Berufsunfähigkeitsversicherung:Schutz gibt es nur für gesunde Reiche

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Versicherungen gegen Berufsunfähigkeit sind wichtig, doch Geringverdiener können sich die Policen kaum leisten - und Kranke haben überhaupt keine Chance.

Herta Paulus

Eigentlich wusste sie es: Astrid Traub (Name von der Redaktion geändert) war klar, dass sie ihre Arbeitskraft absichern sollte. Aber erst einmal war die Promotion wichtiger, danach ließ das aufreibende Tagesgeschäft im ersten Job keine Zeit, sich mit Versicherungen zu beschäftigen, dann das Projekt Selbständigkeit.

Immer wieder schob die heute 31-Jährige das Thema Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) auf. Bis es zu spät war. Nach zwei Monaten Selbständigkeit diagnostizierte der Arzt eine schwere Immunerkrankung.

An Arbeiten ist nicht mehr zu denken, und eine BU bekommt Traub nach Eintritt des Schadens natürlich nicht mehr. "Man kann nur hoffen, dass die Ehe hält", sagt Mechthild Upgang trocken. Upgang ist Sprecherin des Bundesverbands unabhängiger Finanzdienstleisterinnen. Und Traub war eine ihrer Kundinnen.

Der Bedarf ist groß ...

Bis zur Rente mit 65 oder 67 Jahren zu arbeiten, schaffen immer weniger Menschen. Jahr für Jahr müssen 170.000 Erwerbstätige nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit ihre Berufstätigkeit vorzeitig aufgeben.

Schätzungen zufolge scheidet bereits jeder vierte Angestellte wegen Krankheit oder Unfall frühzeitig aus dem Berufsleben aus. Eine Berufsunfähigkeitsversicherung ist daher ein Muss, vor allem für die nach 1961 Geborenen, die keine staatliche BU-Rente mehr erhalten. Laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts besitzt jedoch nur jeder vierte Haushalt einen derartigen Schutz.

... doch nicht jeder erhält eine Police

Denn nicht jeder, der einen Vertrag abschließen will, kommt zum Zug - und dieses Problem hat sich verschärft. "Ab 30 Jahren wird es schwierig", sagt Upgang. So wurden knapp fünf Prozent aller in 2005 eingereichten Anträge abgelehnt, wie die Ratingagentur Morgen & Morgen berichtet. 3,4 Prozent der Antragsteller mussten Zuschläge akzeptieren und 11,5 Prozent Ausschlussklauseln, sprich: Ist die Berufsunfähigkeit Folge bestimmter - ausgeschlossener - Krankheiten, zahlt die Versicherung nicht.

Kranke finden keine Versicherung

Schwierigkeiten, einen Vertrag zu erhalten, haben vor allem Menschen mit psychischen Vorerkrankungen, Allergien oder Rückenproblemen - Krankheitsbilder, die bei deutschen Kindern und Jugendlichen deutlich auf dem Vormarsch sind.

So sind laut Studien des Berufsverbands Deutscher Psychologen bereits 15 bis 25 Prozent der heutigen Kinder und Jugendlichen psychisch krank. Die Zahl der hoffnungslosen Fälle ohne jegliche Chance auf eine private Absicherung des Invaliditätsrisikos dürfte damit in Zukunft kaum kleiner werden.

Das neue Gesetz: Licht und Schatten

Die Annahmepolitik der Versicherer wird zudem restriktiver werden. Das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG), das seit Januar gilt, werde dazu führen, dass die Versicherer noch weniger Risiken übernehmen, sagt Versicherungsanalyst Manfred Poweleit.

Die schlechte Nachricht hat allerdings auch ihre gute Seite: "Das VVG wird dazu führen, dass sich Vorerkrankte gar nicht erst in der Sicherheit wiegen, Versicherungsschutz zu haben", sagt Michael Franke, Geschäftsführer der Ratingagentur Franke und Bornberg in Hannover. In der Vergangenheit kam das böse Erwachen oft im Leistungsfall: So wurden 2005 ein Drittel aller Anträge auf Leistung abgelehnt.

Der häufigste Grund dafür war der Rücktritt des Versicherers, da die Kunden bei Vertragsabschluss unzureichende Angaben gemacht - also etwa Krankheiten verschwiegen - hatten, was die sogenannte vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt. Doppelt bitter: Beim Großteil der Fälle waren auch die gezahlten Beiträge weg. Nur wenige Versicherer zahlten einen Rückkaufswert aus.

Seit Jahresanfang ist die Regelung günstiger für den Kunden: Wonach der Versicherer nicht explizit fragt, muss auch nicht beantwortet werden. Vom kommenden Jahr an gilt diese Neuerung auch für Altverträge, die bis 2007 abgeschlossen wurden.

Eine kleine Nische bleibt für die Konzerne dennoch offen, wie Franke nach Prüfung von mehr als 500 neuen Tarifen der Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung festgestellt hat: "Bei rund einem Drittel der Anbieter ist der Schutz des Kunden bei einer unverschuldeten Verletzung der Anzeigenpflicht nicht mehr zu finden." Die Folge: Versteht ein Kunde eine Frage falsch und gibt daher arglos Krankheiten nicht an, könnte dies im Extremfall zur Kündigung des Vertrags führen. "Warum der Gesetzgeber diese Lücke offen gelassen hat, ist nicht verständlich", sagt Franke.

Die Prämien sind vielen zu hoch ...

Noch bedenklicher als die geringe Zahl der Haushalte mit einer Versicherung halten Experten die jeweils versicherte Leistung. So lag die durchschnittlich versicherte BU-Rente nach einer Statistik von Morgen & Morgen 2006 bei knapp 530 Euro.

Von einer tatsächlichen Absicherung kann beim Gros der Versicherten also nicht die Rede sein. "Das kann man sich auch schenken. Da muss man der Maklerschaft, die nicht bedarfs-, sondern provisionsgerichtet berät, einen Vorwurf machen", kritisiert Versicherungsexpertin Upgang. Nur: Viele können sich aufgrund der hohen Prämien mehr gar nicht leisten.

So kostet die Absicherung einer BU-Rente von 1500 Euro eine 31-jährige Logopädin oder Floristin - diese Berufe gehören zur Risikogruppe zwei - im günstigsten Tarif 122 Euro monatlich; schließt sie den Vertrag erst mit 41 Jahren ab, sind es bereits 177 Euro. Und bei der riskanteren Berufsgruppe drei "tut es richtig weh", sagt Upgang.

... und die Preise werden weiter steigen

Dabei werden die Tarife künftig eher steigen denn sinken, meint Experte Franke. "Bislang hat man aus Wettbewerbsgründen versucht, die Preise niedrig zu halten. Aber die Kalkulation ist nicht immer risikogerecht." Als Vorsorgelösung für die breite Bevölkerung taugt das Produkt BU-Versicherung in der derzeitigen Form für ihn deshalb immer weniger. Franke: "Wir brauchen alternative Produkte, die auch bezahlbar sind." Wenn ausschließlich darauf geschaut werde, dass die Leistungen optimal sind, würden immer mehr Menschen vom Versicherungsschutz ausgeschlossen.

Eine Lösung sind abgespeckte Verträge

Inzwischen gibt es aber auch immer mehr abgespeckte Produkte. So bietet eine recht neue, um ein Viertel billigere Variante, die sogenannte temporäre Berufsunfähigkeitsversicherung, Leistungen nur für einen fest vorgegebenen Zeitraum an - zum Beispiel drei Jahre an.

Danach prüft der Versicherer, ob Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Erwerbsunfähige können gar nicht mehr arbeiten, wohingegen Berufsunfähige lediglich für ihren ausgeübten Beruf oder Jobs mit vergleichbarer Stellung ausfallen.

Nur bei Erwerbsunfähigkeit erhält der Versicherte weitere Zahlungen. Der schlimmste Fall wäre somit abgesichert. Und bei leichteren Krankheiten hat der Versicherte dank der Police drei Jahre Zeit, sich einen anderen Beruf zu suchen, den er weiterhin ausüben kann.

© SZ vom 14.02.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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