Besser bauen:Das Fenster zum See

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Die Architekten Goetz und Hootz haben ein Haus gedreht, so dass es nun wie eine gedrehte Skulptur aus dem Uferhang ragt.

Von Oliver Herwig

Studio, das klingt nach Stadt, Loft und Fabrikgelände. Hier auf dem Land heißt es einfach Luft und Wiese. Hinter der Tür zur Veranda schießt Gras aus dem Boden, rauschen Bäume, und zwischen ihren Ästen spitzt der See hervor. Genau das macht den Reiz des Einfamilienhauses samt Fotolabor aus.

Das Studiohaus am See: Aus der Mitte geschoben, in der Luft geparkt... (Foto: Foto: Goetz und Hootz)

Leben und Arbeiten, die Bruchlinien der klassischen Moderne, vermischen sich auf wunderbarste Weise. Hi, sagt Tom Vack, und verschwindet in seinem unterirdischen Reich. Der Amerikaner arbeitet als Fotograf für Ingo Maurer, dessen verspielte Leuchtobjekte das Haus bevölkern wie andernorts Katzen und Kanarienvögel.

Die Fenster zu seinem 3,60 Meter hohen Labor hat der Lichtbildner verhängt. Vack braucht kontrollierte Beleuchtung, braucht Scheinwerfer und Spots, die er über, hinter und neben der Arbeitsplatte anbringt, die an eine Kreuzung aus Seziertisch und Werkbank erinnert. Hier setzt er Designstücke in Szene.

Draußen tobt der Sommer, hier ist es kühl wie in einem Weinkeller. Das ganze Haus scheint auf dem Studio zu ruhen, das mitten im Hang steckt. An seiner Decke lässt sich das Nord-Süd-Gefälle verfolgen. In Stufen und Sprüngen zeichnet sie die Böschung nach, modelliert wie in ein Stück Ton, das noch klamm vor dem Brennofen steht.

Die Architekten Marco Goetz und Katrin Hootz haben das Volumen des 300-Quadratmeter-Hauses zu Raumfolgen geknetet, gedreht und verkantet, als hätten sie eine Skulptur vor Augen, die durch Aussparungen, scharfe Kanten und Überhänge stabilisiert werden muss.

Wer aus der Studiotür ins Grün tritt, steht unter einer mächtigen Auskragung, dem halben Wohnzimmer im ersten Stock. Es scheint, als ob ein Stück Wand samt Panoramafenster aus der Mitte geschoben und in der Luft geparkt wurde. Auf der gegenüberliegenden Nordseite, beim offenen Carport, wiederholt sich das Spiel. Volumen tanzen vor und zurück und bilden ein Gegengewicht zum Erker auf der Gartenfront. Das Haus als bewegtes Raumkunstwerk.

Vom Eingang geht es nach unten ins Studio oder die Treppe steil nach oben zur begehbaren Wohnlandschaft. Glatte weiße Flächen und Kalksteinplatten, zu fugenlosen Stufen verbunden, lassen den hohen Raum noch etwas größer erscheinen. An diesem Rückgrat hängt das ganze Haus.

Unten Studio, im Erdgeschoss Arbeitszimmer und Gästetoilette, oben Wohnen.

Kaum hat man die Treppe in den ersten Stock genommen, öffnet sich eine großzügige Wohnlandschaft, die wie eine liegende Acht über dem Hang schwebt. Dunkel geölte Eiche am Boden, weiße Wände, lange Wände und gewaltige Fenster bestimmen das Piano Nobile, das terrassenförmig zum Garten abfällt.

Am tiefsten Punkt kann man in Sofas lümmeln, den Blick ins Grün schweifen lassen, oder dem gestuften Raum folgen: zum Essplatz auf der mittleren Ebene, der Küche mit ihrem offenen Arbeitsblock, vier, fünf Stufen weiter hinauf und ums Eck zu den beiden Kinderzimmern. Das geknickte Dach bricht auf, als sei es immer noch in Bewegung.

Ein Fensterdreieck unter einem Giebel lässt Nachmittagssonne hinein, die als dünner Lichtstreifen über die Wand wandert. Der Wohnraum wird zum Lichtraum. Proportionen bedingen sich; die starken Wände mit ihren eingeschnittenen Panoramascheiben korrespondieren mit der Brüstung hinauf zum Reich der Kinder und zum Bad.

Bei den Architektouren war das Haus ein Renner. Da drängten sich Interessenten durch Bad, Küche und Wohnen. Und wollten kaum mehr gehen, sagt die Hausherrin.

Auch wir ziehen weiter, an der Küchenzone vorbei, linksrum durchs Bad mit seinen Oberlichtern,dann wieder treppab ins Schlafzimmer der Eltern. Von hier geht es direkt ins Wohnzimmer.

Eigentlich wäre es ganz einfach gewesen, das Haus genehmigt zu bekommen, sagt Marco Goetz. Schließlich sei es fast eine Kreuzung aus den Nachbarsbauten, einer Walmdachvilla und einem Solarpultdachmodell. Am Anfang hätten sie sogar versucht, die beiden Häuser am Computer zu morphen, aber daran hätte sich der Rechner die Zähne ausgebissen.

Gelungen hingegen ist das fugenlose, fließende Wohnen über dem See, in einem der letzten freien Grundstücke. Nur im Süden, wo die Bäume einen grünen Wall vor dem Wasser bilden, liegt noch eine Baulücke. Irgendwann, seufzt die Bauherrin, werden sie sich wohl mit dem Gedanken an Nachbarn abfinden müssen, die den Seeblick genießen wollen.

Bis dahin schweben sie auf Wolke sieben. Einfach abgehoben.

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