Zukunft des World Wide Web:Digitale Demokratie

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Die USA dominieren mit Hilfe der ICANN das Internet. Das Internet Governance Forum soll eine Gegenpol dazu bilden. Manche sehen darin gar den Vorläufer einer künftigen Netzregierung.

Thorsten Riedl

Das Internet bricht von Athen aus in die Zukunft auf: Mehr als 1500 Regierungsvertreter und Firmensprecher - etwa vom weltweit größten Softwarekonzern Microsoft oder dem Suchmaschinenbetreiber Google - sowie Teilnehmer von nicht-staatlichen Organisationen aus 90 Ländern haben dort auf dem ersten Internet Governance Forum über die künftige Entwicklung des World Wide Web diskutiert.

Globaler Diskussionsclub: Das Internet Governance Forum (Foto: Foto: AFP)

Auf der Agenda des viertägigen Treffens unter UN-Schirmherrschaft standen zum einen ganz konkrete Probleme: Die Delegierten berieten zu Fragen der Sicherheit aufgrund der Flut an Spam-Reklame oder durch Angriffe mit Computerviren. Aber auch die Meinungsfreiheit im Cyberspace war ein Thema, ebenso wie die Dominanz des Englischen im Internet.

Das Forum gilt als politisches Gegengewicht zur Vorherrschaft der Vereinigten Staaten im Cyberspace. In der Branche wird der Kongress vielfach auch als Vorläufer einer künftigen Netzregierung gesehen.

Konkrete Entscheidungen fällten die Delegierten jedoch noch keine - denn das ist im Konzept der Veranstaltung derzeit nicht vorgesehen. Um die Machtlosigkeit des Forums aber zu umgehen, haben die Veranstalter die Idee der "dynamischen Koalition" geboren. Solche Gruppen sollen Unterstützer für jeweils einzelne Vorhaben mobilisieren und diesen so ohne faktische Entscheidungsbefugnisse doch politisches Gewicht zu verleihen.

Eine Koalition um Italien und Brasilien brachte auf diese Weise in Athen nun eine Charta für Bürgerrechte im Netz ins Gespräch. Diese Verfassung soll Surfer im Cyberspace etwa vor dem Missbrauch ihrer persönlichen Daten schützen. Es reiche nicht aus, die bestehenden Rechte nur eins zu eins auf die virtuelle Welt zu übertragen, hieß es.

Im nächsten Jahr sollen die Internet-Bürgerrechte dann auf der Agenda des Internet Governance Forums in Rio de Janeiro stehen - damit die Idee Wirklichkeit wird. Weitere dynamische Koalitionen wollen gegen Spam vorgehen oder verfechten die Idee von offenen Standards in der IT-Industrie.

Das Internet Governance Forum ist ein Tribut der Vereinigten Staaten an den Rest der Welt. Als unverwüstliches, kriegssicheres Computernetz entwickelten US-Forscher in den sechziger Jahren den Vorgänger des Internets.

So kommt es, dass die wichtigste Institution des Netzes noch heute als privatrechtliches Institut ihren Sitz in Amerika hat - unter Aufsicht des US-Handelsministeriums. Diese nationale Internet Corporation for Assigned Names and Numbers - bekannt unter ihrer Abkürzung ICANN - kümmert sich weltweit neben technischen Fragen insbesondere um die Vergabe von IP-Adressen, den unverwechselbaren Zahlenkombinationen hinter jedem Weblink, die ähnlich einer Telefonnummer dafür sorgen, dass Daten ihren Weg im Netz finden. Politiker bleiben bei der Arbeit der ICANN außen vor.

Sie haben Mitsprache nur über einen Regierungsbeirat. Wegen der anhaltenden Kritik der amerikanischen Dominanz im Netz wurde daher auf dem Weltgipfel der Informationsgesellschaft in Tunis 2005 die Idee zum Internet Governance Forum geboren, einer Diskussionsveranstaltung unter Leitung der Vereinten Nationen.

Jeder spricht, keiner hört zu

Das Forum in Athen war dabei nicht nun nur Offiziellen vorbehalten. Audio- und Videomitschnitte sowie Mitschriften der wichtigsten Veranstaltungen haben die Organisatoren für das weltweite Publikum auf der Internetseite zusammengestellt. Jeder durfte während des Treffens seine Fragen nach Athen per E-Mail übermitteln.

In Chat-Räumen waren zeitgleich zu den Podiumsveranstaltungen ebenfalls Diskussionen möglich. Und wem das nicht genügte, der hinterließ seine Meinung für die digitale Ewigkeit in einem Gästebuch auf der Webseite des Forums. "Jeder spricht, aber keiner hört zu", kommentierte Bill Thompson, Technologiereporter der britischen BBC, den Kongress wegen der fehlenden Entscheidungsgewalt der Delegierten.

Faktisch dominiert auch künftig die USA weiter mit Hilfe der ICANN das Internet. Wie diese Vorherrschaft der USA zu brechen sein könnte, das wurde auf dem Internet Governance Forum lediglich hinter verschlossenen Türen besprochen.

© SZ vom 3.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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