"Sasser"-Wurm:Die elektronische Büchse der Pandora

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Ein Schüler aus Niedersachsen hat den zerstörerischen Computerwurm "Sasser" um die Welt geschickt, jetzt steht er vor Gericht.

Von Ralf Wiegand

Das Übel kam durch E-Mails, die verführerische Titel trugen: "Auf diesem Bild sind Sie nackt!", stand etwa in der Betreffzeile der elektronischen Post Tausender Computernutzer, oder "Sie sind infiziert! Lesen Sie die Details!"

Es genügte ja, wenn nur ein paar wenige den Brief tatsächlich anklickten, damit die gewünschte Wirkung eintrat. Was Sven J. da erschaffen hatte, war nämlich eine Art elektronische Büchse der Pandora: Einmal geöffnet, verbreitet sich das Übel in ihr rasend schnell um die Welt. Von diesem Dienstag an steht der 19-Jährige aus dem niedersächsischen Dörfchen Waffensen vor Gericht.

Die Geschichte von Sven J. ging im Mai 2004 um die Welt. Angeblich richtete er vom Keller des elterlichen Wohnhauses aus einen Schaden an, den die Ermittler höchstens Terroristen, der Mafia oder wenigstens einer Bande von kriminellen Hackern zugetraut hätten.

Millionen Rechner lahmgelegt

Tatsächlich fielen weltweit Flüge aus, standen in Australien Züge still und rechneten finnische Banker Ratenzinsen im Kopf aus, weil in einem Kuhdorf nahe Rotenburg an der Wümme mit 924 Einwohnern ein Schüler lieber Viren programmierte, als Fußball zu spielen: Erst das schädliche Programm "Netsky" und dann mehr als zwei Dutzend Varianten des Computerwurms "Sasser" erschuf Sven J. und legte so weltweit Millionen von Rechnern lahm.

Die Staatsanwaltschaft in Verden wirft ihm in der Anklage Datenveränderung, Computersabotage und Störung öffentlicher Betriebe vor. Mindestens 142 Computeranlagen oder Netzwerke habe er nachhaltig gestört, einen Schaden von etwa 130.000 Euro verursacht. Oberstaatsanwalt Helmut Trentmann geht von einem weltweiten Schaden in Millionenhöhe aus, aber viele geschädigte Unternehmen wollen nicht unbedingt, dass die Qualität ihrer Datensicherung öffentlich diskutiert wird.

Zunächst sind ein Sachverständiger und zwei Zeugen geladen, drei Verhandlungstage hat sich die 3. Strafkammer vorgenommen - alle unter Ausschluss der Öffentlichkeit, weil J. zur Tatzeit Jugendlicher war. Das Gericht könnte theoretisch eine Haftstrafe aussprechen, etwa im Falle einer schweren Schuld. Vermutlich wird er aber mit einer milden Strafe rechnen können, die erzieherisch wirken soll.

"Es kommt darauf an, was das jetzt für ein Junge ist und wie er sich in dem Jahr danach entwickelt hat", sagt Oberstaatsanwältin Silke Streichsbier. Sven J. hat kurz nach seiner Ergreifung ein Geständnis abgelegt, das wird er vor Gericht voraussichtlich wiederholen.

Funktioniert haben sollen die Computerwürmer alle nach dem Schneeballprinzip. "Netsky" sei per E-Mail als Datei-Anhang auf verschiedene Rechner mit Microsoft-Betriebssystem gelangt, habe sich dort installiert und Einträge in der Registrierungsdatenbank geändert, einer Art zentralem Nervensystem des Betriebsprogramms Windows.

Kopfgeld für Virusprogrammierer

Dadurch, so haben die Spezialisten vom "Dezernat forensische IuK-Technik" vom Landeskriminalamt Niedersachsen herausgefunden, habe sich das Wurmprogramm bei jedem Einschalten des Rechners automatisch gestartet, die Festplatte nach E-Mail-Adressen durchsucht und sich selbstständig an andere Rechner verschickt.

"Sasser" sei sogar noch raffinierter gewesen: Der Wurm habe, so die Anklage, über das Internet zufällig ausgewählte Rechner infiziert. Von dort verbreitete er sich auf andere PCs und veränderte eine Programmroutine namens "LSASS", was dem Wurm wohl zu seinem Namen verhalf.

Besonders anfällig für solche elektronischen Schädlinge sind die uferlosen Computernetzwerke großer Firmen oder Behörden, die im Mai 2004 gleich reihenweise zusammenbrachen. Weil der Softwarekonzern Microsoft sich aber ungern öffentlich die Sicherheitslücken seiner Betriebsprogramme vorführen lässt, hatte er bereits 2003 ein "Anti-Virus-Belohnungsprogramm" aufgelegt - was nichts anderes heißt, als dass der Konzern ein Kopfgeld für Virusprogrammierer zahlt.

Im Falle von Sven J., der Klassenkameraden mit seiner elektronischen Giftküche imponierte, haben sich die Informanten 250.000 Dollar verdient. Nach gut einer Woche war der Sasser-Spuk vorbei. Sven J. beschäftigt sich weiter mit Netzschädlingen - jedoch legal. Als Auszubildender bei einem Lüneburger Hersteller von Sicherheitssoftware macht er nun selbst Jagd auf Viren und Würmer.

© SZ vom 5.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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