Buch-Kritik:Das richtige Leben im falschen Ambiente

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Peter Richters Einrichtungsfibel "Deutsches Haus" ist das vergnüglichste und zugleich ein erkenntnisstiftendes Gegengift in einer Zeit, in der der Wahnsinn des "individuellen Geschmacks" ausgebrochen ist.

Gerhard Matzig

Wer eine Möbelbranche verstehen will, in der die Firma "Stressless" einen Bequemfernsehsessel namens "Dream" produziert, kommt um dieses Buch nicht herum.

Peter Richter: Deutsches Haus. Eine Einrichtungsfibel. Goldmann Verlag. 217 Seiten, 18 Euro. (Foto: N/A)

Wer sich fragt, ob für die sogenannte Deko-Queen Tine Wittler angesichts ihrer grausam erfolgreichen RTL-Sendung "Einsatz in 4 Wänden" eine Haftstrafe in einer von ihr selbst orangegrün eingefärbten Wohlfühlhölle angemessen sein könnte, sollte sich dieses Buch unbedingt kaufen.

Und wer zu ergründen sucht, warum Leute der Kindgerechtigkeit wegen sämtliche Möbelecken mit unförmigen Windeln umkleben, im übrigen aber den Unterschied zwischen Kinderzimmer und Kinderstube nicht kennen, muss dieses Buch schleunigst lesen.

Peter Richters "Einrichtungsfibel", in Wahrheit ist es ein veritables Buch, ersetzt ein ganzes Billy-Regal voller Wohnbücher. Eines, das vollgestopft ist mit den anschwellenden Schriften zu Innenarchitektur, Design, Farbpsychologie, Raumphilosophie, Badezimmerästhetik und Küchenhistorie. Sein Buch "Deutsches Haus" ist das denkbar vergnüglichste und zugleich ein erkenntnisstiftendes Antidot in einer an Wohnquadratmetern immer reicheren Zeit, die das Zuhause zum letztgültigen Distinktionsmerkmal erklärt.

In einer Zeit auch, da man sich von schwedischen Kaufhäusern duzen und existenzielle Fragen stellen lassen muss: "Wohnst du noch oder lebst du schon?"

Im Grunde gibt es nur zwei Schriften, die sich der Frage nach dem richtigen Leben im falschen Ambiente auf vorzügliche Weise nähern, ohne sich dabei wie das Prinzip Hoffnung der Architektur anhören zu müssen.

Die eine hat Adolf Loos vor einem Jahrhundert geschrieben. In seinem Aufsatz "von einem armen reichen manne" beschreibt er einen Bewohner, der von einem Architekten in den Irrsinn getrieben wird.

Richter hat nun die Fortsetzung verfasst: Wir werden jetzt auch von Kinderwagendesignern, Weinetikettengestaltern, iranischen Möbelpackern und seriösen Sargvertretern in den Wahnsinn des "individuellen Geschmacks" gestoßen. Und es ist wohl kein Zufall, dass beide - Loos und Richter - über die gleiche Gabe verfügen: den Hang zu abgrundtiefer Heiterkeit, zu einer komischen Melancholie.

Der Odyssee im Wohnraum kann man auf andere Weise kaum gerecht werden: Man muss sich darüber lustig machen, wenn man es wirklich ernst meint. Und Richter besitzt dazu noch ein weiteres Talent: jene Lust an der Ikonenschändung, die eindeutig bei Tom Wolfe in die Lehre gegangen ist.

Den stolzen Besitzern von Bauhaus-Liegen, Bauhaus-Aschenbechern und Bauhaus-Leuchten kann man die Lektüre daher nur um den Preis der Selbsterkenntnis empfehlen. Den Beistelltisch "Gropius" oder die Buchstütze "Alma" kann man sich nämlich auch sehr gut dort vorstellen, wo alle möblierten Eliten, die für die Masse denken, über kurz oder lang enden: im Ikea-Fundus.

Richter porträtiert präzise den Kampf um jenes Terrain, das schon lange aufgehört hat, eine Privatangelegenheit zu sein, das Wohnen. Gegen all die boomenden Style-Zeitschriften, TV-Formate und Feng-Shui-Experten, gegen "Wohnzimmer mit Loungecharakter" und einen Immobilienmarkt, der ohne das Wort "Loftwohnen" auf der Stelle zusammenbrechen würde, setzt er kluge Skizzen, die nichts weniger haben wollen als dies: recht.

Dabei beschreibt er vom Geburtshaus über Kinderstube und Jugendzimmer bis zur letzten Ruhestätte das deutsche Haus, das immer auch ein Möbelhaus und ein Dilemma ist. Man begegnet Leuten, die den Ostplattenbau für eine Frage der Coolness halten, und Leuten, die die Schnörkellosigkeit zum Ornament erheben. Man trifft Sofas, die eigentlich nur in Erotikclips denkbar sind, und ganze Wohnwelten, die "Classic", "Kolonial" oder "Modern Living" heißen - und eigentlich auch nur in Erotikclips denkbar sind.

Richter streift durch all diese Räume, mal in der Pose des Flaneurs, mal als Rumplhanni der Stilkritik; manchmal mit einem fast zärtlichen Gespür für die Tragik eines immer unzulänglich ausgestatteten Lebens, manchmal auch nur mit einem überdeutlichen Sinn für die Komik der Selbstentblößung. Im Grunde ist er aber dem Leid-Motiv einer einzigen, dem Buch als Prolog vorangestellten Meldung auf der Spur. Sie stammt vom 16. Juni 2004 und lautete unter der Überschrift "Gekränkter Hausbesitzer erschlägt Innenarchitektin" so: "Weil der Innenarchitektin seine Einrichtung nicht gefiel, hat sich ein Südafrikaner tödlich beleidigt gefühlt. Aus Rache ermordete er die Frau mit einer Axt."

Pascal zufolge rührt das Unglück der Menschen bekanntlich daher: "dass sie es nämlich nicht verstehen, in Ruhe in einem Zimmer zu bleiben". Richter zufolge bleiben sie nicht im Zimmer, weil sie es möbliert haben.

© SZ vom 21.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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