Erbschaftsteuer:Vermögen und Verbrechen

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Was man bei dem großen französischen Romancier Honoré de Balzac über die Gesetze des Vererbens lernen kann.

Johannes Willms

Der Besitz von Geld und Vermögen, die Aussicht, ein großes Erbe anzutreten, ist ein wichtiges Motiv in vielen Romanen des 19. Jahrhunderts, in denen die gesellschaftliche Wirklichkeit der Zeit den Handlungsrahmen bildet. Kein anderer Schriftsteller hat diesem Motiv einen so prominenten Rang eingeräumt wie Honoré de Balzac. "Das Geld! war das Lösungswort für jedes Rätsel."

Das ist die große Erkenntnis, die Lucien de Rubempré, dem Protagonisten in Illusions perdues zuteil wird, als er aus der Provinz kommend in Paris Fuß zu fassen sucht. Es ist das Motto, das auf die meisten jener hundert Romane zutrifft, die Balzac in weniger als 20 Jahren zum Riesengebirge der Menschlichen Komödie auftürmte.

Balzacs Romanwerk ist das Spiegelbild einer Epoche, der französischen "Juli-Monarchie" von 1830, die einsteht für den Triumph des Bürgertums als wichtigstem politischem und wirtschaftlichem Impulsgeber, denn der Chef dieser Monarchie, König Louis-Philippe war, wie es im Roman Cousine Bette heißt, "das allmächtige Geldstück von einhundert sous", das dessen Profil zeigte.

"Erben - eine Wollust"

Das Geld war, wie Lucien de Rubempré erfahren musste, der voller idealistischer Illusionen nach Paris gekommen war, der wahre Souverän, das einzige Mittel, um aufzusteigen. Es beherrschte alle Lebensbereiche, das Theater so gut wie die Literatur oder den Journalismus. "Von Kunst oder Ruhm war nirgendwo mehr die Rede." Konsequenterweise ist in der Comédie humaine das Geld, die Gier es zu besitzen, das wichtigste Handlungsmotiv der Akteure, die "einzige Bewegungsmacht der Zeit", denn "ohne Geld vermag man nichts", wie es in Un début dans la vie heißt.

Aber wie zu Geld, zu Vermögen gelangen? Der Königsweg zu Reichtum ist nicht, wie von Balzac immer wieder geschildert, ehrliche Arbeit gepaart mit Sparsamkeit.

Nein, zu diesem Ziel führt nur Spekulation, Betrug, List, Wucher oder eben auch eine Erbschaft, denn was war die Voraussetzung für ein auskömmliches, ein selbstbestimmtes Leben, für eigene Freiheit? In Les Petits Bourgeois gibt Balzac die Antwort: Ein solches Leben beginnt erst mit einer Kapitalrendite von 50.000 Francs pro Jahr, nach heutigem Geldwert also einiger hunderttausend Euro.

Das war aber nur die Basis dafür, um gesellschaftlich aufzusteigen, zumal erst im Zuge dieses sozialen Aufstiegs der Vermögensbesitz geläutert wurde, er den Makel seines spekulativen oder verbrecherischen Ursprungs verlor, dem sich die primäre Akkumulation zumeist verdankte.

Das Musterbeispiel dafür liefert der Roman Le Père Goriot. Der einstige Nudelfabrikant Jean-Joachim Goriot erwarb sich die Grundlage seines Vermögens durch skrupellosen Getreidewucher während der Revolution, mit dem er aus dem Hunger der vielen seinen Gewinn zog.

Aus übersteigerter Vaterliebe, die sein Verderben werden sollte, vermachte der Witwer schon zu Lebzeiten sein Geld seinen beiden Töchtern, die dank dieser Mitgift sehr vorteilhafte Ehen schlossen und damit einen gesellschaftlichen Aufstieg realisierten, der dem Vater verschlossen blieb: Die eine heiratete den Bankier Baron de Nucingen, also einen Vertreter der neuen Geldaristokratie, während die andere durch die Ehe mit dem Comte de Restaud in die traditionelle Führungsschicht des Adels aufstieg, der vom Ertrag agrarisch genutzten Grundbesitzes lebte.

Nun kam, was unvermeidlicherweise kommen musste: Die Töchter vergalten diese Großzügigkeit mit grobem Undank, weshalb Vater Goriot völlig verarmt und einsam in einer elenden Pension starb.

An dessen Schicksal begreift jedoch der junge Eugène de Rastignac den Mechanismus der Pariser Gesellschaft, ein Wissen, das ihm seinerseits den sozialen Aufstieg ermöglicht, der in späteren Romanen beschrieben wird: Als Liebhaber der Baronesse de Nucingen kommt er mittelbar in den Genuss des vom alten Goriot angehäuften Vermögens, dank dessen er letztendlich seine Karriere als Président du Conseil, als Regierungschef, beschließt.

Mit anderen Worten: Das in den Hungersnöten der Revolution mittels Getreidewucher erraffte Kapital wird durch Vererbung an die nächstfolgende Generation sozial legitimiert und verschafft sodann einem geschickten Nutznießer die höchsten politischen Würden.

Komplementär zum Père Goriot ist ein anderer Roman Balzacs, Le Cousin Pons, der durch Kennerschaft eine wertvolle Kunstsammlung zusammenbrachte, deren Erbe sich eine entfernte Verwandtschaft, die vom Ehrgeiz, gesellschaftlich aufzusteigen, geplagte Familie des Richters Camusot de Marville dank einer wüsten Intrige aneignet.

Auf das Ableben des armen Pons, den diese Verwandtschaft zu Lebzeiten mit schmählicher Verachtung strafte, weil sie ihn zu Unrecht beschuldigte, eine vorteilhafte Heirat ihrer einzigen Tochter mit einem Bankier vereitelt zu haben, lauert eine sozial bunt gescheckte Bande, um sich dessen immenses Erbe an Kunstschätzen anzueignen.

Der Hauptstrippenzieher dieser komplexen Intrige ist der Winkeladvokat Fraisier, der die Gier, die diese Bande eint, mit der Bemerkung auf den Punkt bringt: "Einen Verwandten, über den man sich zu beklagen hat, ins Grab bringen, das ist schon was. Aber ihn beerben, das ist eine Wollust!"

Der Ursprung eines jeden großen Vermögens, das sich dessen Erben nicht nur in Reichtum, sondern auch und vor allem in gesellschaftlicher Reputation verzinste, ist, so ließe sich die Moral der Comédie humaine definieren, immer ein Verbrechen.

In dem vergleichsweise kurzen Roman L'Interdiction bemerkt der integre Richter Jean-Jules Popinot deshalb: "Wenn alle, die auf welche Weise auch immer, sei es auch auf krummen Wegen, in den Besitz konfiszierter Güter gelangt sind, nach 150 Jahren dazu genötigt wären, diese ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückzuerstatten, dann gäbe es in Frankreich kaum noch einen legitimen Besitz".

Kaum? Vermutlich keinen einzigen, zumal sich der bürgerliche Reichtum der Juli-Monarchie weit weniger auf den Besitz gründete, der den Protestanten nach der Aufhebung des Edikts von Nantes durch Ludwig XIV. 1685 abgenommen wurde, als vielmehr auf die umfangreichen Enteignungen der kirchlichen und adeligem Reichtümer und Liegenschaften durch die Revolution von 1789.

Durch Erbe jedoch, so will es die bürgerliche Rechtsordnung damals wie heute, wird jeder Besitz zum legitimen Eigentum des rechtmäßigen Erben.

© SZ vom 15.02.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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