Absurde Klagen in den USA:Raffgier statt Schadensersatz

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US-Anwälte haben einen Weg gefunden, Millionen einzufordern - obwohl keiner geschädigt ist. Unter Druck sind Unternehmen immer häufiger zu Zahlungen bereit. Auch deutsche Firmen könnten betroffen sein.

Niemand ist erkrankt, niemand hat Beschwerden, und es ist auch nicht einmal gesagt, dass es jemals dazu kommen wird. Trotzdem erklärt sich ein Unternehmen bereit, 340 Millionen Dollar zu zahlen, um einen Rechtsstreit zu beenden - so geschehen im Fall des amerikanischen Chemiekonzerns Dupont vor zwei Jahren.

(Foto: Foto: AFP)

"Und das ist kein Einzelfall", sagt Ulrich Börger, Partner bei der international tätigen Kanzlei Latham & Watkins in Hamburg.

"Die Klagen, in denen amerikanische Anwälte quasi rein vorsorglich Schadensersatz verlangen, häufen sich." Dabei sei Schadensersatz nicht einmal eine treffende Bezeichnung, "denn es wurde ja niemand geschädigt", stellt Börger klar.

Die Sache klingt absurd. Dass man in Amerika Millionen bekommen kann, weil die Bedienung in einem Restaurant heißen Kaffee verschüttet hat, hat sich rumgesprochen. Dass man inzwischen aber auch Geld einfordern kann, wenn einem noch gar nichts passiert ist, das ist neu.

Wie kann sich jemand verpflichtet fühlen, einen Schaden zu ersetzen, der überhaupt nicht eingetreten ist? "Man muss ihn nur gehörig unter Druck setzen", sagt Börger und verweist auf den Fall Dupont.

Schadensersatz ohne Schaden

"Vor einigen Jahren fand man in zwei benachbarten Gemeinden in den USA im Grundwasser winzige Spuren einer Chemikalie, die nach den Behauptungen der Kläger aus einem Dupont-Werk stammten." Der Konzern verwendete die Chemikalie, um den Kunststoff Teflon herzustellen.

"Es gab keine Hinweise darauf, dass die Chemikalie in einer so geringen Konzentration gefährlich sein könnte, auch die Einwohner der Gemeinden hatten keinerlei Beschwerden." Und so wäre das Ganze kein Problem gewesen, wenn nicht findige Anwälte auf eine Idee gekommen wären.

"Sie verlangten, dass Dupont den rund 80.000 Einwohnern auf Jahre hinaus ein- bis zweimal jährlich eine ärztliche Untersuchung zahlt, um sicherzustellen, dass auch wirklich niemand geschädigt ist", erzählt Börger.

Auf mehrere Druckmittel konnten die Anwälte dabei zurückgreifen: "Ein Prozess führt immer dazu, dass die Vorwürfe gegen das beklagte Unternehmen wochenlang in den Medien auftauchen, egal, ob sie am Ende begründet sind oder nicht", sagt der Jurist. Zudem sei das Image des Produkts Teflon gefährdet gewesen, da alle nur noch von der "Teflon-Klage" geredet hätten.

Ein Drittel für den Anwalt

Thomas Mahlich, Leiter der Prozessrechtsabteilung von Jones Day Deutschland, fügt noch einen weiteren Punkt hinzu: Nach amerikanischem Recht könnten die Kläger die Herausgabe von unzähligen Informationen und Dokumenten verlangen.

"Da es sich dabei oft um brisante Geschäftsunterlagen handelt, ist das ein sehr beliebtes Druckmittel, um den Gegner zu einem Vergleich zu bewegen." Profiteure des Ganzen seien die Klägeranwälte. "Sie kassieren meist ein Drittel der erstrittenen Summe", sagt Mahlich.

Kein Nachweis mehr nötig

Viele Unternehmen würden inzwischen lieber "gleich einen Vergleich abschließen, als das Risiko einer monatelangen rechtlichen Auseinandersetzung einzugehen", sagt Börger.

"Das ist eine Neuentwicklung, die durchaus dramatisch werden kann, weil die Kläger den oft nur schwer zu führenden Nachweis eines Schadens nicht mehr erbringen müssen." Auch für deutsche Unternehmen seien solche Klagen bedrohlich. "Sie müssen nur in irgendeiner Form mit dem amerikanischen Markt zu tun haben, und schon ist es denkbar, dass sie sich mit einer Sammelklage nach US-Recht konfrontiert sehen."

Diese Gefahr sieht auch Mahlich. "Es genügen oftmals schon wenige Kontakte des deutschen Unternehmens in den USA, damit sich ein amerikanisches Gericht zuständig für einen Rechtsstreit erklärt."

Sammelklagen auch in Europa

Auch in Europa gibt es Überlegungen, Sammelklagen einzuführen: EU-Verbraucherschutzkommissarin Meglena Kuneva will Verbrauchern ermöglichen, Ansprüche gegen Dienstleister und Hersteller von Konsumgütern zu bündeln.

Trotz des negativen Images, das den amerikanischen Sammelklagen anhaftet, hält Börger das Anliegen der Verbraucherschützer in manchen Fällen für berechtigt. "Schließlich ist es denkbar, dass ein Unternehmen seinen Kunden jede Woche zwei Cent zu viel in Rechnung stellt. Kein Einzelner würde wegen eines so geringen Betrags einen Prozess anstrengen."

Es könne daher aus dem Blickwinkel des Verbraucherschutzes in bestimmten Konstellationen sinnvoll sein, Sammelklagen zu ermöglichen. Aber auch für die Firmen könne das vorteilhaft sein, sagt Mahlich. "Eine Sammelklage erspart dem Unternehmen viele Einzelklagen, die zeit- und kostenaufwendig wären, und schafft Rechtssicherheit."

Verbraucherverbände anstelle von Anwälten

Ein paar Dinge sollte der europäische Gesetzgeber aber beherzigen, meint Börger. So sollten zum Beispiel nur Verbraucherverbände oder ähnliche Organisationen ein Klagerecht erhalten, "damit wäre ausgeschlossen, dass Anwälte massenhaft auf Mandantenfang gehen, um das große Geschäft zu machen".

Käme es zu einer Vielzahl von Sammelklagen, so müssten Unternehmen die damit verbundenen Kosten letztlich wieder auf ihre Produkte und Dienstleistungen umlegen. "Den Interessen der Verbraucher wäre damit kaum gedient, weil ein übertriebener Verbraucherschutz einen hohen Preis hat", sagt Börger.

© SZ vom 15.05.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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