Virtueller Datenklau:Nackt im Märchenwald

Lesezeit: 3 min

Bei Online-Rollenspielen ist Datendiebstahl an der Tagesordnung. Mit materiellen Folgeschäden in der echten Welt.

Jörg Donner

Sydney Nevada wurde ausgeraubt. "Rüstungsteile, Platin, Waffen, alles was auch nur ansatzweise ein bisschen Gold bringen könnte, wurde mir geklaut", schreibt der Spieler in einem Internet-Forum.

Charakter aus "World of Warcraft" (Foto: Bild: Vivendi)

Andere Besucher von " Wartower.de", einer Fanseite des Online-Rollenspiels "Guild Wars", berichten ähnliches. Manche vermuten gar eine organisierte Bande hinter den Vorfällen. Mit Hilfe von gestohlenen Zugangsdaten loggen sich die Täter in Online-Rollenspiele ein und fleddern die fremde Spielfigur.

"Bei Online-Spielen gehört der virtuelle Diebstahl zum Tagesgeschäft", sagt Andre Bergmann, leitender Redakteur der Webseite " Onlinewelten.de". "Alles was der virtuelle Charakter besitzt wird entweder verkauft oder an einen Komplizen im Spiel weitergegeben."

Zurück bleibt ein "nackter" Avatar, ohne Ausrüstung und Gold, ein kläglicher Überrest eines vielleicht wochen- oder monatelangen Spiels.

Langes Spielen zahlt sich aus

Die meisten Rollenspiele im Internet basieren auf der Idee, einen Avatar, also eine programmierte Figur, durch eine Fantasielandschaft zu lenken und dabei verschiedene Aufgaben zu erfüllen. Dabei treffen Charaktere aufeinander, kämpfen oder bilden Allianzen und werden dadurch stärker und mächtiger.

Hat man einen gewissen Grad an Fähigkeiten erreicht, steigt man in ein neues Level auf und kann bessere Gegenstände erwerben und nutzen. Je länger man spielt, desto höherwertig ist die Spielfigur. Hilfreich sind dabei Ausrüstungsgegenstände wie Schilde, Zaubersprüche oder Reittiere.

Ein ausgeplünderter Charakter ist in den meisten Spielen praktisch wertlos, da es kaum eine Möglichkeit gibt, die verlorenen Gegenstände neu zu erwerben. Dem Spieler bleibt nichts anderes übrig, als von vorne anzufangen und erneut Geld zu investieren.

An die Daten der Spieler kommen die Räuber hauptsächlich auf zwei Arten. In manchen Fällen werden Zugangscodes einfach ausgespäht, beispielsweise an öffentlichen PCs in Internetcafes oder Schulen.

Meistens erlangen sie die Daten aber über Programme, sogenannte Trojaner, die gespeicherte Anmeldedaten ausspionieren oder die Anschläge auf der Tastatur mitprotokollieren und dann an den Datendieb schicken. Der Software-Hersteller Kaspersky Labs sieht in dieser Art von Bedrohung einen Trend, der sich im kommenden Jahr verstärken wird: "Sobald Sie ein Passwort für ein populäres Online-Spiel besitzen, interessieren sich Kriminelle bereits für Sie", schreibt Yury Mashevsyk, Viren-Analytiker bei Kaspersky, in seinem Ausblick auf das Jahr 2007.

Auf den Computer des Nutzers kämen die Spähprogramme über E-Mails, Chats oder den Besuch verseuchter Webseiten. Weltweit sind mehrere Millionen Spieler potenzielle Opfer solcher Angriffe. Allein beim Marktführer "World of Warcraft" (WoW) von Blizzard Entertainment spielen nach eigenen Angaben über sieben Millionen Menschen regelmäßig.

Datendiebstahl ist lukrativ

Der Klau von Anmeldedaten hat einen guten Grund: Der Verkauf von virtuellen Gegenständen ist längst ein lukratives Geschäft. So werden beispielsweise beim Auktionshaus Ebay 2000 Goldeinheiten aus WoW zum Preis von 59,99 Euro angeboten.

"Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen Spielen, für die eine monatliche Gebühr fällig ist, und kostenlosen Angeboten", sagt Andre Bergmann. Die freien Spiele, wie etwa Silkroad oder Rappelz, würden sich darüber finanzieren, dass bestimmte Fähigkeiten, Ausrüstungen oder auch Verschönerungen des Avatars beim Anbieter des Spiels für reales Geld gekauft werden können.

Hohe Dunkelziffer

"Ich kenne einige Leute, die auf diese Art schon mehr Geld ausgegeben haben, als sie bei anderen Spielen monatlich bezahlen müssten", sagt Bergmann. Beträge von mehreren hundert Euro seien keine Seltenheit. Das Marktforschungsinstituts DFC Intelligence schätzt das Umsatzvolumen von Online-Spielen bis 2009, allein in Europa, auf zwei Milliarden Dollar. Im Jahr 2003 waren es noch 300 Millionen Dollar. Zum Umsatz der Datendiebe gibt es keine Zahlen oder Hochrechungen. Wie viele Betroffene es gibt, weiß niemand.

Die abgezockten Spieler haben kaum eine Chance, gestohlene Ausrüstung wiederzubekommen. Es gibt keine Möglichkeit nachzuweisen, dass sie nicht selbst ihr Hab und Gut verkauft haben, die digitale Hehlerware verschwindet in der Anonymität des Webs.

"Meines Wissens nach gibt es weltweit kein Gerichtsurteil, bei dem Datendiebe dieser Art zur Verantwortung gezogen wurden", sagt Andre Bergmann. In Korea ist derzeit allerdings ein Gesetz in Planung, dass den Handel von virtuellen Gütern gegen reales Geld verbieten soll. In der internationalen Welt des Online-Handels ist der Sinn eines solchen Gesetzes allerdings fraglich.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: