Anleger im Rausch:Frühlingserwachen an der Börse

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Der Deutsche Aktienindex nähert sich rasant den 5000 Punkten. Die Optimisten werden mehr. Doch es gibt noch keine Entwarnung.

Catherine Hoffmann

Jetzt reden die Ersten schon vom Ende der Krise. Von "grünen Trieben" in der Wirtschaft ist die Rede, einige Ökonomen, so scheint es, haben Frühlingsgefühle gepackt. Auch an der Börse weht ein laues Lüftchen, das die Kurs höher trägt: Eine heimlicher Aufschwung liftet den Dax in Richtung 5000 Punkte. Seit Anfang März sind die Kurse der 30 größten deutschen Unternehmen um rund 33 Prozent gestiegen. Der amerikanische Leitindex Dow Jones schaffte in dieser Zeit einen Gewinn von 30 Prozent.

(Foto: Grafik: SZ)

Könnte es im Rückblick etwa heißen: Die zweite große Hausse des 21. Jahrhunderts startete im März 2009, ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch der US-Investmentbank Lehman Brothers? Die schlechten Bilanzen einiger Unternehmen ignoriert der Markt jedenfalls ebenso wie die erschreckenden Tatsachen, dass jeder zweiten US-Bank Kapital fehlt und der Autobauer Chrysler insolvent ist. Die Arbeitslosenzahlen steigen dies- wie jenseits des Atlantiks in beängstigendem Ausmaß. Zu allem Unglück geht auch noch die Schweinegrippe um. Doch die Börse kratzt das nicht.

Einige frühere Pessimisten werden zuversichtlich, wie Crispin Odey. Der Londoner Hedgefonds-Manager, der mit Wetten auf einen Absturz von Bankaktien im vergangenen Jahr viel Geld verdient hat, sagte jüngst: "Ich glaube, dies ist der Beginn eines langen Bullenmarktes."

Der Bulle ist an der Börse das Sinnbild für steigende Kurse. Auch Antony Bolton von der amerikanischen Fondsgesellschaft Fidelity, der den Gipfel der Börsenhausse vor zwei Jahren rechtzeitig erkannte, ist überzeugt, "dass die nächste Hausse schon begonnen hat". Wenn die Mehrzahl der Anleger noch pessimistisch sei und viel Geld auf Tagesgeldkonten schlummere, stimme ihn das zuversichtlich, sagte Bolton.

Kein Zweifel: Es gibt viele potentielle Aktienkäufer mit gefüllten Kassen. "So gut wie alle institutionellen Anleger haben Aktien in ihren Depots untergewichtet", sagt Werner Bader, Leiter der Aktienstrategie bei der Landesbank Baden-Württemberg. "Die fragen sich nun jeden Tag: Können wir uns das weiter leisten oder müssen wir rein in den Mark?" Historisch betrachtet war es kein schlechter Zeitpunkt, Aktien zu kaufen, nachdem sie über zehn Jahre keine Rendite gebracht haben - so wie der Dax (Grafik). Danach kamen gute Jahre an der Börse. Auch das ist ein Argument für Dividendenpapiere: Alternative Geldanlagen wie Tagesgeld oder Bundesanleihen bieten keine attraktiven Erträge mehr.

Armageddon ist abgesagt

Warum also nicht an die Börse gehen? Mehr und mehr Frühindikatoren für die Wirtschaft zeigen nach oben. Die dramatischen Zinssenkungen der Notenbanken und die Hunderte Milliarden schweren Hilfen der Regierungen sorgen dafür, dass der konjunkturelle Niedergang gebremst wird. Viele Unternehmen haben ihre Lager so weit geräumt, dass wieder Platz für neue Waren ist.

Nachdem das finanzielle Armageddon, die Rückkehr der Großen Depression erst mal abgewendet scheint, ist die Erleichterung groß. Die Kurse sind so schnell und tief gefallen wie selten zuvor in der Geschichte. Da ist jedes Zeichen willkommen, dass sich der Verfall verlangsamt. Keiner will mehr schlechte Nachrichten hören. Auch viele Anleger haben genug von Untergangsszenarien.

Aber noch ist die Kurserholung ein ungedeckter Scheck auf die Zukunft. "Die Zahlen erlauben es nicht, von zu Tode betrübt auf himmelhochjauchzend zu schwenken", warnt Henning Gebhardt, der bei der DWS Deutschland-Fonds managt. Analysten revidieren die Gewinnprognosen für die Unternehmen immer noch nach unten.

"Die Quartalsberichte sind schwarz umrandet", sagt Bader. Zudem kämpfen einige Firmen mit einer zu hohen Verschuldung, ihnen stehen im Sommer schwierige Gespräche mit ihren Banken bevor. "Das eine oder andere Unternehmen wird es nicht durch die Krise schaffen", erwartet Gebhardt. Weitere Insolvenzen aber zwingen die Banken zu neuen Abschreibungen.

Das Vertrauen in die Geldhäuser ist noch nicht zurückgekehrt. Grund dafür sind die unkalkulierbaren Risiken, die in "toxischen" Wertpapieren stecken. Insbesondere im Bereich der Verbriefungen steigt der Kapitalbedarf bei sinkender Bonität der Unternehmen exponentiell.

Und es besteht kein Zweifel daran, dass die Ratingagenturen angesichts der schwachen Konjunktur weiter im großen Stil Papiere herabstufen werden. Das führt auf den Bilanzen der Banken zu massivem Kapitalbedarf. Und während die Privathaushalte in Amerika und die Banken sich mühen, von ihren Schulden herunterzukommen, häufen die Regierungen in den USA und Europa gewaltige Schuldenberge an. Eine schnelle Rückkehr zur Normalität ist unter solchen Voraussetzungen unwahrscheinlich.

Sollten die Anleger dem kräftigen Anstieg der Kurse jetzt noch hinterherspringen? Möglicherweise nicht, glauben die meisten Profis. Die Mehrzahl rechnet kurzfristig mit einem Rückschlag am Aktienmarkt. "Sollte es eine Korrektur geben, können Anleger einen Teil ihres Geldes investieren", sagt Gebhardt. "Der Privatanleger muss jetzt den Einstieg suchen - und nicht den Ausstieg", glaubt auch Bader.

Empfehlenswert sei es, sich schrittweise an den Aktienmarkt zu wagen, die Käufe über ein Jahr zu strecken - und dabei nicht zu vergessen: Die Krise ist noch längst nicht ausgestanden, auch wenn gerade die Hoffnung sprießt. "Anleger sollten eine Marke definieren, bei der sie Aktien verkaufen und Verluste realisieren", rät Caspar von Zitzewitz, Partner der Trendconcept Vermögensverwaltung und erinnert an die Tücken der Prozentrechnung. "Egal, wo die Kurse stehen, sie können von jedem Niveaus 50 Prozent und mehr verlieren - davor darf man die Augen nicht verschließen."

© SZ vom 08.05.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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