Silvester-SMS:Bitte löschen!

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Piep, Piep, Piep, wir ha'm uns alle lieb: Warum der fröhliche SMS-Wahnsinn in der Silvesternacht einen Gipfelpunkt erreicht.

Charlotte Frank und Christian Mayer

Jeder Handybenutzer fürchtet sich vor solchen Anlässen, sofern er kein Freund von Massenaufläufen ist: Weihnachten, Geburtstag, FC Bayern ist gerade wieder deutscher Meister geworden - und schon rollt die SMS-Lawine an, weil unendlich viele Leute ihre Grußbotschaften loswerden wollen. Am größten ist das elektronische Verkehrsaufkommen in der Neujahrsnacht, wenn alle nur noch still und starr auf ihr Handy glotzen. Zeit also für eine Kurzkritik der Kurznachricht, bevor der Silvestermüll wieder zusammengekehrt wird.

(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Das Zahlenmonster

Zahlenmäßig sind die Deutschen den Handys längst unterlegen: Zum Ende des Jahres 2008 gibt es laut Schätzungen des Branchenverbands Bitkom 107 Millionen Mobilfunkanschlüsse in Deutschland - für 82 Millionen Bundesbürger. 60Millionen Handys sind regelmäßig in Benutzung. Insgesamt haben die Deutschen im Jahr 2008 damit 23 Milliarden Short Massages verschickt - der SMS-Boom geht weiter. Die kommunikative Dauerblähung wird vor allem durch den Flatrate-Krieg der Konzerne gefördert.

Die Silvesternacht

Jeder aktive Mobilfunknutzer sendet in der Nacht auf den 1. Januar im Durchschnitt fünf SMS, schätzen die Bitkom-Experten. Damit werden an Neujahr in Deutschland 300 Millionen SMS in die Welt geblasen - ein Rekord, der in Kürze überholt sein wird. Längst sind die Zahlen ähnlich wie bei der Finanzkrise vollkommen unfassbar: Weltweit wurden in der vergangenen Neujahrsnacht 43 Milliarden versendete SMS gezählt.

Der Zusammenbruch

Dass das Mobilfunknetz so etwas nicht ohne Weiteres mitmacht, weiß zumindest jeder Großstädter, der in der Silvesternacht schon einmal sein Handy benutzen wollte. "Je belebter der Ort, an dem sich der Absender aufhält, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die SMS mehr Zeit braucht als üblich", sagt Bitkom-Sprecher Christian Hallerberg. Ein Berliner wird also größere Probleme haben, seine Liebsten pünktlich zur Mitternacht mit frohsinnigen Sprüchen zu beglücken als ein Oberpfälzer. Möglicherweise kann der Berliner auch gar keine Nachricht abschicken: "An Silvester sind die Funkantennen total überlastet - der Handynutzer bekommt aber sofort eine entsprechende Nachricht", sagt Hallerberg. Immerhin eine Staumeldung zum neuen Jahr! Das kommt davon, wenn der Verkehr sinnlos fließt.

Die elektronischen Erlkönige

Nostalgiker beklagen ja oft noch, Kurznachrichten seien unpersönlich, wenn nicht gleich der Untergang aller Romantik. Wenn die wüssten! In einschlägigen Internetforen tauschen Mobilfunk-Poeten lyrische Kostbarkeiten aus, die sich garantiert in 160 SMS-Zeichen pressen lassen. Ein schönes Beispiel für die vorherrschende Wortakrobatik: "Ob Silvester oder nicht / Du bist der Knaller, und das zählt für mich". Oder, in Anlehnung an Goethes Erlkönig: "Wer wedelt so spät durch Nacht und Wind? / Es ist ein Schwein mit seinem Kind / Sie jodeln fröhlich Juchheissassa / Viel Glück und Spaß im neuen Jahr". Angesichts solch liebevoller Knüttelverse soll noch einmal einer sagen, SMS-Autoren hätten kein Herz, sondern nur eine Taste.

Das Mädchen-Medium

Mädchen schreiben weitaus mehr SMS als Jungen, unaufhörlich sind sie mit dem Display beschäftigt; sie hoffen und bangen vor jeder neuen Nachricht, sie springen reflexartig auf, wenn es piept. Der Grund dafür ist, meint der Erfurter Professor für Kommunikationswissenschaft Joachim Höflich, dass sich Mädchen und Frauen viel lieber schriftlich ausdrücken als Jungen - vor allem wenn es um Emotionen geht. Außerdem kann man elektronisch manche Dinge antippen, die man sich nicht zu sagen traut, sondern früher höchstens ins Poesiealbum geschrieben oder in ein Kuvert gesteckt hätte. Aber das wusste ja schon der alte Cicero: "Ein Brief errötet nicht."

Auf der nächsten Seite: Welche SMS-Botschaften 2009 noch erlaubt sind und welche besser am Nichtigkeitsfilter hängen bleiben sollten.

Der Silvestermüll

(Foto: Illustration: Stefan Dimitrov)

Hier wäre noch ein guter Vorsatz fürs neue Jahr: Weniger Ketten-SMS schreiben, lieber mal die Handy-Klappe halten. 2009 sind nur noch unbedingt notwendige Witzbotschaften, brennende Liebeserklärungen oder tiefernste Unterweisungen erlaubt, wie sie in aller Sachlichkeit nur von langjährigen Lebenspartnern oder Vorgesetzten verfasst werden. Alles andere bleibt am Nichtigkeitsfilter hängen, also auch die unsäglichen Hinweise diverser Mobilfunkfirmen, dass gerade die Rechnung für Dezember abrufbar ist. Mit dieser Schweigepflicht würde man all jenen das Handwerk legen, die unerbetene Grußbotschaften verbreiten, weil sie keine echten Freunde mehr haben. Die Empfänger können sich schließlich nicht wehren, und müssen am 1. Januar erst einmal den ganzen Silvestermüll aus ihrem Handy löschen. Dazu noch mal ein schöner Aphorismus von Friedrich Nietzsche, den wahrscheinlich genialsten Autor einschlägiger Kurzbotschaften: "Auch die hohlste Nuss will geknackt sein" - einfach immer nur Löschtaste drücken.

Die Machtmaschine

Altkanzler Helmut Kohl nutzte einst sein Telefon, um auf diskrete Weise Parteifreunde mit Drohungen und Lockungen auf seine Seite zu ziehen. Gerhard Schröder griff zum Handy, wenn er Sehnsucht nach Doris oder Wladimir hatte. Angela Merkel lebt ganz in der Jetzt-Zeit, im Zeitalter der pausenlos eingehenden Nachrichten und der ständigen Erreichbarkeit. Wie so viele Frauen kann sie, so wird in Berlin gemunkelt, unterm Tisch ohne Hinsehen eine SMS tippen und nebenbei die Weltlage checken, während sie eine Kabinettssitzung leitet. So was nennt man Politik der ruhigen Hand - oder gnadenlose Manipulation, die meist mit Heimlichtuerei verbunden ist. Ach, man wüsste ja so gerne, was die funkelnd-funkende SMS-Kanzlerin ihren lieben Freunden in Paris, Moskau und Washington am Silvesterabend schreibt!

© SZ vom 31.12.2008/tess - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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