World Wide Web:Machtkampf ums Internet

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Eigentlich gilt das Datennetz als demokratisch und unkontrollierbar. Das stimmt so nicht. Am Schalthebel der Macht sitzen die USA.

Patrick Illinger

Im Prinzip hat das Internet keinen Chef. Das ergibt sich schon aus der technischen Struktur des globalen Digitalgeflechts, das einer gigantischen Spinnwebe entspricht, bei dem ruhig mal ein paar Maschen kaputt gehen können, ohne dass das Netz als Ganzes zerreißt.

Kein Knotenpunkt im weltweiten digitalen Netz, in der Fachsprache "Server" genannt, ist so wichtig, dass er nicht in Millisekunden durch Tausende andere Computer ersetzt werden könnte.

Diese Robustheit - auch gegenüber militärischen Attacken - war ganz im Sinne des Pentagon-Labors, welches 1969 das Internet-Protokoll erfand, die digitale Universalsprache des Netzes.

Heute wird oft das Bild vom demokratischen, ja fast anarchischen Datennetz hochgehalten, in dem gilt: gleiche Rechte für alle.

Ganz nach diesem Motto sollte auf dem Weltgipfel zur Informationsgesellschaft, der an diesem Mittwoch in Tunis beginnt, vor allem darüber gesprochen werden, wie der Dritten Welt ein besserer Zugang zum Internet verschafft werden kann.

Doch schon vor dem Gipfel eskaliert nun ein Streit, der das hehre, mühevoll vorbereitete Programm - zum Beispiel einen Fonds für digitale Solidarität - in den Hintergrund zu schieben droht. Es geht bei dem Treffen, zu dem 12.000 Teilnehmer aus 50 Staaten erwartet werden, mittlerweile beinhart um Macht und Einfluss in dem scheinbar so demokratischen Datennetz.

Insbesondere geht es um die Frage: Sollen die USA weiterhin die Kontrolle über kritische Schaltstellen im Netz behalten?

Zwar wird das Internet als Ganzes nicht zentral reguliert. Doch gerade deshalb kommt einem Gremium wie ICANN, der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers, besondere Bedeutung zu.

Diese in der Theorie unabhängige und nicht auf Profit ausgerichtete Organisation verwaltet eigentlich nur die so genannten Domain-Namen, insbesondere die Endungen von Web-Adressen wie .com oder .de.

Es ist somit dafür zuständig, das vom Internet-Nutzer eingetippte www.sueddeutsche.de in für Computer verständliche Zahlen zu übersetzen, in diesem Fall 213.221.91.5.

Nur nicht nachgeben

Technisch ist es möglich, auf diesem Wege ganze Staaten vom Internet abzuschneiden. Die Kontrolle über ICANN ist also für machtbewusste Regierungen attraktiv.

Aufgrund eines komplexen Vertragsgeflechts liegt diese zurzeit beim Handelsministerium der USA. Und das wiederum, so empfindet es eine ungewöhnliche Allianz im Rest der Welt, wird der digitalen Globalisierung nicht gerecht.

Zwar sind Amerikaner mit 21,6 Prozent der Nutzer noch die größte Gruppe im Netz. Doch China, Japan und Indien haben diese Quote gemeinsam bereits übertroffen, Tendenz steigend. Mit fünf Prozent aller Internet-Nutzer ist Deutschland der aktivste EU-Staat im Netz.

Obwohl EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso persönlich mit US-Präsident George W. Bush über eine Reform der Verwaltung verhandelt, geben die Amerikaner keinen Millimeter nach.

Dass die Regierung der USA im Ernstfall ihren Einfluss wahrnimmt, hat sie bereits mehrmals gezeigt. Dass Domain-Namen auch internationale Verwicklungen auslösen können, zeigte sich im vergangenen Jahr.

Da musste Libyen in den USA anfragen, weil das Staatenkürzel .ly versehentlich fünf Tage lang offline war.

© SZ vom 15. November 2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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