Finanzkrise:Spekulanten sind ein Segen

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Wer auf fallende Kurse wettet, bringt Blasen zum Platzen - und schützt die Börse so vor Übertreibungen.

Andreas Oldag

In den vergangenen Wochen ging es an den Märkten zeitweise zu wie bei Olympia: täglich neue Rekorde. Das Öl, der Euro, Gold - alles teuer wie nie zuvor, und Stunden später noch teurer.

Börsenspekulanten sind nicht gut gelitten - zu Unrecht. (Foto: Foto: dpa)

Nun rauschen einige Werte wieder bergab. Keine Frage, die Spekulanten sind schuld. Schuld?

Die internationale Finanzkrise entfacht den Zorn der Bürger. Sie fühlen sich als Opfer eines Finanzkapitalismus, der seine böse Fratze zeigt.

Dabei gerät besonders eine Spezies ins Visier: Es sind eben jene Spekulanten, die per Mausklick Milliarden verschieben, angeblich Kleinanleger ins Verderben stürzen und sich dabei noch goldene Nasen oder zumindest einen Ferrari verdienen.

Problem, wenn die Phantasie Blüten treibt

Doch sind es tatsächlich die Zocker im weltweiten Börsen-Kasino, die für alles verantwortlich sind? Merkwürdig ist, dass dieselben Politiker, die noch bis vor kurzem gegen eine Überregulierung der Finanzmärkte zu Felde zogen, die Börse als neues Feindbild entdeckt haben.

Dass ausgerechnet der Berufsspekulant George Soros, der einst mit Wetten gegen das britische Pfund berühmt wurde, Pensionsfonds Rohstoffspekulationen verbieten will, ist eine Posse. Mit dieser Art von Populismus biedert man sich beim bedrängten Kleinanleger an. Ob den Opfern der Börsenkrise damit geholfen wird, steht auf einem anderen Blatt.

Spekulation ist nichts anderes als das Erspähen von Vorteilen, die sich aus der Markteinschätzung ergeben. Spekulationsgeschäfte helfen, knappe Ressourcen effizienter zu verteilen.

Gescheiterte und erfolgreiche Spekulationen gibt es, seitdem Menschen Handel treiben. Das Problem entsteht, wenn die Phantasie allzu prächtige Blüten treibt. Dann kommt es zu einer Spekulationsblase. Genau das passierte 1637 in Holland mit der sogenannten Tulpenmanie.

Geschichte wiederholt sich

An der Börse, vor allem aber in Kneipen und Wirtshäusern, hatte sich ein schwunghafter Handel mit Tulpenzwiebeln entwickelt, die in Europa beim reichen Adel begehrt waren. Die Gier der Spekulanten kannte keine Grenzen. Doch als der Preis für eine Zwiebel das Mehrfache eines Jahresverdiensts eines Handwerkers erreicht hatte, brach die Hausse zusammen.

Die Geschichte wiederholt sich - von der Banken- und Weltwirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre bis hin zum jüngsten Finanzcrash. Dabei mag es psychologisch erklärbar sein, dass sich die Menschen vor allem an die katastrophalen Einbrüche erinnern, nicht aber an die Haussephasen, an denen alle verdient haben.

In den USA war der rasche Kauf und Verkauf von Immobilien in den vergangenen Jahren zum Volkssport geworden. Zudem haben an der Börse zwei Entwicklungen die Demokratisierung der Spekulation befördert: Erstens kann jeder heute dank eines Computers vom Sofa aus Aktien kaufen und verkaufen. Zweitens sind angelsächsische Pensionsfonds - in vielen Fällen kontrolliert von Gewerkschaften - zu mächtigen Akteuren an den Börsen aufgerückt.

Das heißt nicht, dass Spekulationsgeschäfte weniger risikoreich geworden sind, wie die in Mode gekommenen Leerverkäufe zeigen. Der Trick: Vor allem Hedgefonds leihen sich bei Banken Aktien und verkaufen diese an der Börse in der Hoffnung, die Anteilscheine später zum Schnäppchenpreis zurückkaufen zu können.

Es wird also auf einen Kursrückgang spekuliert. Aktien können durch Leerverkäufe unter starken Kursdruck geraten. Genau das hat den Absturz von Bankpapieren beschleunigt.

Leerverkäufe können segensreich sein

Aber sollten deshalb Leerverkäufe verboten werden? Keinesfalls. Leerverkäufe können segensreich sein, um Übertreibungen an der Börse die Spitze zu nehmen. So hätte man sich während der Internet-Blase Ende der 90er Jahre und ebenso bei der jüngsten Börsenhausse viel mehr Spekulanten gewünscht, die auf fallende Kurse gewettet hätten.

Dadurch wären allzu gutgläubige Börsianer rascher auf den Boden der Realität zurückgekehrt. Die Welt braucht deshalb nicht weniger, sondern mehr Spekulanten. Je größer und transparenter ein Markt ist, desto besser ist er gegen Übertreibungen geschützt. Das gilt auch für Finanzgeschäfte.

© SZ vom 12.08.2008/ssc/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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