Einrichten:Schöner klonen

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In der Möbelbranche wird wieder gekitscht, aber nur Hanswürste machen diesen Romantik-Terror mit. Hier nun die besten Alternativen, um der neuen Plüschigkeit auf den Zahn zu fühlen.

von Gerhard Matzig

Baue nicht malerisch! Das hat einmal der unsterbliche (und dann leider doch 1933 gestorbene) Architekt Adolf Loos gefordert. Vor einem Jahrhundert schrieb er: "Baue nicht malerisch. Überlasse solche Wirkung den Mauern, den Bergen und der Sonne. Der Mensch, der sich malerisch kleidet, ist nicht malerisch, sondern ein Hanswurst." Mauern. Berge. Sonne. Hanswurst. Ach, tut das gut.

Schöner hocken: Der "neuen Romantik" sollte man unbedingt auf den Zahn fühlen. (Foto: Foto/ Hersteller: e15)

Am besten wäre es, man würde diese Mahnformel gegen das wuchernde Hanswurstiadentum in gigantische Betonmauern gießen. Dann rüber über die Berge und hinein in die Sonne Mailands gestellt, wo an diesem Wochenende der "Salone Internazionale del Mobile 2005" zu bestaunen und auch zu befürchten ist: die Mailänder Möbelmesse.

Auf der Messe wird (einmal mehr und natürlich "u. a.") die "neue Romantik" ausgerufen. Dazu vermutlich auch die "neue Plüschigkeit", der "neue Nippes", das "neue Ornament", die "neue Gemütlichkeit", das "neue Biedermeier", die "neue Eleganz" und überhaupt das ganze retro-hanswurstige Dekor-und-Kuschel-Elend, das derzeit auf dem Terrain der Gestaltung gefeiert wird. Es ist, als mutierte dieser Tage die ganze Welt in einen riesenhaften Flokati-Teppich vor einem gespenstisch illuminierten Kamin, auf dessen Sims eine Truppe Porzellanschwäne zur gefühlten Machtübernahme angetreten ist.

Mal firmiert das ubiquitäre Zurück-zu-den-Wurzeln-Phänomen als edles "Cocooning", mal als simple "Häuslichkeit", mal geht es um die Sehnsucht nach "neuen Schmuckformen", mal um die "Wiederentdeckung des Schönen" in der Welt. Kurz: Architektur und Design (aber auch Kunst, Literatur, Theater, Pop ...) haben das "Malerische" wiederentdeckt.

Die überbordende Ästhetik der Gegenwart hat einen Namen: Man liebt sie "pittoresk". Und das Beste: An diesem Wahnsinn sollen, das sagen die Trendforscher und Lifestyle-Bediensteten in den Schöner-Klonen-Gazetten, daran sollen die Taliban oder Hartz IV schuld sein. Oder beides. Der dumpfe Romantik-Terror und das närrische Sehnsuchts-Geblöke sollen sich also dem Krieg und der Armut verdanken.

Kein Wunder, dass sich eine Spielart der neuen Romantik unter dem Begriff "neuer Luxus" vorstellt. Der Glamour ist immer dann am frechsten, wenn er vor dem Hintergrund des Elends posieren darf.

Adolf Loos' Text zum überzeitlichen Thema Hanswurst stammt übrigens aus dem Jahr 1913 - und korrekterweise ist noch hinzuzufügen, dass er diese herrlichste aller herrlichen "Romantik"-Definitionen vor dem Hintergrund "alpiner Architektur" verfasst hat. Er suchte, ganz konkret, eigentlich nur nach "Regeln für den, der in den Bergen baut".

Aber es geht auch abseits des Alpenglühens darum, dass man die Romantik der Natur nicht nachäffen soll. Und umgekehrt: Auch die Natur der Romantik soll man nicht nachbasteln. Das eine ist eine Tatsache, das andere im besten Fall ein Gefühl, im schlechtesten aber eine Täuschung. Und auch als arithmetisches Mittel springt auf dem Weg zum Malerischen (Romantischen, Gemütlichen, Sinnlichen, Lustvollen ...) eher eine Ästhetik der Idiotie und der Unsinnigkeit als eine der Sinnlichkeit heraus.

Loos hat in diesem Zusammenhang eine Weltformel entdeckt, die ein für alle Mal die Frage beantwortet, was die neue Romantik zum alten Kitsch macht: "Der Bauer kleidet sich nicht malerisch. Aber er ist es." Alles andere ist - auch für den Bauern - einfach nur zum Heulen.

So wie all die umgebauten Bauernhöfe zum Heulen sind. Oder die Draperien in den "Salons". Die Troddeln verzweifelt ersehnter und grotesk missverstandener Großbürgerlichkeit. Die Öl-Porträts. Der große Roman. Das feine Tuch. Die antikischen Eisenbänke. Die "Dessins aus früheren Jahrzehnten". Die Forderung nach "Elite" und "Benimm", nach Schuluniform und Hausmannskost, nach "klassischer Villen-Architektur" und "echtem Theater". Mehr Pathos! Mehr Ehrfurcht! Mehr ist mehr! Gottbewahre.

Baue nicht malerisch!, möchte man beispielsweise der Redaktion von Architectural Digest zurufen, die in der März-Ausgabe die "moderne Romantik - Opulenz ohne Kitsch-Alarm" predigt, um sogleich dem Kitsch der Opulenz beziehungsweise der Opulenz des Kitsches zu huldigen: mit "märchenhaftem Stil-Shopping", mit dem "Traumschloss eines modernen Ästheten", mit einem "märchenhaften Cottage", mit einem "zeitgemäßen Arkadien" ...

Hoffentlich sprengt mal jemand in der AD-Redaktion das Wort "märchenhaft", dann fällt das ganze romantische Cottage-Arkadien des vermaledeiten Zeitgemäßseins unter ebenso großem Wort- wie Style-Getöse in sich zusammen. Andererseits: Auch dann bleibt uns immer noch das liebenswerte SZ-Magazin erhalten, dessen aktuelles Designheft "Lust auf Kitsch - Deutschland dekoriert wieder seine Wohnzimmer" betitelt ist.

Aber man kann all das ja praktisch überall nachlesen. Die Moderne ist tot, heißt es dort im jeweiligen Subtext. Das puristische Less-is-more-Leben in einer sinnlich komatösen Moderne, welche lediglich die Anmutung einer "Insektizidsiederei" besitze (Tom Wolfe), sei ein für alle Mal passé. Und die neue Sachlichkeit, anti-historisierendes Revolutionsgeschöpf der klassischen Moderne, sei ein alter Hut. Oder ein alter Stuhl. Aber ein Stuhl, der ein Stuhl und keine gescheiterte Sehnsucht ist - ist ein guter Stuhl.

So einen verkauft - so erfolgreich wie erfreulich - ein Unternehmen namens "e 15", das 1995 in London von dem Architekten Philipp Mainzer und dem Designer Florian Asche gegründet wurde und heute in der Nähe von Frankfurt am Main ansässig ist. In Mailand ist "e 15" gottlob auch vertreten, wobei man sich deren Tische, Betten, Stühle, Regale, Hocker oder Bänke wie die allerletzten Hüter einer fast vergessenen Wahrheit um Form und Inhalt vorstellen kann. Als Ururururenkel einer großen, wahrhaft luxuriösen Kunst: der des Weglassens. Denn in den scheinbar schlichten Objekten steckt zugleich Raffinesse. Ihre Reduziertheit bedeutet Fülle und Reichtum.

"e 15" baut sinnvolle und stille Möbel - die sinnlich und stilvoll sind. Der größte Trost aber: Sie sind garantiert nicht malerisch. Sondern nur sehr schön. Guckt genau hin, Hanswurste!

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