Berater Herrmann Simon:"Ein indisches Auto würde ich nie fahren"

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Unternehmensberater Herrmann Simon über den Snobeffekt von Luxusautos, die Preistricks der Discounter und intelligente Spinner.

Catherine Hoffmann

Die Gewinne steigen. Bravo! Aber es bleibt noch viel zu tun, sagt Hermann Simon. Der Professor für Volks- und Betriebswirtschaft berät Unternehmer, wie sie ihren Kunden besonders viel Geld aus der Tasche ziehen. Er kennt die Schwächen der Verbraucher und die Maschen der Werber. Manchmal fällt er selbst darauf herein.

"Ein Großteil der Verbraucher, die Flatrates wählen, zahlt in Wirklichkeit zuviel", sagt Professor Hermann Simon. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Professor Simon, warum setzen Einzelhändler ihre Preise immer um einen Cent unter den ganzen Euro?

Simon: Das ist eine uralte Frage. Bereits 1935 hat ein amerikanisches Versandhaus getestet, ob solche Preise besser verkaufen als Preise, die rund sind. Die Ergebnisse waren widersprüchlich. Wir wissen bis heute nicht, ob die gebrochene Zahl den Verbraucher glauben macht, ein Produkt sei billig.

SZ: Dennoch wagt kein Discounter, auf die 99-Cent-Angebote zu verzichten.

Simon: Dass solche Überlegungen nicht verkehrt sind, zeigt das Beispiel der Sektmarke Mumm. Vor einigen Jahren wurde der Preis von 4,99 Euro auf 5,49 Euro angehoben, also um zehn Prozent. Der Absatz ist in der Folge um mehr als 35 Prozent eingebrochen.

SZ: Lag das am Überschreiten der Fünf-Euro-Schwelle?

Simon: Das kann keiner sagen. Die Tatsache oder der Glaube, dass es solche Preisschwelleneffekte gibt, genügt. Man muss als Kaufmann schon sehr vorsichtig sein, wenn man so gravierende Schwellen wie 5 Euro überschreitet.

SZ: Gibt es eine Theorie, die das Phänomen erklärt?

Simon: Der Verbraucher liest Zahlen von links nach rechts und speichert nur die ersten Ziffern ab: 9,90 liest er als 9 und 10,1 liest er als 10. Es ist ein psychologisches Phänomen.

SZ: Wie beim runden Geburtstag?

Simon: Mit 49 ist man noch in den Vierzigern, mit 50 ist man alt. Man betrachtet nur die 4 und die 5. So ist es auch im Supermarkt. Ich behaupte aber, wenn durch eine gemeinsame Aktion aller Kaufhäuser die 99-Cent-Preise verschwänden, würde kein Hahn mehr danach krähen.

Auf der nächsten Seite: Mit welchen Tricks Unternehmer die Verbraucher überlisten

SZ: Welche Tricks haben Unternehmer noch, um Verbraucher zu überlisten?

Simon: Die Firmen vermeiden das Überschreiten der Schwelle, indem sie die Packung kleiner machen. Das ist weit verbreitet. Raffinierter war die amerikanische Handelskette Safeway, die wegen steigender Einkaufspreise unter Druck stand. Safeway hat die Listenpreise um zehn Prozent erhöht und anschließend die Artikel zum alten Preis als Sonderangebot verkauft. Als die Aktion auslief, konnten sie mehr verlangen - ohne den Preis extra erhöhen zu müssen.

SZ: Haben Sie kein schlechtes Gewissen, sich solche Maschen auszudenken?

Simon: Es gibt schon Methoden, die fragwürdig sind. Airlines sind darin besonders gut. Die werben mit dem plakativen Preis von 19 Euro, tatsächlich zahlt man am Schluss viel mehr. Einige der Aufschläge sind gut begründet: Flughafengebühren, Steuern, Kerosinzuschlag. Dann wird aber auch ein Posten ausgewiesen, der heißt "Surcharge", also Aufschlag, da steckt gar nichts dahinter. Es ist eine reine Preiserhöhung.

SZ: Was ist das Kalkül dabei?

Simon: Die Wahrnehmung eines Preises ist anders, wenn er in einzelne Beträge aufgespalten ist. Aufgesplittet wirkt es günstiger.

SZ: Oder aber als Flatrate?

Simon: Manche Kunden sehen Pauschalpreise als Vorteil an, weil sie jedes Risiko ausschließen und den Taxizähler-Effekt vermeiden. Mit der Flatrate läuft keine Uhr mehr. Ein Großteil der Verbraucher, die Flatrates wählen, zahlt in Wirklichkeit allerdings zu viel.

SZ: Ganz schön blöd, wir Verbraucher!

Simon: Das kann trotzdem rational sein, weil Sie damit Sicherheit einkaufen. Viele Menschen sind auch überversichert. Wenn sie dabei ein Wohlgefühl haben, warum nicht?

SZ: Wird der Preis immer wichtiger in der Werbung? Den Eindruck hat, wer die Werbung von Discountern, Bau- und Elektromärkten betrachtet.

Simon: Der Eindruck trügt. Gehen Sie mal auf die Homepage von Cartier, da finden Sie überhaupt keine Preisangaben. Wenn Sie den Preis eines teuren Schmuckstücks erfahren wollen, müssen Sie eine E-Mail schreiben - und bekommen nicht immer eine Antwort.

SZ: Wovon hängt es ab, welche Rolle der Preis spielt?

Simon: Wenn Sie Discounter sind und in sehr hartem Wettbewerb stehen - dann ist der Preis Ihr bestes Argument. In den Baumärkten, bei Discountern, bei Media Markt und Saturn heißt es dann Preishammer, Preisgewitter, Preisgarantie. Die Wirksamkeit solcher Übertreibungen ist aber nicht sehr hoch.

SZ: Warum?

Simon: Weil das alle machen, neutralisieren sich die Werbebotschaften gegenseitig. Nur wenn wirklich extreme Preisvergünstigungen geboten werden, bewegen sich die Massen.

Auf der nächsten Seite: Auf dem Bekleidungsmarkt geht teuer und billig - pleite gehen die in der Mitte

SZ: Aber es gibt auch das andere Extrem: Es kann nicht teuer genug sein.

Simon: Der Bekleidungsmarkt ist ein gutes Beispiel: Einerseits sind die Zaras und H&Ms, die auf niedrige Preise setzen, sehr erfolgreich. Andererseits sind auch teure Marken wie Hugo Boss oder Jil Sander stark gefragt. Bankrott gehen die in der Mitte, Wehmeyer oder Sinn Leffers zum Beispiel verschwinden. Der Markt sortiert sich immer stärker in ein Billig- und in ein Hochpreissegment. Diese beiden wachsen im Weltmaßstab am stärksten. LVMH und Richemont, die beiden führenden Luxusfirmen, haben jedes Jahr Wachstumsraten von 20 Prozent - und ähnlich hohe Umsatzrenditen.

SZ: Aldi und andere Discounter haben aber Wachstumsprobleme.

Simon: Für Deutschland stimmt das. Irgendwann ist die Decke erreicht. In anderen Ländern sieht das noch ganz anders aus, zum Beispiel in Osteuropa. Aber ein Segment, das es bei uns in dieser Form gar nicht gibt, das Niedrigstpreissegment, wächst weltweit wie verrückt. In jüngster Zeit ist hier vor allem der Nano ins Gerede gekommen. 1700 Euro soll das Billigauto des indischen Unternehmens Tata kosten.

SZ: Welcher Deutsche will schon ein solches Auto fahren?

Simon: Vielleicht nicht in dieser Extrempreislage. Aber Renault hat in Europa vom Logan Dacia, der etwas über 7000 Euro kostet, schon mehr als eine Million verkauft. Ich bin überzeugt, dass sich sehr einfache Waren bald auch auf dem deutschen Markt breitmachen werden. Von den 1700 Euro, die der Nano kostet, landet ohnehin etwa die Hälfte in den Taschen deutscher Automobilzulieferer. Die arbeiten in Indien daran, die Dinge zu vereinfachen und produzieren sie dann mit deutscher Disziplin. Das Niedrigpreisthema kommt aus der Dritten Welt nach Deutschland zurück.

SZ: Es gibt Jeans für 8,99 und für 900 Euro. So groß kann der Qualitätsunterschied nicht sein. Warum finden sich in beiden Preisklassen genügend Käufer?

Simon: Es ist unglaublich, welche Spannweite die Preise von Produkten haben, die sich so stark nicht unterscheiden. Das Extrem nach unten, die Jeans für 8,99 Euro, das T-Shirt für einen Euro, wird nicht kostendeckend verkauft. Artikel mit solchen Preisen dienen dem Handel als Lockvogelangebote.

SZ: Und am 900-Euro-Ende?

Simon: Im Luxussegment hat der Preis überhaupt nichts mehr mit den Kosten zu tun, vielmehr definiert der Preis den Wert des Produkts. Wenn jemand einen Bugatti Veyron für 1,3 Millionen Euro kauft, gibt er das Geld aus, damit ihn seine Umwelt als einzigartigen Menschen sieht - wer fährt mit diesem Auto schon im normalen Verkehr? Luxusgüter befriedigen völlig andere Motive als Billigprodukte. Es geht nicht um den technischen Nutzen, sondern um den Snobeffekt: Schaut her, was ich mir leisten kann! Da ist der Preis Auslöser des Konsums.

SZ: Was fahren Sie für ein Auto?

Simon: Ein Modell eines süddeutschen Herstellers, das rund 90.000 Euro kostet.

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SZ: Schlägt da der Snob-Effekt zu?

Simon: Ich achte schon auf die Marke, klar spielen da auch Statusgründe mit. Außerdem kommt beim Kauf eines Autos eine Fehlentscheidung teuer zu stehen. Also kaufe ich bei kostspieligen Anschaffungen Marken, denen ich vertraue.

SZ: Der Tata Nano käme für Sie als Auto nicht in Frage?

Simon: Ich würde kein indisches Auto kaufen - auch nicht, wenn es den ganzen technischen Schnickschnack, super Ausstattung und das tollste Design hätte. Niemals würde ich damit 200 Stundenkilometer auf der Autobahn fahren.

SZ: Wenn Sie einfache Dinge kaufen, wie gehen Sie dann vor?

Simon: Wie jeder Verbraucher wähle ich simple Verhaltensregeln. Neulich habe ich Vorhängeschlösser für meinen Bauernhof in der Eifel gebraucht. Was kosten Vorhängeschlösser?

SZ: Keine Ahnung.

Simon: Genau. Ich wusste das auch nicht. Also gehe ich in einen Baumarkt, da kosten sie zwischen 4 Euro, das billigste, und 12 Euro, das teuerste. Ich habe eins für 8 Euro gekauft, genau in der Mitte. Das ist ein typisches Entscheidungsverhalten, wenn man sich nicht auskennt. Hätte der Anbieter Schlösser zwischen fünf und 15 Euro gehabt, hätte ich nicht acht Euro ausgegeben, sondern zehn - also 25 Prozent mehr!

SZ: Wie sieht die Zukunft des Marketing aus?

Simon: Da gibt es weitreichende Ideen: Dass man das, was in einem Menschen an Informationen drinsteckt, rausziehen und auf dem Computer speichern kann. Der amerikanische Zukunftsforscher Ray Kurzweil stellte die These auf, dass dieser Zustand im Jahr 2045 erreicht wird. Dann könnten sich Maschinen mittels künstlicher Intelligenz selbst verbessern. Der Bursche ist Jahrgang 1948, nur ein Jahr jünger als ich. Er möchte das Jahr 2046 noch erleben - um dann ewig zu leben.

SZ: Klingt nach Science Fiction.

Simon: Kurzweil ist kein Spinner, sondern ein ernst zu nehmender Zeitgenosse. Er sitzt in einem kleinen Expertenkreis des Pentagon, der sich Gedanken über die Kriegsführung der Zukunft macht. Bereits heute sind Computer so weit in unser Leben eingedrungen, dass wir nicht mehr auf sie verzichten können. Wir werden dem Computer immer mehr Entscheidungen überlassen, weil er diese besser und schneller treffen kann als wir. Von 99-Cent-Preisen lässt er sich nicht verführen.

SZ: Ihr Job wird dann wohl überflüssig. Möchten Sie das noch erleben?

Simon: Kurzweil will ewig leben, weil das, was er ist, auf einen Computer gezogen wird. Ob ich da mitmachen soll? Warten wir mal das Jahr 2045 ab. Dann werde ich 98.

© SZ vom 26.09.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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