Online-Bürgerzeitung OhmyNews:Generation Roh

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Zwischen professionellem Journalismus und Bloggen: Die Online-Bürgerzeitung OhmyNews ist die wichtigste Stimme, wenn sich Südkorea politisch mobilisiert.

Christoph Neidhart

Weiße Chrysanthemen in der Hand, stehen Hunderttausende am Schrein von Roh Moo-hyun, um von Südkoreas früherem Präsidenten Abschied zu nehmen. Er hat sich am Samstag das Leben genommen. Die Menschen knien, verbeugen sich, viele unter Tränen, und legen ihre Blume unter sein Porträt. Am Anfang der Woche waren schon 130.000 Menschen in Rohs Geburtsort Bongha gekommen.

OhmyNews mobilisierte 2002 massenhaft die jungen und jüngsten Wähler für den unkonventionellen ehemaligen Menschenrechtsanwalt Roh (Foto: Foto: OhmyNews)

OhmyNews, die Internet-Bürgerzeitung, ohne die Roh niemals gewählt worden wäre, strahlt den ganzen Tag über Live-Videobilder als OhmyTV aus Bongha übers Internet aus. Und Tausende von Mitarbeitern, Bürgern, Freizeit-Journalisten und Profis berichten und kommentieren dort.

Erst OhmyNews mobilisierte 2002 massenhaft die jungen und jüngsten Wähler für den unkonventionellen ehemaligen Menschenrechtsanwalt Roh. Er hat Südkorea weiter demokratisiert und transparenter gemacht, gerade auch für die neuen Medien. Ein Leitartikel von Oh Yeon-ho, dem Gründer und Chef von OhmyNews, erreicht heute mehr Südkoreaner als alle anderen Kommentare.

Wütender Eintrag auf der Website

Zu Rohs Selbstmord zitiert Oh einen wütenden Eintrag auf der Website des Blauen Hauses, wie die Südkoreaner den Amtssitz ihres Präsidenten nennen. Der Autor fragte Rohs Nachfolger: "Präsident Lee Myung-bak, sind Sie jetzt zufrieden?" Genau das habe er auch sagen wollen, schreibt Oh, und nennt den Selbstmord "die Folge der politischen Rache Lees".

OhmyNews ist eine Bürgerzeitung, kein Blog, das betonte Oh in einem Gespräch vor einigen Wochen in seiner Redaktion in der sogenannten Digital Media City unweit des WM-Stadions von Seoul. "Wir stehen zwischen dem professionellen Journalismus und dem Bloggen".

Auf die Website von OhmyNews kommen keine Texte, die nicht von Profis redigiert und deren Fakten nicht geprüft worden sind. Etwa ein Drittel aller Beiträge werden von Profis verfasst. Auch die langwierigen Recherchen machen die Profis von OhmyNews. Oh beschäftigt 70 Leute, davon 50 Journalisten, die schreiben, redigieren, fotografieren und filmen.

Anders als bei Blogs müssen bei OhmyNews die Autoren wie in einer Zeitung um den Platz kämpfen. Zwar kommen alle eingereichten Texte ins Netz, die nicht unbrauchbar oder ehrverletzend sind, im Schnitt etwa 200 pro Tag. Aber gelesen werden vor allem jene Artikel, die OhmyNews auf der Homepage groß anreißt. Dazu muss ein Artikel vier Prüfstufen durchlaufen.

"Wir müssen höhere Maßstäbe ansetzen als die traditionellen Medien", sagt Oh Yeon-ho, "weil diese uns genau beobachten." Zur Professionalisierung seiner Bürger-Mitarbeiter hat Oh ein altes Schulhaus außerhalb von Seoul gekauft und OhmySchool gegründet. Dort bietet er Kurse für Bürger-Journalisten und allgemeine kreative Schreibkurse an.

Als Oh sein Projekt zusammen mit "727-News-Guerillas" im Jahre 2000 vorstellte, schrieb er, "unsere Redaktionsräume werden die Internet-Cafés, Büros und Wohnungen" sein. In fünf Jahren hatte er 40.000 registrierte Mitarbeiter. Die Südkoreaner seien schnell bereit, sagt Oh, sich auf Neues einzulassen und mitzumachen, zumal mit neuen Technologien.

Seine Chance war außerdem, dass alle großen Medien stramm konservativ sind, Südkorea damals aber mit Kim Dae-Jung einen früheren Dissidenten zum Präsidenten hatte. Die Jungen waren politisch leicht zu motivieren; sie hatten genug vom Filz, der sich aus der Militärdiktatur in die Demokratie gerettet hatte. Sie warteten geradezu auf OhmyNews. So ist OhmyNews mit den Präsidentschaftswahlen 2002 bekannt geworden.

Ableger in anderen Sprachen

Vor drei Jahren schuf Oh einen japanischen Ableger, der scheiterte. Eine englischsprachige OhmyNews-Seite war als weltweite Plattform geplant, existiert aber derzeit aus Kostengründen stark verknappt eher als Schaufenster, sagt Oh. Dennoch suche er Partner, mit denen er Ableger in anderen Sprachen gründen könnte.

Die Wirtschaftskrise trifft auch OhmyNews, das sich bisher zu 70 Prozent über Werbung finanzierte. "Die Finanzkrise hat uns gelehrt, dass wir ein neues Business-Modell suchen müssen", sagt Oh. Ein freiwilliges Abo gibt es bereits, das bringt fünf Prozent der Einnahmen.

Während der mehr als dreimonatigen regierungskritischen Großdemos im vorigen Jahr gegen den Import von Rindfleisch aus den USA habe OhmyNews zudem 130.000 Dollar an Kleinspenden als Dank für die Berichterstattung erhalten. Von einer kostenpflichtigen Website hält Oh wenig, für den Archiv-Zugang Gebühren zu erheben helfe nicht weit. Dagegen erwägt er, das Weiterbildungsangebot zu vergrößern und die Internet-Zeitung damit zu finanzieren. Aber darüber will er noch nicht im Detail reden.

Jedes Mal, wenn sich Südkorea politisch mobilisiert, wird OhmyNews zur vielleicht wichtigsten Einzelstimme im Land. Dennoch nennt Oh sein Unternehmen bescheiden ein "Alternativ-Medium". Aber "wir sind stark genug, dass man uns nicht mehr ignorieren kann."

© SZ vom 28.05.2009/mri - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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