am Vertrauen der Anleger: Sie glauben den Beteuerungen der Bankmanager nicht so recht, dass jetzt aber wirklich alles ausgestanden sei. Jeder weitere Einbruch der Aktienmärkte sorgt für neue Schmerzen. "In einem solchen Szenario wirken die Selbstheilungskräfte des Marktes nur langsam", sagt Holger Schmieding von der Bank of America. "Aber am Ende wirken sie doch." Die günstigen Zinsen helfen den Banken dabei, ihre Bilanzen aufzuräumen.

Wirtschaft nimmt Fahrt auf

Ist das geschafft, kommt die Wirtschaft wieder in Schwung. Im Spätherbst oder Winter wird es so weit sein. Dann erholen sich auch die Aktienkurse von den Turbulenzen dieses Jahres. Angeführt wird der Aufschwung von den geschundenen Finanztiteln, von denen viele 50 Prozent und mehr eingebüßt haben. Auch der Wechselkurs des Euro zum Dollar schafft in diesem Jahr die Wende, aber eher im vierten Quartal als im zweiten.

Szenario 3: Alles wird gut

Klar, die Subprime-Krise ist gefährlich. Doch die USA tun alles, um eine Lawine von Bankenpleiten aufzuhalten. Die amerikanische Notenbank (Fed) stärkt den Geldmarkt mit Liquiditätsspritzen, senkt die Zinsen, und sie hat die Investmentbank Bear Stearns gerettet. "Die Politik des billigen Geldes wirkt: Sie hilft der Wirtschaft auf die Beine und legt den Grundstein für die nächste Börsenrallye", sagt Reinhard Schmidt, Bankprofessor an der Uni Frankfurt.

Zuvor müssen die Banken allerdings schonungslos alle Leichen aus dem Keller räumen. Nach der Veröffentlichung der Bilanzzahlen für das erste Quartal sehen die Anleger dann: Der Abschreibungsbedarf ist gar nicht mehr so hoch, die Verluste sind zu verschmerzen. Und die jüngsten Schätzungen einer Gruppe angesehener Ökonomen treffen zu: Sie sprechen von 400 Milliarden Dollar, die Banken abschreiben müssen. Das wäre gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Vereinigten Staaten nicht viel, lediglich 2,9 Prozent - und damit weit weniger als jene 14,9 Prozent des BIP, die Japan während der Bankenkrise Anfang der neunziger Jahre verkraften musste. Die Banken machen ein Jahr lang Verluste - und das war's. Nach und nach geben die Institute die niedrigen Zinsen auch an ihre Kunden weiter. Gleichzeitig wirken die Steuergeschenke der amerikanischen Regierung.

Die übrige Wirtschaft wird davon nicht in Mitleidenschaft gezogen, weil sich die Banken mühelos neues Eigenkapital besorgen können. Es gibt also keinen Grund, guten Unternehmen und soliden Privatleuten keinen Kredit zu geben. Die Mehrzahl der US-Unternehmen ist ohnehin gut in Form: Sie haben so wenig Schulden wie noch nie in der Geschichte und meistern die Krise mühelos.

Europa bekommt davon nichts zu spüren. Jetzt zahlt es sich aus, dass sich die europäischen Unternehmen so stark Richtung Asien, Osteuropa und EU orientiert haben. Hier laufen die Geschäfte weiter gut. Die Weltwirtschaft wächst mit der gewohnten Rate von 3,5 Prozent. Auch in Amerika geht es aufwärts: Nach einer Wachstumsdelle von einem Prozent im Sommer beschleunigt sich die Wirtschaft in der zweiten Jahreshälfte, 2009 kehrt sie zu 2,5 bis 3,0 Prozent zurück.

Kräftiges Wachstum und niedrige Zinsen sind ein Segen für die Anleger. Die Aktienstrategen von BCA Research haben schon ein paar Ideen, wohin mit dem Geld: "Emerging Markets, Energie und Rohstoffe sind vielversprechende Kandidaten für die nächste Börsenrallye", glaubt Chen Zhao, Stratege der unabhängigen Researchboutique. Schließlich haben Schwellenländer und Rohstoffe erstmals in der Geschichte Stärke bewiesen, als die Aktienkurse in den Industrieländern einknickten.

© SZ vom 19.03.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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