Web 2.0:Das Wettrennen zwischen Netz und Buch

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Das so genannte Web 2.0 lebt von schneller Reaktion, umfassenden Informationen und freier Gestaltung der Inhalte. Wozu braucht man da noch einen Führer? Noch dazu ein Buch?

Bernd Graff

Eigentlich ist dieses Vorhaben absurd: Ein Verlag plant einen Führer für das so genannte Web 2.0. Absurd ist das deswegen, weil alles, was in einem solchen Buch stehen könnte, bereits jetzt im Internet steht und für jeden jederzeit kostenlos abzurufen ist.

Der "ultimative Führer" könnte schneller veraltet sein, als man umblättern kann (Klicken zum vergrößern) (Foto: Foto: moses)

Zudem bietet die Internet-Ausgabe immer den Vorteil, Informationen unmittelbar miteinander zu verlinken, unmittelbar Fragen zu stellen und schnell kompetente Hilfe aus der Netzgemeinde zu erhalten, all das eben, was naturgemäß in und mit einem Buch nicht möglich ist.

Außerdem, so sind nun mal die Gesetze des Netzes, sind alle Internet-Phänomene höchst flüchtig. Entweder interessiert das, was heute neu und angesagt ist, schon morgen niemanden mehr oder es droht zum banalen Gemeingut zu werden, das dann keiner weiteren Erklärung mehr bedarf.

Wichtig ist: es muss schnell gehen

Würde ein Verlag etwa heute noch ein Buch "Der Browser, die unbekannte Software" herausgeben wollen? Nein. Eben. Zum anderen aber droht allen Büchern über das Internet, dass die Netz-Beispiele, auf die jedes gedruckte Werk dann verweist, schon bald nicht mehr existieren, dass Webseiten ganz verschwunden sind, tote Links entstehen oder aber völlig anders aussehen und das Gesuchte gar nicht mehr enthalten.

Was immer also einen Verlag umtreiben mag, einen Web-2.0-Guide herauszugeben - es muss sehr, sehr schnell gehen. Denn sonst haben das Netz und seine Besucher das Buch überholt, bevor es gedruckt ist.

Dem Moses-Verlag, der gerade Web 2.0 - Der ultimative Guide für die neue Generation Internet von Günter W. Kienitz herausgebracht hat, scheint dieses Problem von Anfang an bewusst gewesen zu sein, denn er hat ein Blog zum Entstehen eben dieser Publikation geführt: Clarissa Flender, sie ist im Verlag als Produkt-Managerin tätig, früher hätte man sie wohl eine Lektorin genannt, hat seit dem 12. Oktober 2006 nahezu täglich in ihrem Blog protokolliert, wie es diese mutmaßlich absurde Buch-idee bis zum gedruckten "ultimativen Guide" geschafft hat.

Das ist natürlich ganz wunderbar, zeigt dieses Blog doch, welchen professionellen, mit Prüfungen, Skrupeln und Widerständen gepflasterten Entscheidungs-Weg eine Buchidee von der losen Formulierung bis zur Drucklegung nimmt.

Außerdem ist dieses Blog immer synchron zum jeweils aktuellen Produktionsstand erschienen: Eine Chronologie der Ereignisse also am Puls der Verlagszeit, die nachvollziehbar macht, dass Bücher heutzutage vor allem wirtschaftlich gerechnet und marktgerecht sein müssen.

Was tun?

Beispielhaft hierfür ist etwa der Eintrag "A sticky question" vom 15. Januar 2007, der beschreibt, welche Zusatzmaßnahme der Moses-Verlag in letzter Sekunde ersann, um das Buch für die Händler zu peppen: "Auch das kommt vor: Die Vertreter gehen auf Reise zu den Buchhandlungen und kommen mit Einschätzungen und Anregungen zurück.

Folgender Sachverhalt: Der Buchhandel habe positiv auf das Web 2.0-Buch reagiert, aber es sei klar geworden, dass das Cover nicht eindeutig wiedergibt, was das Buch beinhaltet. Was tun? Bei einer Nachauflage das Titelbild verändern? Oder jetzt noch? Gedruckt ist längst, die Bücher sind schon so gut wie im LKW. Lösung wäre ein Sticker, den wir nach dem Druck, aber noch vor der Auslieferung auf das Buch aufbringen könnten. Aber die Zusatzkosten. Morgen mehr."

Tatsächlich klebt jetzt auch ein Sticker voller Buzzwords: "Podcast, Blogs, Wikis & Co." auf dem Cover.

Eilig, fast hastig geschrieben

Aus all dem folgt, dass kaum mehr als vier Monate vergangen sind, seit es diese Buch-Idee bis zur Auslage bei den Buch-händlern geschafft hat. Und so, eilig, fast hastig geschrieben ist es. Web 2.0, immerhin der Gegenstand des Buches, wird im Vorwort "kurz und knackig" als "Wundertüte" definiert. Das ist in etwa so präzise wie die Feststellung, dass Web 2.0 wohl mit Internet und Computern zu hat.

Das ist kein Vorwurf, sondern in dem Fall dem Gegenstand sogar angemessen. Denn wenn man davon ausgeht, dass dem Buch ein Verfallsdatum gewissermaßen zwischen die Deckel gelegt ist, wenn man sich des weiteren klar macht, was dieses Buch alles an sozialen Netzwerken und nutzergeneriertem Inhalt beschreiben will, da wird es außer ein paar sachdienlichen Grundlagen und einführenden Bemerkungen im Stenografen-Stakkato auch kaum mehr nennen können.

Was das auch relativ dünne Bändchen also leistet, ist Interesse zu wecken, Groborientierung über Community-Aktivitäten, Anwendungen Marke Eigenbau und vernetzte Information zu bieten - und an wirklich jeder gebotenen Stelle ins Internet zu verweisen. Das geschieht häufig und dankenswerter Weise auf ein eigens zum Buch eröffnetes, auch weiterhin aktualisiertes Weblog, das für jedermann unter "allesbeta.de" zu erreichen ist.

Das Buch also ist ein Türöffner für Webangebote. Auch das ist gut so. Denn nur so kommt man in den Genuss wirklicher Aktualität und Verlinkung auf Originalseiten.

Digitalzeugs zwischen Analog-Deckeln

Folglich begibt man sich im Buch auf kaum mehr als eine Tour de force durch die aktuelle Begriffslandschaft. Flickr, Blog, Ajax, Mash-Up, Tag-Cloud, Podcast, Technorati,del.icio.us - wenn vollvernetzte Forscher in der Zukunft einmal auf dieses Buch stoßen werden, müssen sie sich vermutlich wundern: so viel Digitalzeugs zwischen so dünnen Analog-Deckeln.

Und sie werden vermutlich nicht verstehen, dass man zu Beginn des 21. Jahrhunderts offenbar immer noch gedruckte Bücher benötigte, um grundlegende Informationen über die dann vermutlich selbstverständlichen Nutzer-Bewegungen durchs Netz der Netze zu erhalten.

Günter W. Kienitz: Web 2.0. Moses Verlag 2007. 192 Seiten, 12,95 Euro.

© SZ vom 7.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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