Finanzexperte Lehmann:"Die Pferde werden zum Saufen getragen"

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Der ehemalige ARD-Moderator Frank Lehmann erklärt die Folgen niedriger Leitzinsen und die fatale Wirkung sinkender Preise.

Tobias Dorfer

Der Journalist Frank Lehmann arbeitete von 1978 bis Ende 2006 für den Hessischen Rundfunk. Dort leitete er unter anderem die Wirtschaftsredaktion und moderierte regelmäßig die Börsenberichte in den ARD-Nachrichtensendungen. Deutschlandweit wurde der studierte Betriebswirt durch die Sendung "Börse im Ersten" bekannt, zu deren Moderatoren er zwischen November 2000 und Dezember 2006 gehörte. Seit seinem Rückzug aus dem TV-Geschäft ist der heute 67-Jährige auf zahlreichen Vorträgen zu hören.

Der ehemalige ARD-Börsenexperte Frank Lehmann klagt: "Der Staat kann die Deutsche Bank nicht zwingen, den Mittelstand mit Krediten zu versorgen." (Foto: Fotomontage: sueddeutsche.de)

sueddeutsche.de: Herr Lehmann, die Europäische Zentralbank (EZB) hat den Leitzins erneut gesenkt - und zwar um 0,5 Prozentpunkte auf den tiefsten Stand seit ihrem Bestehen. Warum musste das sein?

Frank Lehmann: Weil die EZB ihren Beitrag zur Krisenbewältigung leisten muss. Die Notenbanken machen jetzt das Geld billig und unterstützen so die Konjunkturprogramme der Regierungen. Damit werden die Pferde mit einer Sänfte zum Saufen getragen. Nur trinken müssen die Pferde - und damit meine ich uns alle - alleine.

sueddeutsche.de: Was bewirken niedrigere Zinsen?

Lehmann: Die Zentralbank ist die Mutter aller Banken. Wenn sie die Zinsen senkt, dann können sich Commerzbank, Deutsche Bank oder andere Institute zu günstigeren Bedingungen bei ihr mit Geld versorgen. Die Geschäftsbanken geben diese Konditionen dann in Form von Krediten weiter. Und damit sollen Verbraucher Fernseher und Autos kaufen und Firmen neue Maschinen. Das ist der Plan.

sueddeutsche.de: Die Realität sieht anders aus. Viele Unternehmen klagen, dass sie keine Kredite bekommen. Warum kommt das Geld nicht an?

Lehmann: Weil die Herren in den Türmen das günstige Geld der Notenbank zwar gerne nehmen, es aber nicht weitergeben. Die stärken damit lieber die Eigenkapitalquote und machen sich wetterfest. Das ist eine Sauerei. Aber der Staat kann die Deutsche Bank nicht zwingen, den Mittelstand mit Krediten zu versorgen.

sueddeutsche.de: Kann die Notenbank diesen Stau auflösen?

Lehmann: EZB-Präsident Trichet kann mahnen, und wenn das nicht hilft, kann er die Zinsen weiter senken. Aber die Angst löst er so nicht. An jedem Kredit hängt heute eine Existenzfrage. Die Banken fürchten, dass Unternehmen pleitegehen und ihr Geld dann futsch ist.

sueddeutsche.de: Die Sparer schauen mit Argwohn auf die EZB-Entscheidung, denn mit jeder Zinssenkung fallen auch die Zinsen auf Tages- und Festgeld. Warum?

Lehmann: Das ist die Kehrseite des billigen Geldes. Noch vor wenigen Monaten hat die Deutsche Bank vor der "Tagesschau" mit Zinsen von fünf Prozent geworben. Damals brauchten die Institute das Geld der Sparer dringend. Jetzt gibt es günstige Konditionen von der Zentralbank, die Banken brauchen die Kleinanleger nicht mehr, sie können die Zinsen senken - und der kleine Mann ist geküsst.

sueddeutsche.de: Oder er investiert in Aktien.

Lehmann: Das glaube ich nicht. Da sind in der letzten Zeit so viele Schwindelgeschichten passiert: Die Leerverkäufe bei Volkswagen, das Schneeballsystem von Herrn Madoff. Jeder vernünftige Mensch ist jetzt misstrauisch, wenn Berater von hohen Renditen schwärmen.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum sinkende Preise eine große Gefahr für die Wirtschaft sind.

sueddeutsche.de: Trotzdem sind die Kurse niedrig.

Die Entwicklung der Leitzinsen und das wirtschaftliche Umfeld der jeweiligen Zeit sehen Sie mit einem Klick auf diese Grafik. (Foto: Grafik: SZ)

Lehmann: Ich komme eben von einer Volksbank und zu denen habe ich gesagt, eine Commerzbank-Aktie kostet 2,50 Euro, ein Papier der Deutschen Bank gibt es für 20 Euro - das sind Einstiegskurse. Die Leute haben jedoch abgewunken: Nein, Lehmann, das machen wir nicht. Da ist so viel Geld verbrannt worden, wir warten erst mal ab.

sueddeutsche.de: Viele Volkswirte sehen in dem billigen Geld die große Hoffnung, eine drohende Deflation, also eine Preisspirale nach unten, abzuwenden. Was wäre schlimm daran, wenn Güter günstiger werden?

Lehmann: Die Kunden schieben wichtige Anschaffungen nach hinten. Mein Auto kann ich 20 Jahre fahren, ich brauche eigentlich kein neues. Und wenn ich dann merke, die Preise fallen und fallen, dann warte ich lieber noch ein wenig. Für die Wirtschaft ist das brandgefährlich. Denn wenn jeder die Taschen zumacht, gelangen wir von der Deflation in eine Depression ...

sueddeutsche.de: ... die Steigerung einer Rezession ...

Lehmann: Eine Rezession ist nicht tragisch, sie gehört zu einem Konjunkturzyklus dazu. Rezessionen sind gekennzeichnet durch einen scharfen Abschwung, der allerdings relativ schnell vorüber ist. Die Kurve verläuft in der Form von einem V. Schwieriger wird es, wenn die Wirtschaft über Jahre schrumpft und dann jahrelang in der Talsohle verharrt. Dann verläuft die Kurve in einer L-Form und wir sprechen von einer Depression. Genau die droht uns derzeit.

sueddeutsche.de: Noch läuft der Konsum ganz gut.

Lehmann: Vorsicht. Einerseits sieht der Verbraucher, dass er mehr Geld in der Tasche hat. Ich fahre einen Diesel und der Liter Sprit kostet nicht mehr 1,50 Euro, sondern nur noch etwas mehr als einen Euro. Das wirkt sich direkt auf mich aus. Insgesamt haben die Deutschen im Vergleich zum Sommer 2008 25 bis 30 Milliarden Euro mehr zur Verfügung.

sueddeutsche.de: Warum dann die Angst?

Lehmann: Wenn im Herbst eine große Entlassungswelle kommen sollte, sieht die Situation anders aus. Der Arbeitsmarkt ist das letzte Glied in der Kette. Und wenn es den Leuten an den Job geht, kauft keiner mehr. Es muss nur ein Dominostein fallen - etwa Opel - und viele werden folgen. Dann wird es dramatisch.

sueddeutsche.de: Die Deflation ist also ein Vorbote der Rezession?

Lehmann: Ich würde sogar sagen, sie ist der Vorbote für eine lange Depression. Die Regierungen investieren in Konjunkturprogramme und die Notenbanken verbilligen das Geld, um das Schlimmste abzuwenden.

Lesen Sie im dritten Teil, welche Maßnahmen die Notenbanken außer Zinssenkungen ergreifen können - und welche Indikatoren für ein Ende der Krise sprechen.

sueddeutsche.de: Nun liegt der Leitzins bei 1,5 Prozent, in den USA hat die Zentralbank ihren Zins bereits auf null Prozent gesenkt. Haben die Notenbanken ihr Pulver verschossen?

Lehmann: In der Tat ist der Leitzins das wichtigste Instrument der Zentralbanker. Aber es gibt noch weitere Möglichkeiten.

sueddeutsche.de: Welche?

Lehmann: Nehmen wir deutsche Staatsanleihen oder Bundesschatzbriefe. Im Moment werden die dem Staat ja förmlich aus der Hand gerissen. Wenn die Anleihen jedoch nicht mehr gekauft werden, muss der Finanzminister zur Notenbank gehen und sie bitten, ihm die Papiere abzunehmen. Die Notenbank kauft die Papiere, legt sie in den Tresor und gibt Herrn Steinbrück Geld dafür. In den USA hat die Zentralbank den Instituten sogar gefährliche Wertpapiere abgekauft. Das Problem dabei ist, dass aus diesen Eingriffen eine gigantische Inflationswelle entsteht, die Preise also massiv steigen. Denn Herr Steinbrück hortet das Geld ja nicht, er gibt es aus - und kurbelt damit die Wirtschaft an.

sueddeutsche.de: So wäre wenigstens der Preisverfall, also die Deflation, bekämpft.

Lehmann: Aber auch stark steigende Preise sind gefährlich. Deshalb müssen die Zentralbanken genau schauen, wann sie die Leitzinsen wieder erhöhen. Den richtigen Zeitpunkt dafür zu finden, ist eine große Kunst. Der größte Fehler der EZB war, als sie im Juli 2008 die Zinsen noch einmal erhöht hat - nur weil Bundesbankpräsident Weber und Finanzminister Steinbrück sagten, das Schlimmste sei überstanden.

sueddeutsche.de: Und woran merken die Notenbanken, dass der richtige Zeitpunkt gekommen ist.

Lehmann: Um das Bild vom Anfang zu nehmen: Wenn die Pferde in kleinen Schlucken saufen. Es gibt dafür verschiedene Indikatoren, etwa den Ifo-Index für die Erwartungen der Unternehmen. Wenn der drei Monate in Folge steigt, ist laut Lehrbuch die Wende da. Dann schlägt die gute Stimmung um in Aufträge. Ein anderes Indiz ist, wenn die Frachtraten wieder steigen oder der Dax zwei Monate lang nicht weiter fällt.

sueddeutsche.de: Keine leichte Aufgabe für die Zentralbanker.

Lehmann: Und sie wird noch schwerer, weil die EZB nicht nur Deutschland und Frankreich betrachten muss, sondern auch die schwachen Mitglieder der Eurozone, wie Portugal und Griechenland. Es gibt einen Zins für alle, aber in jedem Euroland herrscht eine andere Situation. Das zu bewerten ist schwierig. Ich beneide Herrn Trichet überhaupt nicht.

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