sueddeutsche.de-Interview:"Schulen sollten Videospiele einsetzen"

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Nolan Bushnell gilt als Vater des Videospiels, seit er 1972 die Firma Atari gegründet hat. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erzählt er von alten Versäumnissen, aber auch von neuen Spiel-Ideen.

Interview: Ingo Arzt

sueddeutsche.de: Sie haben mit "Pong", eine Art Pixeltennis, 1975 das erste Videospiel fürs Wohnzimmer geschaffen. Seither nennt man sie den Vater des Videospiels, eine Art Legende aller Zocker...

"Das Problem sind nicht die Kids, das Problem ist das Bildungssystem": Videospiel-Pionier Nolan Bushnell. (Foto: Foto: AP)

Bushnell: Ach, das ist lange her. Das Zeug wäre sicher auch ohne mich erfunden worden, vielleicht nicht ganz so schnell.

sueddeutsche.de: "Pong" war das erste Spiel ihrer Firma Atari. Was war denn ihre Vision in den frühen 70er Jahren? Wollten sie Spielekonsolen auf den Markt werfen?

Bushnell: Wir sahen, dass sowohl eine Spielekonsole als auch ein Heimcomputer technisch zu verwirklichen gewesen wäre. Aber als wir Pong konstruierten, war die Entscheidung einfach: Tastaturen waren schlicht zu teuer, um einen Heimcomputer zu basteln.

sueddeutsche.de: Heute gibt es Atari nur noch als Markenname, der alle paar Jahre mal wieder an eine andere Firma verschachert wird. Die Firma selbst ist längst verschwunden. Wie konnte das passieren?

Bushnell: Der Knackpunkt war 1978. Bereits damals hat Atari verloren. Der Heimcomputer Atari 800 war rein technisch wesentlich besser als die Konkurrenz von Apple. Aber die Manager von Warner Communications, an die ich Atari 1976 verkauft habe, haben das Computergeschäft nicht richtig verstanden. Die haben zu unabhängigen Software-Entwicklern gesagt: Wenn ihr Anwendungen für den 800er schreibt, dann verklagen wir euch.

Menschen kaufen aber keine Computer, Menschen wollen Anwendungen kaufen. Die Entwickler haben Atari nie vergeben. Steve Jobs von Apple dagegen hat Code und Tools an freien Entwicklern zur Verfügung gestellt und mit dem "Apple II" großen Erfolg gehabt.

sueddeutsche.de: Trotzdem war Atari 1982 zwei Milliarden Dollar wert.

Bushnell: Richtig. Atari hat seine restriktive Politik auch nur 18 Monate aufrecht erhalten, dann haben sie ihren Fehler erkannt. Trotzdem war das der Anfang vom Ende Ataris auf dem Heimcomputer-Markt.

sueddeutsche.de: O.K. und warum hat Atari das Geschäft mit den Spielekonsolen vergeigt?

Bushnell: Aus meiner Sicht hat Atari die Hardware schlicht zu langsam weiterentwickelt. Der Atari 2600 hätte schon 1979 auf den Markt kommen sollen.

sueddeutsche.de: Heute sitzen viele Kinder zu lange vor Spielekonsolen rum. Ist die Welt durch ihre Erfindung besser geworden?

Bushnell: Gute Frage. Ich glaube, immer, wenn sie was Wichtiges tun, wird es nie ausschließlich gut sein. Es gibt immer eine schlechte Seite der Medaille. Nehmen sie Autos: Tolle Sache, sie fahren damit rum, aber sie töten auch Menschen.

sueddeutsche.de: Was ist denn die gute und was die böse Seite an Videospielen?

Bushnell: Das Gute ist gleichzeitig das Schlechte: Gut ist, dass sie sehr fesselnd und herausfordernd sind. Schlecht ist: Sie sind fesselnd und herausfordernd. Deshalb spielen die Kids im Übermaß.

Auf der anderen Seite gibt es Untersuchungen, dass Kinder durch Computerspiele bessere Problemlöser sind, ihre räumliche Wahrnehmung besser wird und sie sich bessere mathematische Algorithmen ausdenken können. Ihr sozialen Fähigkeiten sind dagegen eher spärlich.

sueddeutsche.de: Computerspiele machen schlau? Schwer vorstellbar angesichts der zockenden Kinder...

Bushnell: Das Problem sind nicht die Kids, das Problem ist das Bildungssystem. Kinder wollen in spielerischer Konkurrenz Aufgaben lösen. Allerdings ist es eben einfacher, einen virtuellen Typen niederzumetzeln, als ihm eine Frage zu stellen.

Ich glaube aber, dass ihnen Mathematik und Physik genauso Spaß macht, wie gegen böse Monster zu Kämpfen. Wir müssen nur die richtigen Mittel verwenden.

sueddeutsche.de: Manchmal ist ballern halt einfach lustiger, als sich mit künstlicher Intelligenz zu unterhalten.

Bushnell: O.K., Doom macht schon ziemlich Spaß...

sueddeutsche.de: ... und mit Spielespaß wollen sie Kindern was beibringen?

Bushnell: Ich glaube, dass Schulen die Macht und Faszination von Computerspielen für Unterrichtszwecke einsetzten sollten. Es ist geradezu kriminell, dass Schulen diese Entwicklung überhaupt nicht annehmen. Sehen sie, ich habe acht Kinder. Mein jüngster ist zehn Jahre alt und kennt sicherlich 300 Pokemon-Figuren mit Namen.

Das könnten auch 300 Schriftsteller sein. Oder sämtliche Hormone, die im menschlichen Körper wirksam sind.

sueddeutsche.de: Was machen Sie denn sonst so, außer Doom zu spielen?

Bushnell: "Unreal Tournament" oder "Full Metal Jacket" spielen. Spaß beiseite, ich arbeite an einem neuen Projekt: Das uWink Media Bistro, halb Bar, halb Restaurant, das speziell Frauen zwischen 21 und 35 anziehen soll.

Das Restaurant wird Touchscreens an jedem Tisch haben, um Bestellungen aufzunehmen. Wählerische Frauen können sich ihren Drink genau so zusammenstellen, wie sie ihn mögen. Nach der Bestellung gibt es Spiele auf dem Touchscreen. Andere Spiel als die, die es heute gibt. Spiele, die Frauen mögen, an denen viele Menschen mitwirken können und die soziale Interaktion fördern.

sueddeutsche.de: Komisches Konzept. Wenn sie soziale Interaktion fördern wollen, dann lassen sie die Leute in ihrem Restaurant doch einfach miteinander reden.

Bushnell: Wir geben ihnen was, worüber sie reden sollen.

sueddeutsche.de: Klingt nicht gerade revolutionär.

Bushnell: Es geht um Gemeinschaft. Ich will nicht, dass Männer und Frauen in der Öffentlichkeit eine Liebesbeziehung mit ihrem Bildschirm anfangen. Uns geht es um ursprünglich menschliches: Kommunikation, Herausforderung, Kooperation. Sie werden sehen.

sueddeutsche.de: Jetzt spannen sie uns doch nicht so auf die Folter, werden sie konkret.

Bushnell: Ich möchte nicht zu viel verraten. Aber wir könnten zum Beispiel eine Frage stellen und jeder kann seine Meinung dazuschreiben. Auf einmal merken sie, was die anderen Leute im Restaurant so denken.

sueddeutsche.de: Ein Chatroom in einem echten Raum.

Bushnell: Zum Beispiel. Oder wir machen eine Blindtest mit Wein. Sie bekommen fünf Gläser, schmecken oder riechen daran, lesen sich die Beschreibung von anderen Gästen durch und dann schätzen, welche Marke es ist. Oder der Computer setzt spontan ein Duell zwischen verschiedenen Menschen im Restaurant auf, oder....

sueddeutsche.de: ... klingt wie Online-Spiele und Ebay-Bewertungen. Sie wollen die Macht der virtuelle Kommunikation in die reale Welt zaubern?

Bushnell: So könnte man sagen.

sueddeutsche.de: Wann ist es denn so weit?

Bushnell: Das erste Bistro macht diesen Herbst in Los Angeles auf. Für Deutschland suchen wir noch einen Joint Venture Partner. Wir haben sogar schon ein paar Spiele ins Deutsche übersetzt.

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