Test:Auf musikalischen Schleichwegen

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Stücke einer CD langsamer laufen zu lassen, ohne das Tonhöhe verloren geht — das ist eine schwierige Geschichte. Wir haben uns das mal angeschaut.

hgn

Manchmal will ein Musiker alles ganz genau wissen. Alles — über ein Musikstück, dessen Text, einen Takt oder ein Solo. Irgendetwas, von einer beliebigen CD. Oder man will die ein oder andere Stelle selbst mitspielen oder transkribieren.

Dumm nur, wenn einem die Musik davonläuft, eine CD ist eben nicht zu bremsen. Abhilfe könnte so etwas wie eine musikalische Zeitlupe schaffen, die Musik langsamer laufen lässt, jedoch die Tonhöhe nicht verändert. Gibt es so etwas?

Elastic Audio

Schon vor einiger Zeit hatten wir uns einmal auf die Suche gemacht. Ein Musikgroßhandel verwies uns seinerzeit etwas hilflos auf Software, die gegen vergleichsweise geringes Entgeld zu kaufen sei. Die könne CDs langsamer abspielen, ohne dass die Tonhöhe verloren gehe. Das war es dann aber auch schon. "Echte Geräte mit Knöpfen und Schaltern?" "Nein, die gibt es nicht." "Professionelle Software, nur für diesen Zweck?" "Nein, auch nicht."

Klar, wir hatten vorher schon das Internet durchforstet und auch dort manches gefunden, Software, die teils kostenlos, teils für wenig Geld zu haben war. Manches nicht nur schlecht, aber klanglich keinesfalls befriedigend — darum werden wir an dieser Stelle darauf auch nicht weiter eingehen.

Die Enttäuschung, die uns der Großhandel bereitete, hielt nicht lange an. Vielmehr können wir feststellen: Es tut sich etwas. Nicht nur in der Musiker-Szene, in der unter dem Stichwort Elastic Audio derzeit neue und verbesserte Software auf den Markt drängt. Mit der schon viel gemacht werden kann, die, wie es der Name schon andeutet, förmlich jede Note in Knetmasse verwandelt — wenn man das will.

Doch nicht jeder möchte sich in solche Programme hineindenken. Dennoch profitiert von dem Forschungseifer der Industrie auch der Normalkonsument: Einfache Software, Soundkarten, CD- und MP3-Spieler, die Musik verlangsamen können — das Angebot wird reichhaltiger oder zumindest bekannter und die Qualität besser.

In fünf bis acht Jahren, so prognostizieren Fachleute, werde es gar kaum noch ein Abspielgerät geben, dass nicht über derartige Funktionen verfüge.

Doch wie sieht es derzeit aus? Dazu haben wir ein kleines Ensemble angeschaut: Einen CD-Spieler, einen MP3-Player, sowie eine Software. Deren kleinster gemeinsamer Nenner ist: Sie können Musik verlangsamen und beschleunigen ohne an Tonhöhe zu verlieren und sie sind einfach zu bedienen.

Das wichtigste war uns dabei: Wie gut klingt das Gerät? Denn um die Tonhöhe trotz der Geschwindigkeitsänderung auf dem ursprünglichen Niveau zu halten, muss sie zurückgerechnet werden.

Unterschiedliche Verfahren

Üblicherweise werden in der Musikindustrie dafür zwei Methoden verwendet: Erstens können aus einer Aufnahme — präziser: einem Tonsignal — kleine Segmente herausgeschnitten (für die Beschleunigung) oder wiederholt (für die Verlangsamung) werden. Bei diesen so genannten Zeit-Verfahren wird nicht mit den einzelnen Tonfrequenzen gearbeitet, sondern gleich mit den bereits vorhandenen digitalisierten Daten einer CD oder einer Datei.

Die Systeme, die diese Methode verwenden — dazu zählen etwa die Granularsynthese und das Wavetable-Verfahren — sind weniger aufwendig und können auch in Echtzeit arbeiten, also unmittelbar dann, wenn das Stück gehört wird.

Bei der zweiten Methode ist die Vorgehensweise anders: Da wird ein Tonsignal zunächst in seine Teilfrequenzen zerlegt, ähnlich, wie wenn weißes Licht durch ein Prisma leuchtet und dabei in die Spektralfarben zerfällt. Durch dieses so genannte Frequenzverfahren werden die Teiltöne eines Klangs erkannt.

Aus denen können nicht nur Rückschlüsse auf die zeitliche Entwicklung eines ganzen Klanggemisches gezogen werden, sondern sie können, vereinfacht gesagt, früher oder später wieder ins Rennen geschickt werden, so dass sich der Gesamtklang verlangsamt oder beschleunigt. Aufgrund des hohen Rechenaufwandes wird diese Methode indes meist nicht in Echtzeit verwendet.

Von der Beschreibung her hatte es uns besonders ein CD-Spieler angetan, der eigentlich genau so ausgestattet ist, wie man sich das als Musiker wünscht.

Genaugenommen sind es sogar drei, die die US-Firma Superscope in diesem Segment anbietet: Wir hatten Gelegenheit, uns das Modell PSD 230 näher anzuschauen. Daneben gibt es den PSD 220, der eine etwas schmalere Ausstattung hat, sowie den PSD 300, der zusätzlich auch noch CDs aufnehmen kann.

Alle können die Abspielgeschwindigkeit in kleinen Schritten verändern und auf Knopfdruck sogar Loops bilden, also kleine Schleifen in einem Musikstück, die fortlaufend wiederholt werden. Genau das will man können. Daneben lässt sich bei dem PSD 230 die Tonhöhe um bis zu einer Oktave nach unten oder oben verändern und, so die Beschreibung, die Hauptmelodie auf Knopfdruck reduzieren.

Doch die spannendste Frage ist natürlich: Wie klingt dieses Gerät? Superscope, übrigens eng verbandelt mit der japanischen Marantz, scheint ein weniger aufwendiges Verfahren zur Audiobearbeitung einzusetzen — welches, wollte man uns nicht sagen.

Falsch gerechnet

Der Klang war jedenfalls für uns eine Enttäuschung. Vor allem in der stärkeren Verlangsamung ist er angereichert mit zahlreichen Störungen, die die Musik teils zittrig und verbogen klingen lassen. Hinzu kommt zuweilen ein ebenso kräftiges wie unschönes Brummen. Das hat dann keinen Spaß mehr gemacht.

Gewiss, das Klangergebnis hängt auch von der Art der verwendeten Musik und der jeweiligen Aufnahme ab: Denn je einfacher ein Ton zusammengesetzt ist, desto hörbarer werden gerade bei der Zeitverfahren-Variante die störenden Artefakte. Eine gut besetzte Band klingt darum meist besser als ein Klavier solo, weil die unerwünschten Nebeneffekte erfolgreicher überdeckt werden.

Ärgerlich war daneben, dass die scheinbar starke Verlangsamung auf 50 Prozent tatsächlich nur einer von 33 Prozent entsprach.

Auf Anfrage erklärte Superscope, dass die Verlangsamung (nicht aber die Beschleunigung) im Display falsch ausgewiesen werde und begründete dies mit dem verwendeten Verfahren: Die Geschwindigkeit kann bei dem PSD in 50 einzelnen Prozent-Schritten gesenkt werden — doch die Prozent jeweils gerechnet auf die vorherige Geschwindigkeit. Im Verhältnis zur Ursprungsgeschwindigkeit ist das dann also jeweils weniger als ein Prozent. Erst der später in Produktion gegangene PSD-300 zeige die Verlangsamung korrekt an.

Auch die Funktion, mit der sich eine Gesangsstimme unterdrücken lassen soll, fanden wir nicht befriedigend. Sie soll dann funktionieren, wenn die Gesangstimme bei einer Stereoaufnahme gleichmäßig auf den linken und rechten Kanal verteilt ist und nicht durch zusätzliche Effekte verfremdet wird. Bei unseren Versuchen hat das nicht so recht geklappt.

Wir halten fest: Der PSD 230 ist schön ausgestattet und mag für manche Anwendungen auch ausreichend sein, doch der Klang des knapp 700 Euro teuren Gerätes überzeugte uns nicht. Zumindest kommt er schon in Stereo daher, das können viele der Software-Produkte nicht. Aber die kosten eben häufig auch nur einen Bruchteil des PSD.

Wieder am Computer

Doch wenn selbst ein so teures Gerät keinen guten Klang liefert, wer tut es dann? Wir waren ratlos und haben uns weiter auf die Suche gemacht. Andere CD-Spieler haben wir nicht gefunden, höchstens noch Digital-Recorder — aber dann kann man ja auch gleich wieder Software kaufen.

Also: wie gut klingt dann wenigstens professionelle Software? Was kann man erwarten, wenn man für ein Programm mehr Geld in die Hand nimmt?

Wir haben uns die Anwendung Timefactory angeschaut, die von der Karlsruher Firma Prosoniq hergestellt wird. Sie kann nur Geschwindigkeit- und Tonhöhen eines Stücks ändern, sonst nichts. Aber das dafür recht gut.

Die karg daherkommende Software arbeitet nicht in Echtzeit, sondern zu einer bestehenden Datei wird eine neue, umgearbeitete hinzugefügt. Das Programm erkennt Wave-, AIFF- und SDII-Dateien.

Nach Auskunft von Prosoniq arbeitet Timefactory mit einem selbstentwickelten Verfahren, das auf der Anwendung künstlicher neuronaler Netze zur Klanganalyse und -veränderung beruht — MPEX genannt. Es ist mittlerweile auch in einigen Musiksoftware-Produkten der Firma Steinberg enthalten.

Anders als die gängigen Methoden berücksichtige MPEX nicht nur starre Rechenregeln, sondern versuche — angepasst an die Eigenschaften des menschlichen Gehör — ein Modell des jeweiligen Klanges zu erstellen und dann bei der Veränderung der Länge anzuwenden. Sprich: es soll flexibler als die anderen Verfahren arbeiten. Sagt Prosoniq.

Der Nutzer kann, je nach Art der Musik, zwischen unterschiedlichen Algorithmen wählen. Das Ergebnis hat uns vor allem bei der gemäßigten Verlangsamung gefallen. Wenn es weiter heruntergeht, etwa auf die Hälfte der Ursprungsgeschwindigkeit, sollte man freilich keine Wunder erwarten. Gleichwohl arbeitet die Software weit besser als die PSD-Technologie.

Die Bedienung ist leicht, nimmt aber etwas Zeit in Anspruch, da die Bearbeitung der Dateien — je nach Länge des Stücks und Grad der Verlangsamung — schnell mal zehn Minuten oder noch länger dauert.

Doch da jeweils gleich eine neue Datei kreiert wird, lässt sich das Ergebnis auch schnell auf CD brennen und gegebenenfalls in einem herkömmlichen CD-Spieler nutzen. Loops kann die für rund 450 Euro angebotene Software nicht bilden.

Leider gibt es für die aktuelle Version von Timefactory keine Demosoftware. Die soll es erst in einigen Monaten für die neue Version 2.0 geben.

Klangüberraschung

Zum Schluss wollen wir ein Gerät erwähnen, das hier eigentlich gar nicht her gehört: Es liefert die Verlangsamungsfunktion nur nebenbei und die funktioniert dann auch nur in riesigen 25-Prozent-Sprüngen. Zudem verfügt es für Musiker über keinerlei nützliche Funktionen, keine Anschlüsse, keine Tonhöhenverschiebung, keine Loops.

Doch die EAX-Technologie der MP3-Player von Creative Labs verschleicht die Musik — als schlichten Toneffekt — derart leichtfüßig, dass wir begannen, manches einfach mal spaßeshalber abzubremsen — nur um es länger zu genießen. Selbst bei heiklen Stücken wie einem Klavier solo klang das ordentlich. Die EAX-Funktion haben verschiedene MP3-Player sowie einige Soundkarten von Creative. Leider konnte uns Creative zur verwendeten Technologie keine Angaben machen.

Das Musik mit Geschwindigkeitsbeschränkung übrigens keineswegs nur für Musiker interessant ist, beweist ein neues Projekt der Fraunhofer-Forschungsgesellschaft. Deren Rostocker Institut arbeitet derzeit am Stepman, der als Erweiterung von MP3-Playern und PDAs Joggern das Fußwerk erleichtern soll: Die Musik gleicht ihre Geschwindigkeit stufenlos dem Laufstil an. Die Industrie, so heißt es dort, zeige bereits Interesse.

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