Vorratsdatenspeicherung:Ein Loch im Berufsgeheimnis

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Warum Ärzte, Therapeuten und Journalisten höchst unzufrieden sind mit der geplanten Neuregelung der Telefonüberwachung.

Heribert Prantl

Wenn es einen Artenschutz für Grundrechte gäbe, dann wäre das Grundrecht nach Artikel 10, der das Fernmeldegeheimnis schützen soll, dieses Schutzes am bedürftigsten.

In der kommenden Woche soll im Bundestag ein Gesetz verabschiedet werden, das dessen Schutz und Pflege wieder gewährleisten soll: Das Fernmeldegeheimnis, von dem der frühere Bundesverfassungsrichter Jürgen Kühling sagt, man könne es als "Totalverlust abschreiben", soll wieder aufleben.

Doch die Berufsgruppen der Ärzte, der Therapeuten und der Journalisten sind nach wie vor höchst unzufrieden mit den neuen Regeln. Das neue Gesetz zur Überwachung der Telekommunikation reißt, so wird geklagt, ein Loch in das Berufsgeheimnis. Daran haben anscheinend auch kleinere legislative Basteleien in letzter Minute nichts geändert.

Das neue Gesetz will, das ist sein Grundansatz, das Abhören und andere verdeckte Ermittlungsmaßnahmen schwieriger machen als bisher. Es überträgt daher die Anordnung der Maßnahmen auf einen spezialisierten Ermittlungsrichter, und es ordnet an, dass die Personen, die abgehört wurden, innerhalb von zwölf Monaten benachrichtigt werden müssen.

Zeugnisverweigerungsrecht erster und zweiter Klasse.

Es führt allerdings auch (in Umsetzung einer EU-Richtlinie) die sogenannte Vorratsdatenspeicherung ein. Erstmals sollen von jedermann die Telefon-, Handy- und Internetdaten gespeichert werden, sechs Monate lang, auf dass die Sicherheitsbehörden im Fall späterer Ermittlungen darauf zurückgreifen können.

Telefonüberwachung und sonstige verdeckte Ermittlungsmaßnahmen - davon werden Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger generell verschont bleiben. Damit soll ihr Zeugnisverweigerungsrecht geschützt werden.

Bei Journalisten, Ärzten und Therapeuten, denen eigentlich auch ein solches Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, soll dieses Tabu aber nicht gelten. Es wird also künftig ein Zeugnisverweigerungsrecht erster und zweiter Klasse geben. Nach heftigem Protest unter anderem von Journalisten-Organisationen, die den Informantenschutz gefährdet sehen, hat die Koalition in den vergangenen Tagen am Gesetz noch ein wenig herumgebastelt.

Ergebnis: Die verdeckte Erhebung und Verwertung von Erkenntnissen bei den zweitklassigen Berufsgruppen soll weiterhin vom Ergebnis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung abhängen. Beim geheimen staatlichen Zugriff auf Journalisten muss also das Gericht, das die Maßnahme zu genehmigen hat, abwägen: Wie schwer wiegt das staatliche Interesse daran, die Informationen zu erlangen - und wie schwer wiegt im Vergleich dazu das Interesse des Journalisten an der Geheimhaltung der ihm von einem Informanten anvertrauten Information.

Es fehlt an Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Kontrolle.

Es ist dies der alte Konflikt Strafverfolgung contra Pressefreiheit. Für diesen Abwägungsvorgang soll es einen Anhaltspunkt geben. Wenn wegen Straftaten ermittelt wird, die im Strafmaß über fünf Jahren liegen, soll das Strafverfolgungsinteresse stets gewichtiger sein als die Pressefreiheit.

Das zeigt den Haken der Geschichte: Ein Strafverfahren lässt sich von den Verfolgungsbehörden unschwer so hoch aufhängen, dass die Ermittlungen über dieser Hürde liegen. Und ein Informant, der weiß, dass er nur nach einer Verhältnismäßigkeitsprüfung geheim bleibt, wird dazu neigen, von vornherein gar nichts zu sagen.

Das Berufsgeheimnis ist nämlich, bei den Journalisten genauso wie bei den Ärzten und Anwälten, nur dann zuverlässig geschützt, wenn der Informant, Patient oder Mandant von vornherein weiß, dass nicht abgehört werden darf - wenn also für die Sicherheitsbehörden ein Verbot der Erhebung von Informationen gilt.

Ähnlich ist es bei Materialien, welche die Sicherheitsbehörden bei Journalisten suchen und finden wollen. Wenn es um die Ermittlung von schweren Straftaten geht, soll das erlaubt sein. Dies bezieht sich auf schwere Straftaten anderer.

Wenn Journalisten selbst unter Verdacht stehen, dürfen strafprozessuale Maßnahmen gegen sie (so wie gegen jeden anderen Beschuldigten auch) immer getroffen werden. Bei Straftaten von nicht erheblicher Bedeutung (Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen etwa) sollen Materialien allerdings künftig nicht mehr beschlagnahmt werden dürfen. Dies ergibt sich aus dem Cicero-Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Die Neuregelung der Telefonüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmethoden hat der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar als überfällig bezeichnet. Auch er ist jedoch mit etlichen Details unzufrieden, die Vorratsdatenspeicherung hält er für höchst bedenklich. Ob das neue Gesetz das Überleben des Fernmeldegeheimnisses sichert, ist also durchaus nicht gewiss.

Als, wie erwähnt, der frühere Verfassungsrichter Kühling im Grundrechte-Report 2003 dem Fernmeldegeheimnis einen Nachruf schrieb, wurde das vielfach für Alarmismus gehalten. Es würde, so hatte der Verfassungsjurist geklagt, "inzwischen buchstäblich jedes Telefonat abgehört - sei es (in geringerem Maße) durch legale Maßnahmen staatlicher Behörden, sei es (umfassend) durch fremde Geheimdienste".

Wenig später monierte ein Gutachten des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht (vorgestellt von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries) die Telefon-Überwachung in Deutschland: "Es fehlt an Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Kontrolle." Und ein Jahr später stellte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe in seinem Urteil zum großen Lauschangriff Maßstäbe auf, denen die Telefonüberwachung in Deutschland derzeit hinten und vorn nicht genügt.

Seitdem werkelt das Bundesjustizministerium an einem Gesetz zur Telekommunikationsüberwachung, das den Ansprüchen der Verfassung genügen und die explodierende Zahl von Überwachungen wieder auf ein rechtsstaatlich vernünftiges Maß reduzieren soll.

Im Jahr 1995 wurden rund 4700 neue Telefon-Überwachungsaktionen gezählt; bis 2005 hat sich die Zahl auf mehr als 35000 versiebenfacht, wobei jeweils gleich mehrere Personen, im Extremfall einige tausend, betroffen sind.

© SZ vom 30.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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