World Cyber Games:"Wenn ich groß bin, will ich Counterstrike-Spieler werden"

Lesezeit: 3 min

Fingermassagen für die Weltklasse-Spieler: Bei der Weltmeisterschaft der Computerspieler in Seattle geht es weniger um das Preisgeld als um die Ehre.

Jürgen Schmieder, Seattle

Es ist ein entscheidender Moment: Die deutsche Nationalelf spielt gegen Österreich. Es steht null zu null. Es gibt einen Zweikampf im Mittelfeld. Dribbling. Flanke. Tor. Daniel Schellhase ballt die Faust, er hat das erste Tor im Halbfinale erzielt. Schellhase ist die Ein-Mann-Nationalelf im virtuellen Fußball.

Ein Spieler des südkoreanischen Teams freut sich über einen Erfolg seines Teamkollegen beim Computerspiel "Counterstrike". (Foto: Foto:)

Deshalb ist er in Seattle beim Grand Final der World Cyber Games, der Weltmeisterschaft der Computerspieler. Er kämpft und am Ende steht er im Finale gegen den Spanier Victor Sanchez, lange nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe.

Das Qwest Field im Herzen von Seattle ist das Stadion, in dem das Footballteam der Seahawks seine Heimspiele austrägt. An jedem Sonntag im Herbst klopfen sich muskulöse Männer nach Spielzügen auf die Helme und fluchen so laut, dass es bis unter das Stadiondach zu hören ist. 67000 Zuschauer johlen bei jeder Aktion.

Von Mittwoch bis Sonntag fand im Event Center des Qwest Fields das weltweit größte Turnier für Computerspieler statt. Wenn man durch die Halle läuft, fällt auf, wie sehr die World Cyber Games einer Sportveranstaltung ähneln.

Die deutschen Spieler tragen Trikots mit dem Adler auf der Brust, die Schiedsrichter sehen aus, als wären sie nach einem Footballspiel einfach dageblieben, das Publikum applaudiert nach jedem Spiel. Mehr als 90 Millionen Menschen weltweit sahen das Turnier live im Internet. Ins Qwest Field hatten sich am ersten Tag gerade einmal 100 Menschen verirrt.

Für sie bedeutet das Turnier eine neue Form des Zusehens: Stadion-Public-Viewing. Die Spieler sitzen in Kabinen auf einer kleinen Bühne, die Wettkämpfe werden auf Großleinwänden gezeigt.

Virtuelle Figuren schießen sich bei Counterstrike gegenseitig über den Haufen, beim Fußball fallen während einer Begegnung mehr Tore als an einem kompletten Bundesliga-Spieltag. Die Spieler selbst klopfen sich nach einer gelungen Aktion auf die Schulter. Manchmal flucht einer.

Abseits der Arena treffen sich die Mannschaften zur Besprechung. Das deutsche Counterstrike-Team etwa diskutiert die taktische Ausrichtung für das nächste Spiel. Dann setzen sich die fünf Mitglieder an ihre Computer. Sie spielen um ein Gesamtpreisgeld von mehr als 2,7 Millionen US-Dollar - jedoch um keinen offiziellen Titel.

"Aufgrund der Reputation und Größe der Veranstaltung dürfen sich die Gewinner gerne Weltmeister nennen", sagt Thomas von Treichel, Deutschland-Chef der World Cyber Games. Er fügt hinzu: "So lange keiner dagegen klagt."

Das Problem: Es gibt eine Vielzahl von Ligen und Organisationen, die Spieler locken. Die Championship Gaming Series (CGS) bietet ein Jahresgehalt von 30000 Euro pro Jahr plus Prämien.

Koreanische Ligen versprechen ihren Stars kreischende Teenies in ausverkauften Stadien und Fernseh-Übertragungen zur besten Sendezeit. Viele Spieler wie Rudi Fischer fahren deshalb mehrgleisig. Der 20-jährige Augsburger ist Profi bei der CGS, tritt bei verschiedenen Turnieren an und ist bei den World Cyber Games einer der Favoriten im Spiel Dead or Alive 4. "Bei der CGS verdient man gut, der Titel in Seattle ist jedoch viel prestigeträchtiger", sagt er.

Die World Cyber Games kommen als größtes und wichtigstes Computerspiel-Turnier einer WM am nächsten. "In diesem Jahr nahmen mehr als 1,5 Millionen Menschen teil, beim Grand Final in Seattle sind 700 Spieler aus 74 Nationen vertreten", sagt von Treichel.

Am Donnerstag gab es eine Eröffnungsfeier im Stil der Olympischen Spiele. Das deutsche Team lief vor dem aus Guadeloupe und Guatemala in die Arena, danach schwor ein Spieler, auf Cheats, Codes und andere unerlaubte Hilfsmittel zu verzichten. Dopingfreier Sport sozusagen.

Ums Geld scheint es den Spielern nicht zu gehen, obwohl sie für ihre Leistungen fürstlich entlohnt werden. Die koreanischen Spieler sind als virtuelle Sportler zu Millionären geworden, und reisen nach Seattle mit einem Gefolge aus Assistenten und Damen, die ihnen die beanspruchten Finger massieren. So jemand braucht kein Preisgeld, er will die Frage klären: Wer ist der Beste der Welt?

Ein wenig erinnert die Situation ans Boxen, wo viele Verbände zu einer Weltmeistervielfalt führen - mit dem Unterschied, dass es beim virtuellen Sport keine Vereinigungskämpfe gibt. Das große Vorbild sind deshalb die X-Games, das weltgrößte Event für Skater und Boarder.

Die Sieger nennen sich Weltmeister, einzelne Sportarten dürfen sich Hoffnungen machen, ins Olympische Programm aufgenommen zu werden. Davon ist der Computersport weit entfernt. Jede Liga will sein wie die X-Games, aber keine ist es wirklich. Dazu sind viele Spiele zu kompliziert, um ihnen als Laie folgen zu können.

Das unkundige Publikum blickt verständnislos, wenn der Kommentator begeistert herumbrüllt. "Wir müssen die Spiele zuschauerfreundlicher machen", sagt Andy Reid, Geschäftsführer der CGS. Wie das erreicht werden soll, verrät er nicht.

Immerhin: Um Nachwuchs muss sich die Branche nicht sorgen. Es gibt in Deutschland kaum ein Kind, das ohne Computerspiele aufwächst. Während des Finales der World Cyber Games in Seattle zupft ein kleiner Junge am Ärmel seiner Mutter und sagt: "Wenn ich groß bin, will ich Counterstrike-Spieler werden!"

© SZ vom 8.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: