Online-Durchsuchung:Der Senat lässt es krachen

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Bei der Anhörung zum nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz machen die Juristen deutlich, dass die Paragrafen ihren Anforderungen nicht genügen.

Heribert Prantl, Karlsruhe

Dieses Gesetz ist verfassungswidrig, dass es kracht: So ein Satz gehört nicht zum Sprachgebrauch des höchsten Gerichts in Karlsruhe. Erstaunen, Verwunderung und Missbilligung äußern sich dort üblicherweise vornehmer, gedämpfter, verklausulierter - zumal dann, wenn erst verhandelt und noch nicht geurteilt wird. Und trotzdem hörte man es regelrecht krachen im Hohen Haus, als am Dienstag die Richter zu Gericht saßen über das neue nordrhein-westfälische Verfassungsschutzgesetz.

Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vor der Anhörung zum nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetz (Foto: Foto: ddp)

Binnen kurzer Zeit war jedem im Saale klar, dass dieses Gesetz - es ist das erste in Deutschland, das die heimliche Durchsuchung privater Computer erlaubt - den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen nicht genügt: Die Voraussetzungen für die Online-Durchsuchung sind in diesem Gesetz sehr vage und unklar geregelt, es gibt keine Kontrollvorschriften und keinerlei Regelungen, die den Persönlichkeitsschutz der Betroffenen gewährleisten.

Heiterkeit im Saal

Der Bevollmächtigte der Düsseldorfer Landesregierung, der Rechtsprofessor Dirk Heckmann versuchte zu retten, was nicht zu retten war. Erst erklärte er, das Gesetz wolle gar nicht auf die Festplatten der Computer zugreifen. Wenig später korrigierte er sich, und meinte, der Verfassungsschutz solle durchaus die Festplatten abgreifen können, aber nur die Inhalte, die zu Zwecken der Kommunikation gespeichert seien.

Bei diesen hilflosen Versuchen, das Gesetz irgendwie schön zu reden, fuhr ihm Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier, der als Vorsitzender des Ersten Senats dies Sitzung leitete, mit sanfter Ironie in die Parade: ,,Gestatten Sie mir die Frage, ob wir vom gleichen Gesetz reden?'' Und als dann Heckmann mit seinen immer verzweifelteren, von Heiterkeit im Saale begleiteten Bemühungen fortfuhr, schob der Präsident noch die Bemerkung hinterher, dass er nun doch seine ,,leichte Skepsis kundtun'' wolle. Das ist fast das schwerste Unwerturteil das es in Karlsruhe, im Frühstadium einer Verhandlung, gibt.

"Schande" für das Land

Der SPD-Landtagsabgeordnete Karsten Rudolph, einer der wenigen nordrhein-westfälischen Parlamentarier, die sich nach Karlsruhe getraut hatten, sprach von einer ,,Schande'' für sein Land. Seine wenigen anwesenden Kollegen von der Regierungspartei CDU hatten es vorgezogen, sich beim Gericht gar nicht zu melden. Und die Düsseldorfer Landtagspräsidentin hatte wohl schon geahnt, was sich da in Karlsruhe gegen das nordrhein-westfälische CDU/FDP-Gesetz zusammenbraute: Sie kam erst gar nicht nach Karlsruhe.

Das alles dürfte Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), der bei Verhandlung nicht anwesend war, bekümmern. Er weiß, dass die offensichtliche Verfassungswidrigkeit des NRW-Gesetzes Schatten wirft auf das Online-Durchsuchungs-Gesetz, das er selbst detailliert plant, und das in der Bundesregierung zwischen Union und SPD hochumstritten ist. Nicht der Verfassungsschutz wie in Nordrhein-Westfalen, sondern das Bundeskriminalamt (BKA) soll im Bundesgesetz für die Online-Durchsuchung zuständig sein.

In Schäubles geplantem Regelwerk über die neuen Aufgaben und Befugnisse des Bundeskriminalamts (BKA-Gesetz) steht ein Paragrafen 20 k, ,,Verdeckter Zugriff auf informationstechnische Systeme'' - und darunter gleich der Hinweis ,,innerhalb der Bundesregierung noch nicht abgestimmt''. Dieser Paragraf formuliert so: ,,Das Bundeskriminalamt darf ohne Wissen des Betroffenen durch den automatischen Einsatz technischer Mittel aus informationstechnischen Systemen Daten erheben, soweit die Abwehr der dringenden Gefahr oder die Verhütung von Straftaten ... auf andere Weise aussichtslos ist oder wesentlich erschwert wäre''. Diese Online-Durchsuchung soll nur durch das Gericht, bei Gefahr im Verzug durch den BKA-Präsidenten angeordnet werden dürfen.

Insgeheim liegt dieser Gesetzentwurf auf dem Tisch der Verfassungsrichter. Sie wollen, das wurde bei der Verhandlung sehr deutlich, nicht einfach das NRW-Gesetz verwerfen, sondern sehr Grundsätzliches dazu sagen, ob und wenn ja unter welchen Umständen und mit welchen Bedingungen eine Online-Durchsuchung möglich ist. Nur so war und ist es zu verstehen, dass das Gericht eine stattliche Phalanx von Sachverständigen einbestellt hatte - um das offenkundig verfassungswidrige NRW-Gesetz zu zerreißen, hätte man sie nicht gebraucht.

Die Problem, das dem Gericht auf den Nägeln brennt, formulierte der Berichterstatter, der Verfassungsrichter Hoffmann-Riem, in seiner klugen und auch technisch sehr kundigen Einführung so: ,,Es stellt sich die Frage, wie die mit dem Zugriff auf informationstechnische Systeme verbundenen Gefährdungen angemessen erfasst und bewältigt werden können''. Diese Aufgabe hat sich das Gericht ganz offensichtlich gestellt.

Als erstes muss es klären, welches Grundrecht für die verfassungsrechtliche Beurteilung der Online-Durchsuchung zuständig ist: Ist es der Artikel 13 Grundgesetz, der die Unverletzlichkeit der Wohnung schützt? Ist es der Artikel 10, der das Fernmeldegeheimnis wahrt? Oder gewährt das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Artikels 2 Grundgesetz den, wie Hoffmann-Riem es formulierte, ,,Schutz der Vertraulichkeit der Nutzung des eigenen informationstechnischen Systems''?

Freiheit gegen Sicherheit

Für sich genommen passt keines der Grundrechte so richtig. Es ist daher zu erwarten, dass das Gericht aus den vorhandenen Schutznormen eine neue Garantie destilliert - und dann sehr klare, sehr strenge Voraussetzungen für eine Online-Durchsuchung vorschreibt, mit peniblen Kontrollvorschriften und akribischen Vorkehrungen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte.

Das ist die Hoffnung der SPD. Ihr Innenexperte Dieter Wiefelspütz, der zur Verhandlung nach Karlsruhe gekommen war, hat dem Drängen der Union, das BKA-Gesetz schnell zu verabschieden, stets entgegengehalten, dass man doch wohl erst einmal die Verhandlung und das Urteil des Verfassungsgerichts abwarten müsse. Es geht, dies war der erste Satz von Hans-Jürgen Papier bei der Eröffnung der Verhandlung, um ,,grundlegende Fragen im Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit''.

Die Richter werden den Satz, den August Hanning, der frühere Chef des Bundesnachrichtendienstes und jetzige Staatssekretär im Bundesinnenministerium, dem Gericht in diesem Zusammenhang schmackhaft machen wollte, nicht einfach unterschreiben. Hanning hatte gesagt: ,,Ein Gewinn an Sicherheit stärkt auch die Freiheit''. Und schon gar nicht halten es die Richter für einen ,,Luxus'', sich gründliche Gedanken über die Verfassungsmäßigkeit von Online-Durchsuchungen zu machen. Diese ,,Luxus''-Formulierung stammte vom Rechtsprofessor Kyrill-Alexander Schwarz, dem Bevollmächtigten des Düsseldorfer Landtags. Die Richter waren merklich verstimmt.

© SZ vom 11.10.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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